Katharina Straßer und Lukas Spisser. - © Festspiele Reichenau/Dimo Dimov
Katharina Straßer und Lukas Spisser. - © Festspiele Reichenau/Dimo Dimov

Wenn es dramatisch wird, verfärbt sich der Himmel (Bühne: Peter Loidolt) blutrot. Davor deuten transparente Wände und gläserne Säulen sowie Gitterfenster die Zerbrechlichkeit und den Käfigcharakter des Aristokratensitzes Wragby Hall an. Hier vollzieht sich bei den Festspielen Reichenau das Drama der Lady Constance Chatterley, genannt Connie, das man als Tragödie, Liebesgeschichte oder einfach als Skandal sehen kann.

"Frauenschicksale in der Weltliteratur" sind ein Schwerpunkt in Reichenau, heuer hat John Lloyd Davies den Roman "Lady Chatterley’s Lover" von David Herbert Lawrence dramatisiert und - bis ins Detail durchdacht und mit den passenden Musikuntermalungen - inszeniert. Die Übersetzung liefert Michael Rössner, die Spielfassung Renate Loidolt. Mit Pornografie, wiesie Lawrence vorgeworfen wurde, hat diese Inszenierung nichts zu tun, sehr dezent erklingt während der im Halbdunkel im Hintergrund angedeuteten Sexszenen, von einer Erzählerstimme gesprochen, der englische Originaltext.

Entdeckung der Lust

Es geht vielmehr um verletzte und verletzliche Menschen, um Standesunterschiede, vor allem aber um die Frage, ob sich Sex und Emotionen locker trennen lassen. Für den kriegsversehrten Sir Clifford Chatterley, der wegen seiner Zeugungsunfähigkeit seiner Frau nahelegt, von einem anderen Mann ein Kind zu empfangen, ist das kein Problem. Doch Connie und ihr Liebhaber, der Wildhüter Mellors, entdecken ihre Lust am Körperlichen. Ob diese Beziehung halten kann, ob Clifford je in die von Connie gewünschte Scheidung einwilligt, bleibt offen.

Die um eine glaubwürdige Darstellung der Titelfigur ringende Katharina Straßer läuft immer mehr zu Hochform auf. Aus den Tönen, die sie dann anschlägt, hört man die scharfe Gesellschaftskritik von D. H. Lawrence heraus, seine Attacken gegen Scheinmoral, frauenfeindliche Konventionen, Standesdünkel und die Natur zerstörendes Profitdenken.

All dieses Negative verkörpert Sir Clifford Chatterley (den Tobias Voigt als deutlich vom Krieg an Körper und Gemüt gezeichneten Menschen spielt), der die Betreuung durch die Pflegerin Mrs. Bolton (Michou Friesz) zunehmend genießt. Einen sehenswerten Disput mit dem gekonnt zwischen Dialekt und Hochsprache pendelnden Wildhüter Mellors (Lukas Spisser) liefert Connies Schwester Hilda (Johanna Arrouas). Die komische Seite der Gesellschaftskritik trifft ein Männertrio von Cliffords Freunden (André Pohl, Sascha Oskar Weis, Christoph Zadra), die alle Entwicklungen als "Schande" bezeichnen und dafür immer auch gleich die Schuldigen ausgemacht haben: die Sozialisten, die Juden, den Krieg, die Bolschewiken . . .