Ehemalige Stasi-Kader schreiben Schulen an
Dubiose Briefe an Schulleiter richten sich gegen Klassenfahrten
Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin war überrascht, was da im Oktober vergangenen Jahres auf ihrem Schreibtisch landete. Die Post aus Berlin leitete Doris Ahnen (SPD) gleich an ihre Referentin für politische Bildung weiter. Denn der Brief beinhaltete schwere Vorwürfe gegen ein Projekt, das vom Bildungsministerium mit Klassenfahrten nach Berlin unterstützt wird. Dabei handelt es sich um die Stasi-Opfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen.
Eine Gesellschaft für rechtliche und humanitäre Unterstützung e.V. (GRH) schrieb da: "Uns treibt insbesondere die Sorge um Kinder und Jugendliche in unserem Lande". Die Gedenkstätte Hohenschönhausen ziele "letztendlich auf die Diffamierung jeglicher sozialistischer Ideen und Ideale". Dort würden "lügnerische Behauptungen" aufgestellt. Dann wird noch auf ein Werk eines emeritierten Professors zum "Gruselkabinett des Dr. Hubertus Knabe(lari)" verwiesen.
Ahnens Expertin für politische Bildung hatte selbst als Lehrerin schon mit Schulklassen die Gedenkstätte besucht. Auch sie war überrascht, hatte sie doch nur gute Erfahrungen gemacht.
Was die Ministerin und ihre Referentin nicht wußten: Der Brief ist offenbar Teil einer Kampagne ehemaliger Mitarbeiter der Stasi und unverbesserlicher Anhänger der DDR, die sich 16 Jahre nach der Wende in Netzwerken organisieren und mittlerweile auch wieder öffentlich auftreten. Massiv geschah dies erst vergangene Woche. Bei einer Diskussionsveranstaltung in Lichtenberg zur Markierung des Sperrgebiets rund um das ehemalige Untersuchungsgefängnis tauchten 200 ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit auf und torpedierten die Veranstaltung. Auch bei der Enthüllung eines Spruchbandes, das an die Opfer eines Stasi-Gefängnisses in der Fröbelstraße in Prenzlauer Berg erinnern soll, tauchten die alten Herren auf. "Das ist neu, daß die ehemaligen Stasi-Kader öffentlich so massiv auftreten", sagt Peter Erler, der als Historiker bei der Gedenkstätte arbeitet.
Aber auch im nicht-öffentlichen Raum arbeiten die Unverbesserlichen. So wertet die GRH Zeitungen und Internetseiten aus. Finden sie dort Berichte über den Gedenkstättenbesuch einer Schulklasse, erhält der Leiter der Schule Post. So geschehen beim Oberstufenzentrum Märkisch-Oderland in Strausberg. Der Brief vom 20. Oktober hatte denselben Wortlaut wie das Schreiben an die Ministerin. Er hatte aber keinen Erfolg. "Wir besuchen natürlich weiter die Gedenkstätte", sagte Schulleiter Reiner Zaspel.
In der GRH sollen sich mehr als 1000 Ex-Stasi-Mitarbeiter organisieren. In einem Bürogebäude am Franz-Mehring-Platz, wo auch das Neue Deutschland seinen Sitz hat, residiert die GRH im dritten Stock.
Wer die in den Briefen empfohlene Broschüre über das "Gruselkabinett" kaufen will, muß sich nicht an die GRH wenden. Es gibt sie auch im Buchladen im Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der Linkspartei.PDS-Zentrale.