Gestaltungsraster

22. September 2022

»Gestaltungsraster« ist ein typografischer Fachausdruck aus dem gewerbespezifischen Sprachschatz der dspr. Typografie für ein durchgängiges grafisches Ordnungssystem, welches aus einem Grundlinienraster, einem Bildraster sowie einem Kolumnenraster besteht; auch als »Layoutraster« oder kurz als »Raster«, bei digitalen Benutzeroberflächen (z.B. Websites) auch espr. als »Grid« bezeichnet. 

Etymologisch leitet sich das Wort »Raster« vom lateinischen »rastrum« aus »radere« her, das eigentlich »Karst, Hacke, Rechen«, später »Instrument zum Ziehen paralleler Linien« bzw. »kratzen, schaben« bedeutet, sowie »rastrellum« für »Kreuzung«.

Im Prinzip ist ein Gestaltungsraster ein horizontales und vertikales Koordinatensystem, um Drucksachen (z.B. Bücher, Prospekte, Plakate oder Zeitungen), digitale Benutzeroberflächen (z.B. Websites oder LED-Großdisplays) bzw. zweidimensionale Flächen (z.B. Hauswände, Oberflächen von Messeständen oder Lieferfahrzeugen) einheitlich und schnell zu strukturieren; Schema für ein durchgängiges Layout von Schrift, Bild, Farbe und Fläche.

Gestaltungsraster werden sowohl als fixierendes als auch ästhetisches Ordnungssystem einer gestalterischen Arbeit verstanden, welches normiert, Ressourcen bei der Implementierung minimiert und Synergien unterschiedlichster Art ermöglicht. 1) 2)

Im Kommunikations- bzw. Grafikdesign gehört der Entwurf eines Gestaltungsrasters in den Bereich der Makrotypografie. Er unterteilt ein Layout in

In der klassischen Buchtypografie wird der Gestaltungsraster als Satzspiegel bzw. Buchsatzspiegel bezeichnet. 5)

Beispiel eines Gestaltungsrasters mit integrierten Kolumnenraster, Zeilenraster und Bildraster. Infografik: www.typolexikon.de
Beispiel eines Gestaltungsrasters mit integrierten Kolumnenraster, Zeilenraster und Bildraster.

Gestaltungsraster sind bereits in der Epigraphik dokumentiert und die Konstruktion von »Kodexregistern« (Register), einer Archeform des Buchsatzspiegels, gehörte bereits seit dem 1. Jahrhundert zum Standardrepertoire eines Kalligrafen (s.a. Kalligrafie) oder Kopisten.

Beispielsweise stammt die Villardsche Figur, ein auch heute noch verwendeter Teilungskanon für einen Buchsatzspiegel, aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Ab der italienischen Renaissance wurden Satzspiegel u.a. auch nach philosophisch-mathematischen Proportionen konstruiert, bspw. nach einer Fibonacci-Reihe (siehe Leonardo Fibonacci, um 1180–1240) oder in Deutschland ab dem 19. Jahrhundert im Goldenen Schnitt.

Das Corporate Design der Siemens AG. Es bezieht sich sowohl im grafischen Gestaltungsraster als auch bei den Sättigungsstufen der Farben auf den Goldenen Schnitt bzw. auf den Fibonacci-Rhytmus. Bildzitat und Quelle: Siemens AG, München, Styleguide 2002 Seite 18 und 19. Design: Baumann & Baumann, Büro für Gestaltung, Schwäbisch Gmünd.
Das Corporate Design der Siemens AG. Es bezieht sich sowohl im grafischen Gestaltungsraster als auch bei den Sättigungsstufen der Farben auf den Goldenen Schnitt bzw. auf den Fibonacci-Rhytmus. Bildzitat und Quelle: Siemens AG, München, Styleguide 2002 Seite 18 und 19. Design: Baumann & Baumann, Büro für Gestaltung, Schwäbisch Gmünd.

Der Begriff »Raster« bürgerte sich ab der vorletzten Jahrhundertwende in Deutschland mit der Erfindung des Autotypieverfahrens (gerastertes Bild im Hochdruck) durch Georg Meisenbach (1841–1912) zuerst in den Zeitungs- und Akzidenzsetzereien ein. Gemeint war hier allerdings nicht der Autotypieraster (Druckraster), sondern ein einheitlicher Gestaltungsraster, der standardisierte Arbeitsprozesse, also das systematische und einfache Anordnen von Schrift und Halbtonbildern in der gesamten Zeitungsausgabe bzw. in Akzidenzdrucksachen und Büchern ermöglichte.

Gestaltungsraster werden heute in allen Bereichen der visuellen Kommunikation verwendet, so beispielsweise für Briefpapiere, Bücher, Zeitungen, Werbekampagnen, Corporate Designs, Formulare, Fahrpläne, Plakate, Websites et cetera. 6)  7)  8)

© Wolfgang Beinert, www.typolexikon.de

Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:
Quellen / Literatur / Anmerkungen / Tipps:
1 Anmerkung: Bei Druckerzeugnissen ermöglichen Gestaltungsraster bspw. die Registerhaltigkeit.
2 Tipp: Bei der Konstruktion von Gestaltungsrastern für Druckerzeugnisse ist es ratsam, nationale und internationale Normen und Richtlinien (z.B. die DIN 476 für Papierformate) zu verifizieren. Denn Unwissenheit schützt bekanntermaßen nicht vor den erschreckend hohen monetären Folgen unüberlegter Formate.
3 Anmerkung: Unter einem Grundlinienraster versteht man einen durchgängigen Zeilenraster auf der Schriftlinie der Grundschrift, der den Zeilendurchschuss bzw. Zeilenabstand und auch die Spaltenbreite (Zeilenlänge) vorgibt.
4 Anmerkung: Halbzeilenraster werden in der Regel ergänzend für Headlines, Sublines, verkleinerte Einzüge sowie auch für Konsultationen (z.B. Legenden, Marginalien oder Fußnoten) innerhalb und außerhalb des Satzspiegels verwendet.
5 Anmerkung: Der Begriff Satzspiegel bezieht sich in der Regel immer auf ein Buch oder im weiteren Sinne auf ein buchähnliches Druckerzeugnis, beispielsweise einen Geschäftsbericht. Der Begriff Gestaltungsraster hingegen ist in seiner Anwendung offen, er kann sich also auch auf Websites oder dreidimensionale Objekte beziehen.
6 Literaturempfehlung: Tschichold, Jan: Willkürfreie Maßverhältnisse der Buchseite und des Satzspiegels, Der Druckspiegel, Typografische Beilage 7a von 1964. Dieser fundierte Fachaufsatz ist auch in Tschicholds Buch »Schriften 1925–1974, Band 2« enthalten (Verlag Brinkmann & Bose, Berlin. ISBN 3-922660-37-1.)
7 Literaturempfehlung: Aicher, Otl: typografie, Wilhelm Ernst & Sohn Verlag fur Architektur und technische Wissenschaften, Berlin und Druckhaus Maack, Lüdenscheid, 1988. ISBN 3-433-02090-6.
8 Literaturempfehlung: Hochuli, Jost: Bücher machen. Eine Einführung in die Buchgestaltung. Agfa Compugraphic, 1989.
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