Große Trauer um die Trainerlegende Udo Lattek
Udo Lattek ist tot. Der langjährige Coach des FC Bayern ist der erfolgreichste deutsche Fußball-Trainer. Seit Jahren litt er an Parkinson und Altersdemenz. Nun starb er im Alter von 80 Jahren.
„Wer 14 Titel holt, kann nicht nur Glück haben. Das Glück muss man erzwingen.“
Lattek über Lattek
Es heißt, Abschied von ihm zu nehmen. Der erfolgreichste Trainer der Bundesliga ist tot. Udo Lattek starb am vergangenen Sonntag im Alter von 80 Jahren. Am 16. Januar hatte er seinen Geburtstag noch in einem Kölner Pflegeheim gefeiert. Der legendäre Lattek litt an Parkinson und Alters-Demenz. Seine Frau ahnte da schon das Ende. „Ich glaube nicht, dass dies heilbar ist. Man kann es nur hinauszögern“, sagte Hildegard Lattek.
Damals, im Mai 2013 war es, als hätte Lattek schon etwas geahnt. „Das war meine letzte Fußball-Reise, mein letztes großes Spiel“, sagte er vor dem Champions-League-Finale zwischen Bayern München und Borussia Dortmund, das er auf Einladung der Bayern auf der Ehrentribüne im Wembley-Stadion verfolgte. Am vergangenen Wochenende, mehr als eineinhalb Jahre nach dem „German Endspiel“, starb Lattek.
Karl-Heinz Rummenigge, Vorstandsvorsitzender FC Bayern, sagte: „Die Nachricht vom Tod Udo Latteks hat uns tief getroffen und bewegt. Sein Name ist so eng mit dem Aufstieg des FC Bayern München in den erfolgreichen 70er Jahren verbunden. Udo Lattek war einer der erfolgreichsten deutschen Fußballtrainer, dazu war er über Jahrzehnte lang eine der großen Persönlichkeiten des Sports, national und international. Mit ihm verlieren wir einen der großen Männer des FC Bayern, einen persönlichen Förderer und Freund.“
Lattek prägte den Fußball als begnadeter Trainer und Kommunikator wie nur wenige vor ihm, und bis ins hohe Alter war er mit Feuereifer und Leidenschaft, aber auch wohltuender Demut ein Botschafter seines Sports. „Ich bin ein Bauernsohn, aus dem Nichts gekommen. Ich habe dem Fußball alles zu verdanken“, sagte er Anfang 2010 anlässlich seines 75. Geburtstags.
Franz Beckenbauer protegierte Lattek beim FC Bayern
40 Jahre zuvor war der im ostpreußischen Städtchen Bosemb geborene Lattek auf Franz Beckenbauers Betreiben bei den Bayern Branko Zebec auf den Trainersessel gefolgt, und der Lehrer für Englisch und Sport füllte das Amt auf eine Art aus wie niemand vor ihm. Lattek revolutionierte die Kommunikation mit Spielern und Medien, eine vergleichbare Kombination aus Offenheit, Direktheit und Einfühlungsvermögen hat die Branche vorher nicht gekannt.
Journalisten gewährte er tieferen Einblick in die Szene, als sie ihn je zuvor hatten. Nicht von ungefähr hielt er später Tuchfühlung, hob die Sport Bild mit aus der Taufe und erlangte in insgesamt 786 DSF- und Sport1-„Doppelpässen“ als launisch-kritischer Beobachter Kultstatus. „Seine Meisterschaften und Titel werden uns allen ebenso in Erinnerung bleiben wie seine direkte, aber immer liebenswerte Art. Udo Lattek war schon zu Lebzeiten eine Legende, er wird uns fehlen“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.
Lattek stellte die Spieler spontan und intuitiv auf
„Du musst Spaß daran haben, mit Menschen umzugehen“, sagte Lattek einst: „Die Mischung aus einem gesicherten Wissen und dem richtigen Gefühl hat es bei mir ausgemacht.“ Nicht selten ging er in Mannschaftssitzungen vor großen Spielen, ohne zu wissen, wen er in die Startelf beordern würde. Die Auswahl traf er spontan und intuitiv nach einem Blick in die Gesichter der Spieler.
„Wenn im Himmel Fußball gespielt wird, dann ab sofort erfolgreich. Ruhe in Frieden!“
Kritiker wie sein großer Gegenspieler Otto Rehhagel, mit dem er eine innige Feindschaft pflegte, hielten ihm gerne hinter vorgehaltener Hand vor, stets vom Glück profitiert zu haben, zum richtigen Moment am richtigen Ort Trainer sein zu dürfen. Wie beispielsweise bei den Bayern, bei denen er in zwei Amtszeiten (1970 bis 1975 und 1983 bis 1987) Ansammlungen von Weltstars um Beckenbauer und Gerd Müller beziehungsweise Karl-Heinz Rummenigge und Lothar Matthäus vorfand.
Die Weltklassemannschaft um Maier, Beckenbauer und Müller benötigte nicht wirklich einen Trainer, hieß es allgemein. "Jetzt haben's beim FC Bayern, wo der Mozart und der Beethoven in einer Band stehen, endlich auch einen passenden Bediener, der nur die Noten umzublättern braucht", lästerte Trainerkollege Max Merkel. Oder in Mönchengladbach (1975 bis 1979), wo ihm sein einstiger Lehrmeister Hennes Weisweiler Spieler wie Jupp Heynckes, Berti Vogts oder Rainer Bonhof hinterließ. Dabei hatte er schon bei Rot-Weiß Essen unterschrieben, entschied sich aber um. "Was würden Sie machen, wenn Sie die Wahl hätten zwischen einem Fahrrad und einem Mercedes?", entgegnete er Reportern keck.
Den FC Bayern führte er zu sechs Meisterschaften
Doch so einfach war das nicht, mit Glück allein sind Latteks Erfolge nicht zu erklären. Die Bayern führte er zu sechs Meistertiteln und drei Pokal-Triumphen. "Mit ihm begann die große Zeit der Bayern", sagte Uli Hoeneß, der sein Spieler und später als Manager sein Vorgesetzter, immer aber auch sein Freund war. Zudem wurde Lattek zweimal Meister mit Borussia Mönchengladbach und gewann mit den „Fohlen“ (Uefa-Cup 1979), den Bayern (Europapokal der Landesmeister 1974) und dem FC Barcelona (Pokalsieger-Cup 1982) den kompletten Satz Europapokale.
Seine Zeit in Spanien prägte ihn besonders, besser gesagt die Monate davor, die ihm die Hölle auf Erden gezeigt hatten. Sein Sohn Dirk erkrankte an Leukämie und starb 1981 im Alter von 15 Jahren. Zusammen mit seiner Frau Hildegard floh Lattek, zu dieser Zeit Trainer bei Borussia Dortmund, nach Katalonien, vor allem, um den Schmerz zu lindern. Danach war er besser als jemals zuvor in der Lage, den Fußball und seine Nebengeräusche nicht allzu ernst zu nehmen.
Bei Maradona stieß Lattek an seine Grenzen
„Ich brauchte eine neue Aufgabe, Barcelona war schon damals der schwierigste Klub, der mich 24 Stunden am Tag gefordert und dadurch auch abgelenkt hat“, sagte Lattek. Immerhin 19 Monate trainierte er Barca, doch sein Kommunikationstalent stieß bei Diego Maradona an Grenzen. Wenn er später über den Zwischenfall mit dem Weltstar berichtete, klang das wie fast alles bei ihm wie eine Anekdote, die sich im Laufe der Zeit als Geschenk entpuppte, das ihm der Fußball gemacht hat und das er dankbar weiterreichte. „Hintergrund war die Abfahrt zu einem Abschlusstraining. Alle waren da, nur Diego nicht. Ich bin abgefahren, habe ihn stehen lassen. Daraufhin erklärte er dem Präsidenten, dass er lieber Cesar Luis Menotti haben wollte.“
Lattek kehrte zum FC Bayern zurück, feierte wieder große Erfolge. Sein viel zu hoher Alkoholgenuss – er verglich sich mal mit Schauspieler-Legende Hans Albers, „weil der, wie ich, saufen konnte und hart arbeiten“ – tat dem Ganzen keinen Abbruch. Ein Fehler war später sein Einstieg als Sportdirektor beim 1. FC Köln (1987 bis 1991), bei dem er vor allem durch seinen legendären blauen Pullover für Furore sorgte. Einen würdigen Abschied aus dem innersten Zirkel der Branche erhielt er dennoch. Im Jahr 2000 führte er Borussia Dortmund mit einem Kurz-Comeback zum Klassenerhalt, die Fans im ausverkauften Westfalenstadion lagen ihm zu Füßen.
Die Bundesligisten 1. FC Köln und Borussia Dortmund haben Verstorbenen am Mittwochabend mit einer Ehrenminute gewürdigt. Vor dem Spiel gegen den VfB Stuttgart verabschiedeten die Kölner Spieler und rund 47.000 Fans Lattek sowie die Ex-FC-Akteure Fritz Pott und Gerhard Ihns und den früheren Vereinspräsidenten Albert Caspers, die ebenfalls kürzlich verstorben waren, mit anhaltendem Applaus. Auch in Dortmund applaudierten die 80.667 Zuschauer.
Im Mai zelebrierte Lattek seinen letzten „Doppelpass“, nach einem 2012 erlittenen Schlaganfall trat er kaum noch in der Öffentlichkeit auf. „Ich hatte gehofft, dass ihm die Krankheit noch gute Tage lässt“, sagte Franz Beckenbauer.