Spielen? Was ist das?

Spielen? Was ist das? Ist das nicht reine Zeitverwendung? Muss das sein? Warum spielen wir Menschen? Ein Erklärungsversuch. Vorsicht: Das geht nicht kurz.

Ist der vernüftige, verständige Mensch, der Homo sapiens nicht ein rationales Wesen, das sich vor sinnloser Verschwendung von Zeit wegen seiner eindeutig begrenzten Lebensenergie und Lebenszeit schützen muss? Sollte man deshalb nicht das Spielen verbieten? Das Spielen gefährdet doch unseren Wohlstand, wenn wir in der Spielzeit unproduktiv sind? Sollten wir nicht, wie das Menschenbild des Homo oeconomicus es vorschlägt, unseren Nutzen und unsere Gewinne kontinuierlich maximieren?

Wildkatzen spielen

Tiere wie Hunde und Katzen spielen. Die Natur lässt Lebewesen Spielraum für anscheinend nutzloses Verhalten. Menschenkinder müssen auch spielen, um sich, die Umwelt und ihre Mitmenschen wahrnehmen und einsortieren zu können, wie zahlreiche Entwicklungspsychologen herausgefunden haben. Aber Erwachsene? Die spielen ebenso und dies in unserer komplexen Gesellschaftsstruktur immer mehr. Sie nutzen Brettspiele, Kartenspiele, Computerspiele, Videospiele oder Mobile Games unterwegs in Zug und U-Bahn. Ist der Mensch nicht vielleicht auch generell ein Homo ludens? Ist das Spielen vielleicht ein instinktiv geprägtes Grundphänomen aller natürlichen Wesen, die ein bisschen mehr Gehirn von der Natur geschenkt bekommen haben als Insekten? Mit diesem Beitrag möchten wir einige Antworten auf diese Fragen versuchen und eine prinzipielle Kategorisierung der unterschiedlichen Spielphänomene vorschlagen.

1. Ausgangslage zum Thema Spielen

1.1. Das Phänomen Spielen in der Wissenschaft

Die oben gestellen Fragen sind nicht neu. Wer kann sie beantworten? Philosophen, Biologen, Psychologen, Soziologen, Anthropologen, Pädagogen oder Sportwissenschaftler sowie zahlreiche andere wissenschaftliche Disziplinen befassen sich mit dem Phänomen „Spielen“ seit zahlreichen Jahren, Jahrtausenden. Jedoch sind die Spiel- und Spieleforscher bisher zumeist sehr unverbindlich und multidisziplinär unterwegs, weil sie sich auf dieses Thema nicht fokussieren. Die zahlreichen Facetten des Spielens in einem inter- und transdisziplinären wissenschaftlichen Ansatz zu bündeln, fand bisher nicht statt. Einen umfassenden Über- und Einblick in das Erfahrungsojekt „Spiel“ sowie das Erkenntnisobjekt „Spielen“ anzubieten, Beschreibungs- und Erklärungsmodelle für dieses natürliche und kulturelle Phänomen zu liefern, ist auf der wissenschaftlichen Bühne mit der Ludologie, der Lehre vom Spiel, noch recht neu.

Staatlich finanziell unterstützt und gefördert werden hingegen seit Jahren etablierte kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen. Dort wird Theater gespielt (Theaterwissenschaft), Musik gespielt (Musikwissenschaft), Spielfilme werden analysiert und produziert (Filmwissenschaft), Bewegungsspiele oder Ballspiele werden durchgeführt und optimiert (Sportwissenschaft). Die Medienwissenschaft beleuchtet das Spielphänomen zum Teil, Computerspiele und Videospiele spielen dort eine Rolle, jedoch nur als eine von zahlreichen Mediennutzungsformen wie Zeitung, Bücher, Radio, TV oder Online-Medien.

1.2. Gründung des Instituts für Ludologie

Institut für Ludologie am Moritzplatz in Berlin

Die kulturell prägenden Brett-, Karten- oder Computerspiele führen bis heute ein wissenschaftliches Mauerblümchendasein. Sie mussten jahrelang um ihre Anerkennung als Kulturgut in Deutschland kämpfen und müssen es zum Teil leider immer noch. Im Bereich der Spielwisssenschaft und der Ludologie bestehen keine spezialisierten staatlich getragenen Lehrstühle an Hochschulen oder Universitäten, so wie bei Theater, Musik, Film, Sport oder Medien. Und dies, obwohl neben der gesellschaftlich stark relevanten Funktion als tragendem Kulturfaktor das Spielen inzwischen zu einem elementaren Wirtschafts- und Innovationsfaktor geworden ist. Aber dazu später mehr. Auf privater Basis wurde das Institut für Ludologie (www.ludologie.de) in Berlin an der design akademie berlin – SRH Hochschule für Kommunikation und Design 2014 von Jens Junge (www.jens-junge.de) gegründet.

Seitdem werden Projekte rund um die Spielforschung und Spielwissenschaft realisiert. Inhaltlich trugen die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Stefanie Talaska und Jonas Vossler zum Aufbau des Instituts bei. Mit Hilfe von Steffen Tröger wurde ein erstes staatlich gefördertes Forschungsprojekt beim Bundesforschungsministerium akquiriert, mit dem ludologische Methoden und Instrumente entwickelt wurden, die jungen Start-Ups beim Überlebenskampf im Wettbewerb helfen sollen (s. u.a. All in?! – Was können Start-ups vom Pokern lernen? PDF-Download).

Kommen wir zu unseren Ausgangsfragen dieses Beitrags zurück. Wir wollten vorab nur gerne ausführen, dass der Versuch einer Beantwortung leider nicht schnell oder trivial erfolgen konnte. Also, was ist Spielen? Es ist komplex und betrifft mehrere Ebenen.

2. Spielen als natürliches Grundphänomen

2.1. Die Einübungstheorie

Spielender Hund, Ballfangspiel

Die ersten neuzeitlichen Spielforscher haben sich das Spielen als eines der natürlichen Grundphänomene vorgenommen. Es ist offensichtlich, dass Tiere und Menschen spielen. Die Natur hat die Funktion des Spieles in die Gene und Instinkte mancher Lebewesen mit implementiert.

Buchtitel "Die Spiele der Tiere", 3. Auflage, 1930

Der deutsche Philosoph und Psychologe Karl Groos (1861-1946) vertrat die „Einübungstheorie“. Tiere und Menschen müssten sich selbst ausbilden, müssten sich Fähigkeiten und Fertigkeiten antrainieren. Spielerisch bereitet sich das Individuum auf die Herausforderungen des Lebens aktiv vor.

In seinem ersten spieltheoritischen Werk „Die Spiele der Tiere“ (1896) führt er zahlreiche Beispiele von Spielsituationen bei verschiedenen Säugetiere  an. Das Jagen und Fangen, der Kampf unter Artgenossen zur Klärung des sozialen Ranges innerhalb einer Herde oder eines Rudels, sind ein Spielgrund. Auch der Kampf gegen natürliche Feinde, die vielleicht in der Nahrungskette eine höhere Position einnehmen, stehen im Zentrum seiner Beobachtungen und Interpretationen. Das Spiel bereitet die Tiere auf diese zukünftigen Situationen vor.

Groos legt mit seiner Theorie in das offensichtlich vorerst nutzlose, spielerische Verhalten einen Zweck. Eine Zweckfreiheit innerhalb des tierischen Verhaltens wollte er nicht erkennen. Spiele trainieren, stärken die Muskeln, schulen die Beweglichkeit, schärfen die Reaktionsfähigkeit. Die Tiere bereiten sich auf die Bewältigung des Überlebenskampfes vor. Nur die Tiere?

In seinem zweiten spieltheoretischen Werk analysiert Karl Groos „Die Spiele der Menschen“ (1899). Der Mensch übt ebenso spielerisch, lernt mit Freude am Spielen sein Verhaltenspotenzial zu erweitern. Der niederländische Biologe, Physiologe und Sportmediziner Frederik J.J. Buytendijk (1887-1974) setzte auf diese Einübungstheorie auf und verfasste sein Werk „Wesen und Sinn des Spiels. Das Spielen des Menschen und der Tiere als Erscheinungsform der Lebenstriebe“ (1933).

2.2. Voraussetzungen für das natürliche Spiel

Frederik J.J. Buytendijk: "Wesen und Sinn des Spiels", 1933

Frederik J.J. Buytendijk: „Wesen und Sinn des Spiels“, 1933

Es bestehen zwei Grundvoraussetzungen für die Entwicklung eines spielerischen Verhaltens. Zum einen mussen die Grundbedürfnisse Hunger und Durst befriedigt sein. Zum anderen müssen sich Tier oder Mensch sicher fühlen. Spielen gelingt nur innerhalb eines soliden Sicherheitsgefühls. Natürliche oder biologische Feinde dürfen sich momentan nicht im Angriffsmodus befinden, ist seine These.

Die Sicherheitsthese widerlegte inzwischen ein angeketteter, chancenloser Hund (1992), als er als leichtes, fluchtunfähiges Opfer von einem hungrigen Eisbären angegriffen wurde. Über das einsetzende, spielerische Verhalten des Hundes ließ sich der Eisbär von seiner anfänglichen Tötungsabsicht abbringen. Eine Überwachungskamera filmte die für den Hund lebensrettende Spielsituation, bis sich der Eisbär voller Spielfreunde auf seinem Rücken liegend vor dem Hund im Schnee wälzte. Mehr noch. Es entstand durch das Spielen eine Form von Freundschaft. Der Bär kam jedes Jahr auf seiner Route wieder bei den Hunden vorbei, um mit ihnen zu spielen  (s. https://www.youtube.com/watch?v=5bcl0yrHPwk).

2.3. Spielen führt auf eine neue Seinsebene

Aus dieser Beobachtung lässt sich feststellen, dass das Spielen vielleicht zu viel mehr fähig ist, als nur zur Einübung von Kampffähigkeit. Selbst Tiere empfinden spielerische Freude oder eine aus dem Spielen heraus entstandene, vertrauensvolle Freundschaft. Spiele bauen emotionale Beziehungen auf. Die Spielfreude ist größer, als so manch anderer Trieb innerhalb des natürlichen Organismus. Scheinbar kann sich auch die Natur „irrational“ verhalten. Das Spiel bringt Synthesen zustande, die das zweckorientierte Leben nicht herzustellen mag.

Zu spielen bedeutet, freiwillig, intrinsisch motivierte Aktivitäten auszuführen. Der Spieler vollführt eine Reihe von Handlungen, die mit (Lebens-)Freude und Spaß verbunden sind. Diese Freude führt zu einem temporären Gemütszustand mit positiv empfundene Emotionen, also zu Hormonausschüttungen in unserem Gehirn. Spielen führt zu Belebung und Vergnügen.

Diese Emotionen können jedoch durch unterschiedliche kulturelle Prägungen verschieden erzeugt werden. So hat Brian Sutton-Smith (1924-2015) nachgewiesen, dass wettbewerbsorientierte Kulturen verstärkt kompetitive Spiele spielen und Kulturen, die weniger das Individuum und seine Selbstverwirklichung im Fokus haben, mehr kooperative Spiele.

2.4. Zwischenfazit „Play“

Halten wir fest, dass das Spielen ein elementares Grundphänomen von Lebewesen mit einem ausreichend großen Gehirn ist. Tier und Mensch benötigen diese Spielkompetenz, um spezifische Verhaltensweisen einzutrainieren und emotional gefestigte, soziale Bindungen auch gegebenenfalls artübergreifend aufbauen und pflegen zu können. Es entwickelt sich besonders bei dem Menschen eine spielerisch erworbene Sozialisation. Der Homo sapiens wurde durch die Natur nicht mit ausreichend sozialen Instinkten ausgestattet, dass er sich automatisch einzuordnen wüsste. Wie stark sich der kooperative Gedanke entwickelt, ist kulturell und individuell sehr unterschiedlich.

Wir benötigen auf jeden Fall reale und spielerische Erfahrungen sowie auch sinnstiftende Religionen, Philosophien und andere erfundene Ordnungen, wie Nationalstaaten oder Geld. Da haben es Bienen oder Ameisen einfacher. Ihnen fehlt das ausgeprägte Bewusstsein eines Individuums, sie wissen, dass sie nur ein Teil eines größeren Ganzen sind. Der Mensch muss erst sein Menschsein mühsam lernen. Dabei unterstützt ihn das Spielen. Dieses sorgt außerdem für positive Emotionen, für Freude.

Dieses Spielen ist ein ursprüngliches, natürliches, freies Spiel. Es fördert und unterstützt den Lernprozess, die eigenen Fähigkeiten zu schulen und gleichzeitig soziales Verhalten zu ermöglichen. Um dieses Spielen eindeutig zuzuordnen und charakterisieren zu können, nennen wir diese Katagorie „Play“.

3. Spielen als kreativer Ausdruck

Die Evolutionstheorie zeigt, noch nicht eindeutig und vollständig, aber sehr gut nachvollziehbar, dass es eines mehr als 15 Millionen Jahre dauernden Entwicklungsprozesses der Hominiden (Homos) bedurfte, bis der Planet Erde von mehreren, aufrecht gehenden und jagenden Wesen (z.B. Homo erectus) bevölkert wurde. Seit ca. 2,5 Millionen Jahren ist dies nun der Fall.

3.1. Eines der ersten Kunstwerke: Der Löwenmensch

Die Kommunikation zwischen diesen Homos verlief über Laute, Gesten und Mimik. Erst mit der Sprachentwicklung, mit der Fähigkeit, aus Lauten, Worte zu formen, ihnen eine Bedeutung zuzuordnen, diesen Worten Regeln zu geben, eine Grammatik entstehen zu lassen, konnten Sätze formuliert werden. Mit diesen Sätzen war der Mensch in der Lage, Gegenstände zu beschreiben, Sachverhalte zu erklären, Erfahrungen den Mitmenschen mitzuteilen. Dies ist der Zeitpunkt, wo der Mensch mit seiner Sprachkompetenz anfing, sich Dinge phantasievoll vorzustellen, die es real nicht gibt.

Der Löwenmensch mit drei Ansichten, Stadtmuseum Ulm

Vor mindestens 35.000 Jahren v. Chr. erschuf ein Bewohner der  aus einem Mammutstoßzahn schnitzend einen „Löwenmenschen“. Ein phantasievoll erfundenes Wesen, ein Fabelwesen. Es ist eine Kombination aus einem menschlichen Körper und einem Löwenkopf. Dieser Löwenmensch wurde in der Nähe der Stadt Ulm in einer Höhle entdeckt. Er wird heute als eines der ersten dokumentierten von Menschenhand erschaffenen Kunstwerkes im Museum Ulm ausgestellt.

3.2. Die Einladung des Spielzeugs

Das Institut für Ludologie hat zum Löwenmenschen, diesem in wohl ca. 360 Arbeitsstunden künstlich geschaffenem Wesen, eine ausführlichere Abhandlung in Bezug auf das Spielen gewidmet.

Hein Reter: Spielzeug - Handbuch zur Geschichte und Pädagogik der Spielmittel

Hein Retter: Spielzeug, 1989

Kurz zusammengefasst, ist festzuhalten, dass mit der Spachentwicklung auch der Austausch und das Bewusstsein der Menschen über die sie betreffenden Grundphänomene Natur, Liebe, Arbeit, Herrschaft und Macht sowie die Vergänglichkeit und den Tod begonnen haben muss. Erfundene Ordnungen, regulative Ideen sollten den Kindern und Menschen Zusammenhänge aufzeigen, Unerklärliches erklären, aus Unsicherheit Sicherheit machen. Mit der Einführung nicht realer Personen und Tiere entstand die Möglichkeit, mit diesen gedanklich zu kommunizieren. Darüber hinaus konnten ihnen Lämmer oder andere Tiere als Opfer gebracht werden, um diese Wesen als angenommene Weltenlenker milde zu stimmen. Das eigene Schicksal, das der Familie oder gar des ganzen Stammes wurde mit Hilfe von Rollenspielen ausgehandelt und ritualisiert. Symbole, Figuren und Puppen halfen visuell dabei.

Ob der Löwenmensch das erste Spielzeug oder ein rituell und spirituell genutztes Wesen einer ersten Religion darstellt, lässt sich heute nicht mehr klären. Ob er nun Ankerpunkt für phantasievolle Kindergeschichten war oder gezielt für den Sozialisationsprozess, d.h. den gesellschaftlichen Organisationsprozess zum Einsatz kam, spielt in seiner Kernbotschaft an uns für heute keine entscheidende Rolle.

3.3. Zwischenfazit „Toy“

Als Spielzeug oder ritueller Gegenstand gleichermaßen führt der Löwenmensch den „Anwender“ über seine eigene Existenz hinaus in einen gedanklichen „Magic Circle“, in eine kreativ nutzbare Phantasiewelt mit Rollen sowie Spiel- oder Gesellschaftsregeln. Er lädt uns ein, sich auf ihn einlassen, mitzuspielen oder sich ab- oder gar auszugrenzen. So wie jedes Spielzeug, welches uns als stiller Impuls einlädt, der Welt die Realität auszutreiben, ihr kurzzeitig zu entfliehen. Im Spiel mit einem Spielzeug können physische, motorische, kognitive und soziale Fähigkeiten und Kompetenzen konfliktfrei entwickelt, eingeübt und ausgelebt werden. Darüber hinaus können Konflikte und Probleme geistig bearbeitet werden. Es beginnt hier die Wirkung des kreativen Spiels als Katharsis.

Die Psychologie vertritt die Hypothese, dass das Ausleben innerer Konflikte und Ängste, versteckter, unterdrückter Emotionen zu eben einer Reduktion der realen Konflikte führt. Spielen hilft die Realität zu ertragen, sie gedanklich zu modifizieren. Dies erscheint z.B. ein Grund zu sein, warum sich Fußball im Zeitalter der sich gesellschaftlich stark auswirkenden Industriegesellschaft als Massenphänomen bei der  im realen Leben durch den täglichen, monotonen und abstumpfenden Arbeitsprozess „entfremdeten“ Arbeiterschicht als Ausgleich durchgesetzt hat. Zu diesem Spielen gehört neben dem Spielzeug „Ball“ eine weitere Zutat, das Regelwerk.

Halten wir jedoch vorher fest, dass das reine Spielen mit einem Spielzeug ohne Regeln ebenso ein ursprüngliches, natürliches, freies Spiel ist. Es beinhaltet einen Aufforderungscharakter sowie eine Simulationsfunktion. Es fördert und unterstützt den Lern- und Abstraktionsprozess, die eigenen Fähigkeiten über ein Spielmittel, ein Spielzeug. Um dieses gestützte Spielen eindeutig zuzuordnen und charakterisieren zu können, nennen wir diese Katagorie „Toy“.

4. Spielen innerhalb erfundener Ordnungen

Der Ausgangspunkt für Toy war die einsetzende Sprachentwicklung vor 35.000 Jahren, die Möglichkeit, nach dem Explorationsspiel des Play, sich mit Phantasie- und Rollenspielen auf der Basis von Spielmitteln auseinanderzusetzen. Innerhalb der Sesshaftwerdung des Menschen vor ca. 17.000 Jahren wurden die Gesellschaften komplexer. Mit der Idee des Lebens nach dem Tode erhielten die Mythen um Gottheiten einen großen Aufschwung, zu dessen Ehren Tempelanlagen und Opferstätten gebaut werden mussten. Die jetzt enger aufeinander wohnenden Menschen unterschiedlicher Familien benötigen mehr Ordnungen, abgestimmte Verhaltensweisen, sie erfanden Regeln zur ungleichen Eigentumsverteilung sowie der Erbfolge. Sie erfanden Herrschafts- und Steuersysteme, die Symbole, Zahlen und die Kulturtechnik Schrift hervorbrachten.

4.1. Die Kultur ersetzt die natürliche Ordnung

Der Lernaufwand in neue Rollen wuchs rasant. Eine spezialisierte Arbeitsteilung innerhalb des Sozialsystems Stadt mit dem sie ernährendem Umland und Ackerland  erforderte neue regulative Ideen. Dieses komplexere Zusammenleben benötigte Gebote und Verbote sowie Mythen und Visionen, die eine übergeordnete Ordnung als verbindende Orientierung aufzeigten.

Schließlich begann der Mensch sich über die Natur zu stellen, er erschuf künstliche, erfundene Ordnungen, dazu passende Regeln. Der Mensch in der Stadt war kein Selbstversorger mehr. Innerhalb von diffusen Abhängigkeitsstrukturen musste jetzt ein Individuum seine Rolle, seine Arbeit, seinen sozialen Rang finden. Der Mensch begann, sich seine Kultur zu gestalten und die Natur dafür zu nutzen, gar auszubeuten (s. Gilgamesh-Epos, 2. Jahrtausend v.Chr., Ermordung des den Wald beschützenden Drachen Chumbaba und anschließende Abholzung der Zedernwälder im Zweistromland rund um die Stadt Uruk mit dem dann doch nicht erreichbaren Ziel, die Unsterblichkeit zu erreichen).

4.2. Spielen als Ursprung von Kultur

Johan Huizinga: "Homo ludens - Vom Ursprung der Kultur im Spiel", 1938

Johan Huizinga: „Homo ludens“, 1938

Der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga (1872-1945) veröffentlichte 1938 das spielwissenschaftliche Standardwerk „Homo ludens“ (Artikel zu diesem Buch hier im spielen.de-Blog: „Vom Ursprung der Kultur im Spiel“). Er zeigt auf, wie die menschliche Kultur in Form von Spiel entsteht, wie Kultur anfänglich gespielt wird. „Das Gemeinschaftsleben erhält seine Ausstattung mit überbiologischen Formen, die ihm höheren Wert verleihen, in Gestalt von Spielen.“ (s. Homo ludens, S. 57) Bei dem Fortschreiten einer Kultur tritt das Spielelement allmählich in den Hintergrund. Die Variabilität der Handlungen wird eingegrenzt, das Regelspiel, der gesellschaftliche, soziale Rahmen gesteckt, das Spielfeld mit seinen Regeln definiert.

Die Regel erhält dann ihre Wirkung, wenn sie die Inklusion und Exklusion von Menschen definiert, wenn sie das „Wir“ festlegt und andere ausgrenzt. Das Regelwerk bietet durch einen formulierten, elementaren Absolutheitsanspruch die Möglichkeit, sich mit diesem „Wir“ zu identifizieren. Es wird das eigene Selbstkonzept gestaltet, ein „Ich“ wird geformt, um dann mit dem eigenen Handeln ein Selbstwertgefühl aufzubauen. Dieses Selbstwertgefühl vermittelt uns die Mitmenschen um uns herum oder eben nicht. Dann können Menschen sogar ihre Identität schnell wechseln, um als eigentlich Ungläubige aus dem Westen als IS-Kämpfer in den heiligen Krieg nach Syrien zu ziehen. Oder ehemals brave Bürger zu Wutbürgern werden, die radikale Parteien wählen.

Das Selbstwertgefühl wird bestätigt, wächst wenn in uns gleichzeitig die Kontrollüberzeugung gedeihen kann. Wir glauben das Richtige zu tun. Selbstbestimmt alles in unserem Leben unter Kontrolle zu haben, uns für die wahren Spielregeln innerhalb des uns identitätsstiftenden Spielfeldes einzusetzen. Der Mensch wird zum Akteur, zum Mittler zwischen Geist (Symbol des Kreises) und Materie (Symbol des Quadrats), dokumentiert im Brettspiel.

4.3. Spirituelle Gedankenspiele verfestigen sich in Brettspielen

Pantheon in Rom, Geist und Materie

Wenn es ein Leben nach dem Tode gibt, wie kommen wir dahin? Wie wird diese Idee mit den entsprechenden Regeln kommuniziert und vermittelt?

Im Pantheon in Rom, in dem für alle Götter geweihten Haus symbolisiert der Marmorfußboden das Spannungsfeld vom Geist (einer erfunden Ordnung als Ganzheit, als Kreis) zu der Materie (dem Quadrat) sowie dem Menschen als Akteur dazwischen. Die ersten kulturhistorisch belegten Brettspiele verfolgen das Ziel, die Idee der Ewigkeit zu kommunizieren und den Weg des Lebens über die Stationen auf dem Spielbrett zu symbolisieren. Dieser Weg ist mühsam (künstliche Hindernisse) und wird vom Zufall bestimmt (Würfel). Trotzdem übernimmt der Spieler mythologisch als Akteur die Rolle des Entscheider über das eigene Schicksal (das seiner Spielfiguren).

Für an Details Interessierte folgen jetzt Beispiele aus drei unterschiedlichen Hochkulturen der vorchristlichen Zeit: Das Königsspiel von Ur (Mesopotamien), Senet (Ägypten) und Pachisi (Indien). Schnellleser könnten gleich zum Zwischenfazit „Game“ springen.

4.3.1. Beispiel Königsspiel von Ur, Mesopotamien

Eines dieser Bespiele ist das Spiel der zwanzig Quadrate oder das Köngliche Spiel von Ur (ca. 2.600 v. Chr.). Damit ich an dem Spiel teilnehmen kann, muss ich den Zufall entschieden lassen, würfeln, ebenso entscheidet der Zufall über meinen Ausstieg aus diesem Spiel (des Lebens).

Königsspiel von Ur, Spiel der zwanzig Quadrate, 2.600 v. Chr.

Die Würfel sind vier Tetraeder mit vier gleichen dreieckigen Flächen und zwei Einkerbungen an den vier Ecken. Die Zahl vier steht für das Vergängliche, materielle, der Tetraeder für die Wärme, für den strahlenden Vermittler zwischen der Gottheit. Die zwei Spieler, schwarz und weiß, Symbol für die Polarität des Lebens, für Tag und Nacht, für gut und böse. Gespielt wird mit sieben Spielsteinen. Die Bedeutung der Sieben liegt in der Wiederherstellung der Einheit mit dem Göttlichen. Mit einem Spielzug werden die Kerben der vier geworfenen Würfel gezählt, die nach oben zum Himmel zeigen. Gespielt wird nur vorwärts. Lebenszeit kann man ja auch nicht zurückdrehen.

Im Engpass der 20 Felder, nach dem 12. Feld darf der Spielgegner rausgeworfen werden. Die Zwei als Symbol der Polarität des Lebens und die Null als Kreis, als Symbol des Göttlichen, die Eins als Symbol für die Einheit mit Gott, die kurzzeitig durch die Polorität des Lebens unterbrochen wird, Rauswurf. Das Leben kann hart und brutal auf dem Weg zur Glückseligkeit sein. Gewonnen hat, wer als erstes seine sieben Spielsteine über die Quadrate der materiellen Welt gespielt hat und damit im göttlichen Paradies, dem ewigen Leben angekommen ist.

4.3.2. Beispiel Senet, Ägypten

Das Spiel Senet in Ägypten wurde ebenso als Wettlauf zweier Spieler auf dem (Lebens-)Weg zu einem ewigen Leben, auf dem Weg zu den wesentlichen fünf ägyptischen Gottheiten gespielt.

Senet, Ägypten, ab 3,000 v. Chr.

Startpunkt war das Spielfeld „Geburt“, Spielziel: Gelingt die rituelle Reinigung des Toten? Dieses Spiel verfügt über 30 Spielfelder im Rechteckformat, d.h. zehn Fleder in drei Reihen. Es gibt vier Ereignisfelder, auf denen dem Spieler Glück (Frösche, Weiterkommen) oder Unglück (Überschwemmung, Rauswurf) als Schicksal dargeboten werden. Auch dieses Spiel diente somit nicht der alleinigen Unterhaltung, es verfolgt spirituelle, religiöse Zwecke. Es wurde in der Zeit 3.000 v. Chr. bis ca. 300 n. Chr. gespielt.

4.3.3. Beispiel Pachisi, Indien

Brettspiel Pachisi, Indien, 6. Jh. n. Chr.

Als letztes Beispiel sei das indische Pachisi erwähnt, aus dem heraus sich die europäische und amerikanische Brettspieltradition und damit letztendlich die umfangreiche Spielkultur bis hin zu den Computerspielen entwickelte.

Ludo Game, Großbritannien, 1896

Ludo Game, Großbritannien, 1896

Die grundlegenden Spielprinzipien von Pachisi selbst sind wahrscheinlich koreanischen Ursprungs und stammen aus dem 1. Jh. v. Chr. In Korea wird bis heute das Spiel Yut (auch Nyout genannt) gespielt.

Aber zu Pachisi, das von  Reisenden der Kolonialmacht aus Großbritannien in Indien im 19. Jh. entdeckt wurde. Urheberrechtlich als Spielprinzip nicht geschützt, gelang diese Spiel in unterschiedlichen Varianten als „Ludo“ oder „Parcheesi“ nach England und in die USA. Als „Mensch ärgere Dich nicht“ nach Deutschland und als „Eile mit Weile“ in die Schweiz.

Was ist die mythologische Aussage des Spiels? Das Leben ist mühsam. Auf dem Lebensweg wird man immer wieder von Schlägen des Schicksals zufällig getroffen (Rauswurf) und muss dann erneut (Wiedergeburt, Reinkarnation) als guter Hindi oder weiser Buddhist sich auf den Weg in das schmerzfreie zu Hause begeben (Nirwana).

In Deutschland wurde während des Ersten Weltkrieges das Spiel „Mensch ärgere Dich nicht“ ab 1914 zur ökonmischen Grundlage des Spieleverlages Schmidt Spiele. Der Gründer, Josef Friedrich Schmidt (1871-1948), der die Ludo-Spielregeln aus England modifizierte und vereinfachte, kam im Krieg auf die Idee, 3.000 Exemplare seines Spiels an die verletzten Soldaten in die Larzarette zu schicken. Die haben sich dort mit dem Spiel nicht nur die Langeweile während des Heilungsprozesses vertrieben. Über die Mundpropaganda und die in den Feldpostbriefen erwähnte Spielabende mit Kameraden, gelang das Spiel auch an der Heimatfront auf den abendlichen Spieltisch. Und die Spieler wurden wohl zumindest in ihrem Unterbewusst mit dem Thema „nach Hause zu kommen“ emotional, wenn auch nicht im hinduistischen Sinne, tief angesprochen.

Mensch ärgere Dich nicht, Deutschland, ab 1914

4.4. Kultur und Spiele im gegenseitigen Austausch

Wie Johan Huizinga feststellte, kann der spielerische Umgang mit Regeln dazu führen, dass kulturelle Werte geschaffen werden. Es entstehen erfundene Ordnungen mit eben diesen spielerisch erprobten regulativen Ideen, die aus dem freien Spiel erwachsen. Aus Glaubenssätzen und Einstellungen entstehen Gebote, Normen, Ordnungen, aus ihnen können Gesetze mit anschließenden Sanktionsmechanismen werden. „Gehen Sie nicht über Los, ziehen Sie keine 4000 Mark ein, gehen Sie direkt ins Gefängnis.“

Brian Sutton-Smith: "Die Dialetik des Spiels", 1978

Die Kapitalgesellschaften GmbH oder AG mit ihren jeweiligen separaten Gesetzesvorschriften in Deutschland, bilden „juristische“ Personen im Gegensatz zu den natürlichen Personen, die auch eines natürlichen Todes sterben können. Unsere aktuelle gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung baisert auf Dingen, die es real nicht gibt, die aber trotzdem, hoffentlich, Steuern zahlen. Erfundene Ordnungen prägen unseren Alltag und unser Verhalten. Nur weil die Herrn Daimler und Benz verstorben sind, heißt das ja nicht, dass ich mir keinen Mercedes mehr kaufen kann. Spiele wirken über den natürlichen Tod hinaus.

Gleichzeitig bilden Spiele die gesellschaftliche Realität ab, können ein Spiegelbild bestehender Macht- und Glaubensstrukturen sein, dann dienen sie vielleicht der Anpassung des Menschen an die Rolle, in die er sich reindenken, reinzuspielen hat oder dann vielleicht auch will. Wer spielt schon gerne Monopoly bis zum bitteren Ende, wenn ein anderer Mitspieler die Schlossallee und Parkstraße hat? Spiel dient nach Brain Sutton-Smith (1924-2015) der Erweiterung des adaptiven Verhaltenspotentials. Er betrachtet das Spiel als Dialektik, als freiwillige Aktion, die reversible Handlungen ermöglicht. Eine dieser umkehrbaren Handlungen, wäre, sich über die Eigentums- und Vermögensverteilung innerhalb eines Spieles so auszutauschen und abzustimmen, dass es allen Mitspielern wieder Spaß und Spannung bereitet mitzuspielen.

4.5. Spiel- und Konfliktlösungskompetenzen

Spielen sollte man können. Spielkompetenzen bilden die Grundlage für Konfliktlösungskompetenzen. „In den Spielen spielt sich das Drama zwischen Menschen ab, im Einzelspiel zwischen Emotionen.“

Brian Sutton-Smith (s. Zitat) hat diese Dramen mit seinen Beschreibungen zu den sieben Rhetoriken des Spiels spezifiziert. In Analogie zu diesen „Rhetoriken“, die zum Ziel haben, Spannungsverhältnisse und Konflike aufzulösen, eine Selbstreflexion zu ermöglichen, Selbstwirksamkeit und das eigene Selbstkonzept zu überprüfen, erlauben wir uns, diese Aspekte zu konkretisieren. Zu spielen trägt dazu bei, folgende Konflikte lösbar zu gestalten:

  • Fortschrittskonflikte: Spiel bildet Fähigkeiten aus und übt neue Fertigkeiten ein, schafft Persönlichkeitsentwicklung
  • Konflikte mit dem Schicksal: Spiel dient dem Umgang mit dem Unbeständigen, Unbestimmten, Unvorhersehbaren und dem Chaos
  • Machtkonflikte: Spiel dient der Repräsentation von Machtsituationen und deren Umkehrung (u.a. Sport, mathematische Spieltheorie)
  • Identitätskonflikte: Spiel dient der Feierlichkeit, den Festen und Paraden, schafft Gründe für Massenveranstaltungen, liefert Möglichkeiten der Identifikation
  • Konflikte mit der Wirklichkeit: Spiel dient der Kreativität, Kunst, Transformation, Veränderung, Innovation und Flexibilität
  • Konflikte mit dem Selbst: Spiel liefert subjektive Erfahrungen, bietet Impulse für die Jagd nach Spaß, Erholung, Flucht, Nervenkitzel
  • Leistungskonflikte: Spiel ist Müßiggang, Frivolität, Trivialität, Katharsis, Zeitverschwendung, ist der Gegenpol zur Arbeit, zum Ernst

Spielkompetenzen beschreiben somit für uns die Abstraktions- und Variationsfähigkeiten von Menschen im Austausch mit Dingen und Mitmenschen zur Erweiterung ihres adaptiven oder innovativen Verhaltenspotentials unter der Berücksichtigung von Belebung und Vergnügen in der Balance zwischen Über- und Unterforderung.

4.6. Zwischenfazit „Game“

Halten wir fest, dass das Spielen mit Spielregeln und die Definition eines Spielfeldes unter Nutzung von Spielmitteln, wie z.B. Spielsteinen, Karten, Würfeln oder Avataren unter der Anwendung und freiwilligen Akzeptanz von Spielzielen zu einem Regelspiel als Gesellschaftsspiel und somit zu einem Brettspiel (Brettspieldatenbank spielen.de), Kartenspiel oder Computerspiel führt.

Das Spielen mit Regeln kann zu Kulturen und Regelsystemen führen, ebenso können Kulturen Spiele initiieren, mit dem Ziel, den Anpassungs- und Identifikationsprozess des Individuums mit dieser Kultur zu ermöglichen. Mit Hilfe erlernter Spielkompetenzen passt sich der Mensch seiner Umwelt an oder verändert sie spielerisch. Dazu ist das freie Spiel, der spielerische Umgang mit Spielzeug sowie die Nutzung von Regelspielen die Grundlage. Komplexe Gesellschaften benötigen dann auch komplexe Spiele.

Um diese durch erfundene Ordnungen und von Game Desigern formulierten regulativen Ideen eindeutig zuzuordnen und charakterisieren zu können, nennen wir diese Katagorie „Game“.

5. Spielen mit und um Geld

Das Glücksspiel wird als solches bezeichnet, wenn der Spieler einen „Einsatz“ zu tätigen hat in Form von echtem Geld oder etwas anderem Wertvollen. Der Spielverlauf ist nicht an die Fähigkeiten des Spielers gebunden, das Spielergebnis erscheint aufgrund von Zufallskompenenten mit ungewissem Ausgang. Die Absicht des Spielers, das Spielmotiv, besteht primär aus dem in Aussicht gestellten Gewinn von Geld oder Sachgütern. Kennzeichen für ein Glücksspiel sind: Der Einsatz (Preis), der Zufall und der mögliche Gewinn.

.Der Bedeutung des Zufalls und die Verteilung von Gewinnscheinlichkeiten können je nach Spielprinzip sehr unterschiedlich sein. Reine Glücksspiele, wie Roulette oder Lotterien unterliegen zumeist staatlicher Kontrolle. Die Einschätzung, ab wann ein Spiel einen so hohen Zufallsanteil hat, dass es als Glücksspiel gilt, können nationale Gesetze sehr unterschiedlich interpretieren. Somit gibt es internatinal gravierend unterschiedliche Definitionen für legale und illegale Glücksspielangebote.

Generell wird in Deutschland das legale Glücksspiel über den Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) der 16 Bundesländer geregelt. Seit Jahren wird auf europäischer Ebene diese deutsche, monopolistische Reglementierung kritisiert und auf eine Öffnung gedrängt. Parallel dazu bestimmen über die Aufstellung von Spielautomaten in Deutschland die Kommunen. Das deutsche Strafgesetzbuch verbietet prinzipiell das kommerziell orientierte, öffentliche Glücksspiel (§ 284 und § 287) und stellt es unter Strafe ebenso wie die Werbung dafür (zumeist digital aus dem Ausland).

5.1. Der Ursprung der Glücksspiele

Nigel Pennick: "Ursprünge der Weissagungen", 1992

So wie die vorangestellten Spielkategorien, basiert auch das Glücksspiel auf einer Geschichte von tausenden von Jahren. Verunsicherte und neugierige Menschen suchten mit Hilfe von Wahrsagern, Schamanen, Medizinmännern, Magiern und Orakeln Informationen über die unkalkulierbare Zukunft und ihr Schicksal zu gewinnen.

Mit dem Lesen in blutigen Eingeweiden oder wild durch die Gegend geworfenen Knochen oder dem Analysieren von Handfalten gegen ein Entgelt oder ein Opfer ist der Ursprung  des Glücksspiels zu sehen. Okulte Praktiken führten zum spielerischen Umgang mit dem angeblich so zu beeinflussenden Schicksal. Es wurde der Versuch unternommen, persönlich gewinnbringende Konstellationen zu erzeugen. Nigel Pennick (*1946) bezeichnete den Einsatz von Orakeln, heiligen Zahlen (s. Beispiel „Königsspiel von Ur“) und magischen Quadraten als „Spiele der Götter“.

Der Mensch hat schon immer danach gestrebt, die Beschränktheit von Körper, Ressourcen und Zeit zu überwinden. Die Grenze des menschlichen Wissens muss doch irgendwie zu überschreiten sein. Das verborgene Wissen muss offenzulegen sein, um den Lauf der Dinge manipulieren und für sich persönlich nutzen zu können. Dieser dringenden Nachfrage folgte ein umfassendes, kreatives Spielangebot.

5.2. Die Würfel sind gefallen

Mit den ersten Brettspielen 3.000 Jahre v. Chr. kamen die ersten sechsseitigen Würfel zum Einsatz. Hergestellt wurden sie aus Knochen oder Elfenbein in China oder Mesopotamien. Die mit Punkten versehenen Würfelflächen wurden wahrscheinlich erstmals 2.000 v. Chr. in Ägypten hergestellt.

Würfel 1-6

Das Wetten auf Kampftiere war in China im 1. Jahrhundert sehr beliebt, so entstanden dort erste Spielbanken. In Europa eröffnete das „Ridotto“ als erstes staatlich lizensierte Casino 1638 in Venedig. „Ridotto“ (ital.) = reduziert, mit der Bedeutung „der private Raum“ oder Casino = „kleines Haus“. In Deutschland eröffnete die erste Spielbank 1720 in Bad Ems. Für die Wüstenstadt Las Vegas (Nevada, USA) ist das Glücksspiel inzwischen zum tragenden Wirtschaftsfaktor mit jährlich über 40 Millionen Touristen und Einnahmen von über 40 Milliarden US-Dollar geworden (Zahlen aus 2014).

Das legal organisierte staatliche Glücksspiel ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Vor der Gründung der ersten Spielbanken und Casinos wurden schon Lotterien veranstaltet, so z.B. eine der ersten großen Ausspielungen 1614 in Hamburg. In Österreich führte die Kaiserin Marie Theresia 1751 über die Vergabe einer Lotto-Lizenz das Zahlenspiel ein. Es reichten nicht mehr die Würfel, jetzt rollten die Kugeln mit Zahlen, heute immer noch in Deutschland, jeden Mittwoch und jeden Samstag: 6 aus 49.

5.3. Automatisiertes Glücksspiel

Morris: "Lucky Luke - Der einarmige Bandit", Comic-Band 33, 1982

Der erste „Einarmige Bandit“ oder die „Slot-Maschine“ wurde von den US-amerikanischen Brüdern Adolphe und Arthur Caille 1889 unter dem Namen „Black Cat“ entwickelt und betrieben. Mit dem „Trick“, dass beim Geldeinwurf auch Musik ertönte, konnten die beiden Brüder in manchen US-Bundesstaaten die Glücksspielgesetze umgehen. Seitdem hat sich die Spielautomatenindustrie mit einem umfangreichen Milliardengeschäft etabliert. Der Comiczeichner Morris widmete den Legenden um diesen ersten Glücksautomaten den Lucky Luke Band 33.

Die angebotenen Spiele verfügen über keine hohe Spieltiefe. Sie sind noch nicht einmal von der Komplexität her mit Casualgames vergleichbar. Die „Maschinen“, von denen eigentlich jeder rational weiß, dass es eher Unglücksspiele sind, erfreuen sich innerhalb einer speziellen Zielgruppe immer noch einer hohen Beliebtheit. Den Gang in die „Spielothek“ oder „Spielhalle“ wird unternommen, obwohl alle Spieler wissen, dass am Ende immer der Automat (und sein Eigentümer) gewinnen.

Der Algorithmus der Daddelautomaten ist so programmiert, dass der Spieler ab und zu überschäumende Glücksgefühle (Dopamin) mit einem Gewinn einfährt. Diese Gefühle vernebeln dann den Verstand in der Art, dass dem Spieler der Verlust, den er in Summe erleidet, kaum auffällt. Psychisch labile Menschen fallen auf diesen gelenkten Mechanismus herein, geraten gegebenenfalss in ein Abhängigkeit, wartend auf den nächsten Dopamin-Schub. Aber jedes neue Spiel kostet Geld.

5.4. Spielsucht

Das Phänomen der Spielsucht tritt besonders offensichtlich beim kurzweiligen Automatenspiel auf, wenn es eben nicht mehr kurzweilig ist, sondern durch den Verlust der willentlichen Kontrolle zu einem lang andauernden Wiederholungsspielverlauf kommt. Pathologisches Glücksspiel ist als Krankheit anerkannt. Kriterium für eine Sucht ist der Verfall sozialer, beruflicher, materieller und familiärer Werte sowie der  Verpflichtungen, die sich aus den eigentlich auszufüllenden, verschiedenen sozialen Rollen ergeben. Der Spielsüchtige schädigt oft nicht nur sich selbst mit seinem Verhalten, sondern auch das seiner engsten Mitmenschen.

Pathologisches Glücksspiel

Das Diagnoseklassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation (WHO), das International Classification of Diseases (ICD-10) sowie das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) von der der American Psychiatric Association (APA) werden heute für die Diagnose von Glücksspielsucht herangezogen. Ab dem Zutreffen von vier Kriterien aus dem neun Kriterien umfassenden Bewertungssystem bei einem Spieler, die mindestens über 12 Monate Relevanz haben, wird von einem Suchtverhalten gesprochen.

Es stellt sich die Frage, ob die Glücksspiele das krankhafte und schädigende Verhalten beim betroffenen Spieler auslösen oder nicht eher tieferliegende psychische Probleme eines Menschen durch das Spielangebot bedient und ausgenutzt werden. Hier liefert die Wissenschaft noch keine eindeutigen Hinweise. Jedenfalls haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Initiativen gebildet, die sich präventiv oder auch aktut gegen spielerisches Suchtverhalten engagieren, wie z.B. „Check Dein Spiel“ mit Notfalltelefon.

5.5. Abgefragte Spielmotive für das Glücksspiel

Alle zwei Jahre führt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zum Glücksspielverhalten der Deutschen eine Befragung durch. 2017 motivierten die Menschen, die ihr Geld für Glücksspiele ausgeben, folgende Gründe, wenn sie „rational“ erklären sollten, warum sie spielen (Mehrfachnennung möglich): 1. Geld gewinnen (68,1%), 2. Aufregung (26,7%), 3. Geselligkeit (14%), 4. Entspannung (8,6%), 5. Ablenkung (6,3%), 6. Sich auskennen (4,8%), Ungestört sein (1,8%).

Hinter dem Motiv „Geld gewinnen“ steckt dann eben auch der Wunsch, dem Schicksal ein kleines Schnippchen zu schlagen.

Weitere Informationen und Hintergründe zum Glücksspiel auf der Website des Instituts für Ludologie: Hier.

5.6. Zwischenfazit „Gambling“

Halten wir fest, dass das Spielen mit Spielregeln, die Definition eines Spielfeldes unter Nutzung von Spielmitteln, wie z.B. Spielsteinen, Karten, Würfeln oder Avataren unter der Anwendung und freiwilligen Akzeptanz von Spielzielen zu einem Regelspiel als Glücksspiel führt, wenn Geld oder Sachpreise zu gewinnen sind.

Glücksspiele bilden innerhalb der Regelspiele eine Sonderform, weil sie neben einer persönlichen Spielerfahrung besonders durch den Spieleinsatz eine unverzügliche Auswirkung auf materielle Ereignisse in Form von Gewinn und Verlust mit einer Bedeutung für die reale Welt haben.

Um diese Form einer erfundene Ordnungen mit materiellen Auswirkujngen eindeutig zuzuordnen und charakterisieren zu können, nennen wir diese Katagorie „Gambling“.

6. Spielen mit dem eigenen Körper

Aus dem natürlichen Spiel mit dem eigenen Körper, den Bewegungsspielen, haben sich in Kombination mit Spielmitteln (z.B. Ball) und regulativen Ideen (Spielfeld, Spielregeln, Spielzielen) Spielformen entwickelt, die wir heute „Sport“ nennen.

6.1. Sportspiele

Der Begriff „Sport“ ist nicht eindeutig definiert und hängt von sozialen, rechtlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen ab. Während der Olympische Sportbund den Fokus seiner Betrachtung auf die körperliche Betätigung legt, so sind der Motorsport oder auch das Denk- und Strategiespiel Schach ebenso als Sportform anerkannt.

Fußball, Handball, Volleyball oder Basketball werden mit einem Spielmittel (Ball) gespielt. Aber man spielt sprachlich nicht Judo, Ringen, Boxen, Turnen, Schwimmen, Reiten, Segeln oder Tanzen. Hier sorgen die Wettkampfformen dafür, dass aus diesen Bewegungsspielen eine Sportart entsteht.

Geschichtlich beginnt der Sport in Europa im antiken Griechenland (1.600 v.Chr.) und die generell ersten Dokumente sportlicher Aktivitäten sind im alten Ägypten durch grafische Darstellungen belegt (3.000 v.Chr.).

6.2. eSport-Spiele

eSports - Sport auf der Basis von Computerspielen

Aktuell wird politisch diskutiert, ob eSport dem Sport zugerechnet werden kann. Der Begriff „eSport“ (oder auch E-Sport, eSports etc.) umfasst alle sportlichen Wettkämpfe zwischen Menschen und Mannschaften (Teams) innerhalb des Mediums der Computerspiele.

Auf der Grundlage der  bedienungsbedingten Beherrschung eines Computerspiels setzt ein Spieler unterschiedliche motorische und geistige Fähigkeiten in dem Spielverlauf ein. Reift diese Beherrschung druch ausreichendes Training heran, so wird die Gewinnwahrscheinlichkeit im Wettkampfmodus erhöht.

Besonders sind im eSport die Reaktionsgeschwindigkeit, das Konzentrationsvermögen und damit ebenso die Ausdauer, das Durchhaltevermögen, für einen erfolgreichen Verlauf ausschlaggebend. Dazu bedarf es es neben des Spielverständnisses und der taktischen Anforderungen einer gut ausgeprägten Hand-Augen-Koordination, eines räumlichen Orientierungsvermögens, vorausschauender, kreativer, außergewöhnlicher gedanklicher Operationen (laterales Denken) und einer ausgeprägten Spielübersicht. Da es sich zumeist um einen Mannschaftssport handelt, ist darüber hinaus eine ausgeprägte Teamfähigkeit notwendig.

In Deutschland begann die Organisation des eSport als Breitensport erst zögerlich, weil politische und bürokratische Prozesse einer Anerkennung oder gar Unterstützung lange Zeit im Wege standen. Seit 2017 besteht der ESBD – eSport-Bund Deutschland e.V., der die eSport-Aktivitäten gegenüber anderen Sportverbänden in Deutschland vertritt und sich kooperativ damit einbringt, bei bestehenden Sportvereinen, die Einrichtung von eSport-Abteilungen zu unterstützen.

7. Fazit und Ausblick

Dieser Artikel gibt einen kurzen Überblick über die Vielfalt rund um das menschliche Grundphänomens des Spielens sowie den Themen der Ludologie als Teil der Spielwissenschaften.

„Play“ beschreibt das freie Spiel, das Explorationsspiel, das Betreben, aus einer Unsicherheit mit Fragen, dem Chaos, eine Sicherheit mit Antworten und Kontrolle zu entwickeln. Menschen und Tiere möchten Muster erkennen können, Verlässlichkeit und Vertrauen zur Umwelt aufbauen können. Mit dem durch die Sprachkompetenz ermöglichten Bewusstsein entwickeln wir Menschen Phantasiespiele, die sich mit den Ausprägungen Abhängigkeit und Freiheit auseinandersetzen. Mit dem daraus folgenden Rollenspiel mit seinen Möglichkeiten der Nachahmung und der eigenen Identitätsbildung, wird die Schnittselle zur nächsten Spielkategorie geöffnet.

Von „Toy“ sprechen wir, wenn Spielmittel, Symbole, Materialien, Verkleidungen zum Einsatz kommen. Wenn diese Materialien zielgerichtet verwendet werden, reden wir vom Konstruktionsspiel, dass zwischen den Polen Verbinden und Zerstören ozsilliert.

Sobald nicht nur mit Bauklötzen oder Legosteinen reale Gebilde entstehen, sondern gedanklich konstruierte, erfundene Ordnungen mit reulativen Ideen zu Regelspielen führen, die ein Spielziel mit Hilfe von Spielregeln auf einem eingegrenzten Spielfeld verfolgen, dann reden wir vom „Game“. Mit der freiwilligen Akzeptanz der Regeln, werden die darin enthaltenen Verhaltensanweisungen der Inklusion (Mitspieler) und Exklusion (Ausgeschlossene) durchgeführt. Das Simulationsspiel, kombiniert mit der Freiheit, Spielparameter variabel zu halten, führt zu einem intensiveren gedanklichen Austausch zwischen Virtualität und Realität.

Kommen Geld oder Sachwerte im Rahmen von Regelspielen zum Einsatz, so verschiebt sich die Motivlage für das Spielen eines Spiels und wir befinden uns im „Gambling“.

Betrachten wir den Ausgangspunkt der Bewegungsspiele und der sich bis heute umfangreich entwickelten Sportspiele, so müssen diese ebenso ein Element der ludologogischen Betrachtungen, Analysen und der entsprechenden Erklärungsansätze sein. „Sport“ und speziell „eSport“ liefern als Mischformen von Play, Toy, Game und Gambling zahlreiche Fragestellungen und Erscheinungsformen des Spielens, die für die wissenschaftliche Forschung relevant sind.

Im Unterschied zu den Sportwissenschaften sind die Spielwissenschaften jedoch mit Blick auf ihre politische Bedeutung noch stark auszubauen. Die öffentliche Förderung und Finanzierung erfolgt zumeist über die Lobbyarbeit entsprechender Verbände. Mit der Fusion der Verbände BIU und G.A.M.E. zum game – Verband der Deutschen Games-Branche e.V. am 29. Januar 2018 besteht die Hoffnung, dass auch die Themen der kultur- und wirtschaftspolitisch bedeutenden Spielwissenschaften, ihrer gesellschaftlichen Relevanz entsprechend, einen elementaren Forschritt erleben.

Parallel dazu setzt sich die Spiele-Autoren-Zunft für das Kulturgut Spiel seit Jahren ein. Sie fordert, dass die Deutsche Nationalbibliothek, die ansonsten Print- und Online-Publikationen sammelt, auch die für den deutschen Spielemarkt relevanten Spiele erfasst und somit wissenschaftlich auswertbar zur Verfügung stellt.

Es bleibt stark zu hoffen, dass die deutsche Politik, ob auf Bundes-, Landes- oder kommunaler Ebene dem Kulturgut Spiel, ob analog oder digital, mehr Bedeutung in Kultur, Wirtschaft, Bildung und Wissenschaft zukommen lässt. Dieses Kulturgut ist ebenso ein relevanter Wirtschaftsfaktor und die Grundlage für elementare gesellschaftliche und persönliche Entwicklungen.

 

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