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Augstein-Debatte: Das war nicht hilfreich. Ich entschuldige mich - WELT
Artikeltyp:MeinungAugstein-Debatte

Das war nicht hilfreich. Ich entschuldige mich

Autorenprofilbild von Henryk M. Broder
Von Henryk M. BroderReporter
Veröffentlicht am 11.01.2013Lesedauer: 5 Minuten
Die Antisemitismus-Debatte schlug hohe Wellen. Nun schlägt Henryk M. Broder versöhnliche Töne an
Die Antisemitismus-Debatte schlug hohe Wellen. Nun schlägt Henryk M. Broder versöhnliche Töne anQuelle: Henryk M. Broder

Ich habe über Jakob Augstein geschrieben, er sei nur „dank der Gnade der späten Geburt um die Gelegenheit gekommen, im Reichssicherheitshauptamt Karriere zu machen“. Dafür entschuldige ich mich.

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„Im Krieg und in der Liebe“, soll Napoleon Bonaparte gesagt haben, „ist alles erlaubt“. In öffentlichen Debatten auch. Zumindest im Prinzip. Man höre oder lese nur mal nach, was sich Herbert Wehner und Franz Josef Strauß so alles an den Kopf geworfen haben.

Wehner hat über seinen Parteifreund Klaus von Dohnanyi gelästert, er würde „dohnanyieren“. Unvergessen auch Joschka Fischers Auftritt im Bundestag, als er dem Präsidenten des Hohen Hauses zurief, der wäre, mit Verlaub, „ein Arschloch“.

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Dagegen muten die Konflikte, die heute ausgetragen werden, wie Sackhüpfen statt Kickboxen an. Man ist nett zueinander, will weder kränken noch verletzen. Es scheint, als gäbe es inzwischen auch im öffentlichen Diskurs eine Art Haager Landkriegsordnung, die den Gebrauch so menschenverachtender Waffen wie Häme und Polemik verbietet.

Aber der Eindruck täuscht. Es kommt nur darauf an, wer in die Tonne gehauen wird. Ein Bassgeiger des Orchesters der Deutschen Oper, der während eines Gastspiels in Israel volltrunken eine Barrechnung mit „Adolf Hitler“ unterzeichnet, weil er den Wohlverhaltensdruck nicht ausgehalten hat, der auf ihm und seinen Kollegen lastete, wird in den Medien als „Schande für Deutschland“ an den Pranger gestellt und nach allen Regeln der virtuellen Empörung hingerichtet. Er verliert seinen Job, seine bürgerliche Existenz – als Strafe für einen geschmacklosen, aber harmlosen Scherz.

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Die Mitte hat keinen Namen

Wenn aber ein Jakob Augstein fortgesetzt Unsinn produziert, bei dem er alle klassischen antisemitischen Klischees und Ressentiments auf Israel projiziert, wenn er „zornige junge Männer, die amerikanische Flaggen verbrennen“ und nebenbei auch ein paar Leute ermorden, in Schutz nimmt, weil die „ebenso Opfer“ sind „wie die Toten von Bengasi und Sanaa“, wenn er sich bei Grass dafür bedankt, dass dieser uns aus dem Schatten von Angela Merkel und der deutschen Geschichte geholt habe, und wenn ich ihn daraufhin als einen „lupenreinen Antisemiten“ bezeichne, dann macht das ganze „juste milieu“ der Republik mobil.

Natürlich für Augstein, denn der ist einer „von uns“, ein linker Liberaler mit guten Manieren. So einer kann kein Antisemit sei. Denn wäre er es, dann wären „wir“ es möglicherweise auch. Zwar heißt es immer wieder, der Antisemitismus sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber die Mitte hat keinen Namen, sie ist ein abstrakter Ort.

Dann kann es auch passieren, dass die Moderatorin eines öffentlich-rechtlichen Kulturmagazins ihre Sendung mit solchen Sätzen anfängt: „Muss man Mitleid haben mit Henryk Broder? Ein Mann, der sich unwohl fühlt, sich wähnt in einem Land voller Antisemiten und Judenfeinden. Ein anderes Bild hält er, offenbar, nicht aus. Nichts, aber auch gar nichts darf normaler werden. Da stand immer Broders spitze Feder vor. Eine Waffe, sein Antisemitismusvorwurf, blieb haften. Warum ist er ein armer Mann? Weil es ihn bedrückt, hier zu leben? Er erzählte mir Anfang der 90er-Jahre in einem Jerusalemer Cafe, wie er versuchte wegzuziehen. Er ging auch, nahm mehrmals medienwirksam Abschied von Deutschland. Mal zog es ihn, endgültig, nach New York, dann... nach Jerusalem, und dann kam er wieder, stellte sich zur Verfügung als Mühlstein der Vergangenheitsbewältigung. Und jetzt ist Schluss damit? Ist er mit seinen Anwürfen gegen Jakob Augstein zu weit gegangen? Broder hat überdreht.“

Ich bin nicht nachtragend

Ich verbringe mein halbes Leben in Cafés. Dem Fantone in Berlin, dem Babalu in Reykjavik, dem Sperl in Wien, dem Mersand in Tel Aviv und dem Thijssen in Amsterdam. Aber mit dieser Dame war ich noch nie in einem Café.

Und Anfang der 90er-Jahre lebte ich nicht mehr in Jerusalem sondern in Berlin. Dass sie mich als einen „Mühlstein der Vergangenheitsbewältigung“ empfindet, der sie in die Tiefe zieht, ist ihr Problem, nicht meines. Dass sie einen öffentlich-rechtlichen Platz benutzt, um irgendwelche Rechnungen mit mir zu begleichen, fällt auf die Anstalt zurück, die sie gewähren lässt. Sie fühlt sich Augstein verbunden, weil sie genauso tickt wie er.

Aber ich bin nicht nachtragend. Auch ich schieße im Eifer des Gefechts schon mal über das Ziel hinaus. In einem Interview der „Stuttgarter Zeitung“ sagte ich, Augstein bereite „propagandistisch die nächste Endlösung der Judenfrage vor – diesmal in Palästina“. Diesen Satz haben mir einige Kollegen und Leser übel genommen.

Er ist in der Tat erklärungsbedürftig. Ich weiß, dass Augstein weder willens noch in der Lage ist, eine zweite Endlösung der Judenfrage zu organisieren. Aber indem er Israel zum Aggressor und den Iran zum potenziellen Opfer erklärt, indem er Grass zustimmt, dass Israel den Weltfrieden gefährdet, übernimmt er auch die Argumentation des iranischen Präsidenten, wonach „das zionistische Gebilde“ ein Krebsgeschwür ist, das aus dem Nahen Osten herausoperiert werden muss, auf die eine oder andere Weise.

In die Falle getappt

Augstein liefert die Begleitmusik zu Ahmadinedschads Vernichtungsfantasien. Mag sein, dass es ihm nicht bewusst ist, was er da tut, aber er tut es.

Ich habe über Jakob Augstein auch geschrieben, er sei „der kleine Streicher von nebenan..., der nur Dank der Gnade der späten Geburt um die Gelegenheit gekommen ist, im Reichssicherheitshauptamt Karriere zu machen...“

Das war vollends daneben. „Nicht hilfreich“, würde die Kanzlerin sagen. Jakob Augstein ist weder ein kleiner noch ein großer Streicher, er verlegt nicht den „Stürmer“, sondern den „Freitag“, er ist verantwortlich für das, was er heute macht, und nicht für das, was er in einem anderen Leben möglicherweise gemacht oder nicht gemacht hätte.

Ein Hühnerstall ist kein KZ, die Moslems sind nicht die Juden von heute. Ich habe solche Dramatisierungen bei anderen immer kritisiert. Und nun bin ich in dieselbe Falle getappt.

Dafür entschuldige ich mich. Und nur dafür.


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