Antisemitismus unterm Kreuz – Seite 1

Seit Benedikt XVI. den Holocaustleugner und britischen Bischof Williamson ex-exkommunizierte und wie einen Heimkehrer herzlich umarmte, reißt die Debatte über diesen Schritt des Papstes nicht ab. Die Juden fühlen sich zutiefst verletzt , viele Deutschen schämen sich, dass es ein deutscher Papst war, der diesen schweren Fehltritt beging.

Alle Verteidigungen des Papstes, der für sich in Anspruch nimmt, unfehlbar in Glaubens- und Moralfragen zu sein, überzeugen nicht: Moralisch gesehen bedeutete seine Entscheidung eine unerträgliche Bagatellisierung unendlichen menschlichen Leides, das den Juden unter Hitler angetan wurde.

Die Wurzeln des Antisemitismus reichen im Christentum aber viel weiter zurück. Sie sind schon im Neuen Testament angelegt, und zwar in der Darstellung der Passion Christi.

Für die Römer der ersten drei Jahrhunderte waren die Christen ungefähr so etwas, wie für die Deutschen später die "Baader-Meinhof-Bande". Sie erinnerten sie an die blutigen Aufstände in Palästina, die schließlich zum jüdischen Krieg eskalierten und unter Kaiser Titus im Jahr 70 n. Chr. niedergeschlagen wurden. Die Folge war die Zerstörung Jerusalems und des Tempels.

Schon der bloße Name "Christen" versetzte die Römer daher in Alarmstimmung. Das in der Ausbreitung durch das Römische Reich begriffene frühe Christentum konnte es sich deswegen nicht leisten, einen als römischen Staatsverbrecher Hingerichteten als Messias zu propagieren. Viel besser war es, Christus als einen von seinen eigenen jüdischen Volks- und Glaubensgenossen unschuldig Verratenen und Verfolgten darzustellen, an dem der römische Prokurator Pilatus "keine Schuld" fand, um dessen Freilassung sogar sich dieser Vertreter Roms bemüht hatte.

Die vier Evangelien Matthäus, Markus, Lukas, Johannes sind, was die Passionsgeschichte Jesu anbelangt, so gesehen antijüdische Tendenzschriften. Während der römische Geschichtsschreiber Tacitus richtig schrieb: Jesus wurde von Pontius Pilatus unter Tiberius hingerichtet, sagen die Christen in ihrem Glaubensbekenntnis: "gekreuzigt unter Pontius Pilatus", soll heißen: zur Zeit des Pontius Pilatus. Schuld aber an der Kreuzigung seien die Juden gewesen, während Pilatus ihn freilassen wollte und keine Schuld an ihm fand. Pilatus und seine Frau Prokla wurden später sogar heiliggesprochen.

Hitler, der die Oberammergauer Festspiele 1930 und 1934 besuchte, erkannte, dass er die Oberammergauer Festspiele, die ja nichts anderes tun, als mit den Worten der Evangelisten das Passionsgeschehen nachzuerzählen, in den Dienst seiner Antisemitismuspropaganda stellen konnte. Er sagte 1942 (zitiert nach Rolf Hochhuth, Der Stellvertreter, Historische Streiflichter , 1980, S. 247): "Die Oberammergauer Festspiele müssten unbedingt erhalten werden. Denn kaum je sei die jüdische Gefahr am Beispiel des antiken römischen Weltreichs so plastisch veranschaulicht worden wie in der Darstellung des Pontius Pilatus bei diesen Festspielen, erscheine dieser doch als ein rassisch und intelligenzmäßig so überlegener Römer, dass er wie ein Fels inmitten des vorderasiatischen Geschmeißes und Gewimmels wirke. In der Anerkennung der ungeheuren Bedeutung dieser Festspiele für die Aufklärung auch aller kommenden Geschlechter sei er (Hitler) ein absoluter Christ".

Antisemitismus unterm Kreuz – Seite 2

Die Tradition der Lüge über den Tod Jesu und die jüdische Schuld daran ist derart im christlichen Glauben verankert, dass sie bis zu Auschwitz reicht. Im zweiten Teil des eindrucksvollen Films "Shoa" von Claude Lanzmann erzählt ein Pole: Ihm habe ein Augenzeuge berichtet, dass, als in der Nähe von Warschau die Juden zum Abtransport auf einem Platz zusammengetrieben wurden, ein Rabbi den befehlshabenden SS-Mann um Erlaubnis gebeten habe, noch ein Wort zu den Juden sagen zu dürfen. Der SS-Mann gestattete das. Der Rabbi sagte: "Vor 2000 Jahren haben wir den unschuldigen Jesus umgebracht. Sein Blut sollte über uns kommen, haben wir gesagt. Und das geschieht jetzt mit uns, dass sein Blut über uns kommt."

Andere der im Film zu sehenden Umstehenden greifen diese Erzählung auf: "Ja, Pilatus wollte ihn ja freilassen, hat seine Hände in Unschuld gewaschen, aber die Juden sagten: 'Sein Blut komme über uns'".

Christen, das zeigt dieses Beispiel, haben die angebliche jüdische Selbstverfluchung so verinnerlicht, dass sie tatsächlich glauben, auch ein Jude, ein Rabbi, rede inzwischen diese Sprache der Christen. Von da zur Holocaust-Leugnung durch Bischof Williamson führt ein gerader Weg.

Die katholische Theologien Uta Ranke-Heinemann war 1953/54 Studienkollegin von Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt XVI.Sie war die erste Frau der Welt, die 1970 eine Professur für katholische Theologie erhielt. 1987 verlor sie ihren Lehrstuhl für Neues Testament, weil sie an der Jungfrauengeburt zweifelte.