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»Den Briten die Leviten lesen« - DER SPIEGEL
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INTERVIEW »Den Briten die Leviten lesen«

Der ehemalige Redakteur Leo Brawand, 82, über die Anfänge des SPIEGEL
aus DER SPIEGEL 2/2007
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

SPIEGEL: Herr Brawand, Sie waren im Oktober 1946 dabei, als der Vorläufer des SPIEGEL, die Zeitschrift »Diese Woche«, gegründet wurde. Wie sah Ihr erster Arbeitstag aus?

Brawand: Das war ganz undramatisch. Wir kamen im Anzeiger-Hochhaus in Hannover in einem Großraum zusammen. Major John Chaloner war da, rauchte dauernd Zigaretten, und zwei britische Stabsfeldwebel waren da. Dann haben sie uns die britische »News Review« und das amerikanische Magazin »Time« auf den Tisch gelegt, und Chaloner sagte: »So wollen wir es etwa machen. Harry Bohrer, der Stabsfeldwebel, wird euch jeden Tag Zeitungen und Meldungen hinlegen. Wir werden euch dieses Leitartikel-Gefasel austreiben und ein Nachrichten-Magazin machen.«

SPIEGEL: Und was sagte Rudolf Augstein dazu?

Brawand: Augstein war in dieser ersten Sitzung ganz ruhig. Es wurde alles von Bohrer, der gut Deutsch sprach, erklärt, und es ging ganz unspektakulär zu. Augstein hat später einmal eine große Ansprache daraus konstruiert. Wir hätten als junge Geister den Freiheitsgedanken hochhalten wollen. Aber das war reichlich übertrieben.

SPIEGEL: Wie waren die Redaktionsräume ausgestattet?

Brawand: Ich saß auf einem Gartenstuhl und hatte auch einen Gartentisch. Unsere Texte mussten wir auf die Rückseiten von Meldungen schreiben, die von United Press kamen. United Press hatte uns einen Fernschreiber gestiftet, dafür musste ich - das war die Absprache - jede Woche drei oder vier Meldungen aus Hannover liefern, sozusagen als Leihgebühr.

SPIEGEL: Wie gut verstanden sich Chaloner und Augstein?

Brawand: Chaloner war vor allen Dingen mit uns in einem Punkt einig: Diese Scheiße mit diesem Krieg und mit diesen kommandierten Pressezeitungen, wie es unter Goebbels war, wollten wir alle beseitigen. Da traf sich Chaloners Auftrag, die Deutschen umzuerziehen, mit unseren Ansichten. Ein großer Teil von uns war verwundet worden. Wir waren wahnsinnig enttäuscht, wie die ganze junge Generation. Deshalb wollten wir alles neu und besser machen. Und Augstein war der Chef, vom ersten Tage an war das klar, und er war auch der Tüchtigste.

SPIEGEL: Wissen Sie, warum die Briten ausgerechnet den ganz jungen Rudolf Augstein zum Chef gemacht haben?

Brawand: Augstein hatte bereits ein Jahr lang ein Nachrichtenblatt in Hannover gemacht. Und was Chaloner sehr beeindruckt hat, war, dass Augstein kein Blatt vor den Mund nahm. Chaloner sagte: »Da saß nun einer, der mit uns auf Augenhöhe operiert und diskutiert hat, während alle anderen doch immer sagten: 'Jawohl, Herr Major, sehr richtig, Herr Major.'« Augstein sagte das überhaupt nicht. Er hatte immer seine eigene Meinung, und er war in dem Sinne auch mutig.

SPIEGEL: Wie waren die Reaktionen auf diese ersten Ausgaben der »Woche«?

Brawand: Die erste Ausgabe hatte, was die Leser angeht, große Begeisterung ausgelöst, vor allem wegen eines Artikels über die Hungersnot in Deutschland. Die Leute sagten: »Donnerwetter, da sind jetzt welche, die mal endlich auch den Briten die Leviten lesen.« Die Briten waren natürlich völlig von den Socken und waren wütend. Es hat ja auch dann hinterher großen Ärger gegeben mit der Leitung in Bünde, das war die oberste Behörde für die Presse.

SPIEGEL: Offenbar gab es dann kurz darauf eine Geheimorder an Chaloner.

Brawand: Chaloner hat erst einmal abgewiegelt und hat sich damit herausgeredet, dass es doch um die Pressefreiheit gehe. Ende Dezember 1946 kam dann von den Briten die Anweisung: »Das Blatt wird entweder eingestellt, oder es bekommt einen neuen Namen und neue Lizenzträger.«

Im Januar 1947 setzten die Briten dann einen kleinen Kasten ins Heft, in dem stand: »Die für die Herausgabe zuständigen britischen Behörden haben entschieden, dass die Zeitschrift nun unter unabhängiger deutscher Leitung herauskommen kann.« Mit anderen Worten: Es ist jetzt reif genug. Alles Quatsch. Die hatten keine andere Lösung und sich nicht mehr getraut, Augstein abzuservieren. Von nun an hieß das Heft DER SPIEGEL.

SPIEGEL: Wie war denn die Stimmung in diesen ersten Wochen und Monaten in der Redaktion?

Brawand: Es war im Grunde genommen wie in einer großen Wohngemeinschaft. Wir haben gefeiert, dass die Heide wackelte, mit Rübenschnaps und mit einem Schnaps, von dem man leicht blind wurde, irgendwas mit Methylalkohol. Und in dem Hochhaus, da oben in der 6. oder 7. Etage, da haben eine Sekretärin und ein Volontär mal getanzt, auf einem Sims, von dem sich schon ein halbes Dutzend Selbstmörder in die Tiefe gestürzt hatten. Es waren unglaubliche Zustände. INTERVIEW: BRITTA SANDBERG

* Im beschlagnahmten Roadster des NS-Außenministers Joachim von Ribbentrop.

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