»WIE ES UNSER EXPLORAND SEHR SCHÖN ZEIGT«
Er wird ausgebeutet: einerseits, indem man ihn als einen Sündenbock herrichtet, vor dessen wüstem Bild die eigene Wohlanständigkeit wie ein Christbaum strahlt; andererseits, indem man ihn buchstäblich ausbeutet. An Erich von Däniken, 34, verdienen alle.
Als von Däniken, Verfasser des im Düsseldorfer Econ Verlag erschienenen Buches »Erinnerungen an die Zukunft«, am 18. November 1968 in Wien auf Betreiben der Staatsanwaltschaft des Kantons Graubünden verhaftet wurde, waren sogleich jene Freunde zur Stelle, vor denen man sich fürchten muß. Bis zur Überstellung von Dänikens nach Chur im Februar 1969 entfalteten sie eine publizistische Aktivität, die nur vorgeblich der Sorge um den verfolgten Bestseller-Autor entsprang,
Statt sich mit dem Strafverfahren der Schweiz auseinanderzusetzen, wozu der Fall von Däniken auch schon damals Anlaß bot, griffen die sogenannten Freunde die Schweizer Justiz, im besonderen die des Kantons Graubünden, auf das persönlichste an: »Das ist behördliche Willkür.« Wo etwa die Stellung der Staatsanwaltschaft in der Schweiz zu erörtern gewesen wäre, diskriminierte man blindlings. Es ging eben nicht um grundsätzliche Fragen gelegentlich von Dänikens, sondern um einen Gewinn an unspezifiziertem Mißtrauen gegenüber der Justiz,
Auch die Graubündner Staatsanwaltschaft war nun nicht faul und »schoß zurück. Unmittelbar nach der Auslieferung von Dänikens veranstaltete sie eine Pressekonferenz, die keineswegs allein der trockenen Erläuterung ihres Vorgehens in dieser Sache diente, sondern einen totalen, weit in die Zukunft wirkenden Sieg über jede Neigung zur Auseinandersetzung mit der Beschaffenheit der Justiz zum Ziel hatte. Die Warnung »Denkt an den Bumerang von Däniken« sollte fortan über jeglicher Justizkritik stehen.
Die Staatsanwaltschaft Graubünden errang einen vollen Erfolg, indem sie vier Vorstrafen von Dänikens bekanntmachte und obendrein -- nicht ohne List -- die psychiatrischen Beurteilungen von Dänikens einführte, zu denen es im Zusammenhang mit seinen Vorstrafen gekommen war. Denn während sich die Paulusse eilends In Saulusse zurückverwandelten, hat sich tatsächlich bis heute niemand zu der Frage vorgewagt, ob nicht die rechtliche Stellung des Verdächtigen und Angeklagten im Strafverfahren der Schweiz unter gewissen Umständen höchst bedenklich ist.
Gelassen verharrt die Anklage im Däniken-Prozeß, der am Montag vergangener Woche in Chur begann, in ihrer hinsichtlich der persönlichen Integrität ihrer Akteure von schnödem Verdacht befreiten und vom Gesetz genehmigten Haltung. Und auch das mit fünf Juristen besetzte Gericht demonstriert, indem es in verblüffender Öffentlichkeit verhandelt (es durfte während der Sitzung gefilmt werden), daß nichts geschieht, was den Gesetzen widerspräche. Nur: Was alles lassen diese Gesetze zu.
Sie ließen zu, daß der Psychiater Im Auftrag des Untersuchungsrichters tätig wurde, der keine unabhängige Instanz, sondern der Staatsanwaltschaft untergeordnet ist. Die Fragen, zu denen sich der Psychiater zu äußern hatte, wurden ihm vom Untersuchungsrichter und der Staatsanwaltschaft aufgegeben. Als der Psychiater sein Gutachten erarbeitete, legte er die Schuldfeststellungen der Anklage als zutreffend zugrunde -- die erst vom Urteil als zutreffend oder unzutreffend befunden werden sollen.
Die Verteidigung von Dänikens hat gegen das Gutachten schon am ersten Tag protestiert und einen weiteren Gutachter beantragt. Das Gericht kommt ihr nur insofern entgegen, als es den bestrittenen Gutachter lädt, auf daß dieser sich zur gegen sein Gutachten vorgetragenen Kritik äußere und Fragen beantworte. Und so steht denn da der Herr Dr. med. Erich Weber, »Spezialarzt« für Psychiatrie und Direktor der Psychiatrischen Klinik Beverin, ein großer und derart gestandener Herr, daß er einem Wandgemälde von Hodler entsprungen scheint.
Der Herr Gutachter, der also von der Unterstellung aus tätig wurde, »daß die Anklageschrift zutrifft«, steigt tief in die Familiengeschichte der von Dänikens hinab, Auch der Vater des Angeklagten soll viele Versprechungen gemacht haben, »die er nicht halten konnte«. Auch die zweitälteste Schwester des Angeklagten »führt ein sehr bewegtes Leben. Der Vater war in Sorge wegen erblicher Belastung. Ein Bruder des Angeklagten hat Konkurs gemacht. Herr Weber ist zu dem Ergebnis gelangt, daß von Däniken strafrechtlich voll verantwortlich ist. Warum muß er, weit über die Begründung dieser gutachtlichen Feststellung hinaus, in eine totale Abschilderung von Dänikens hineingeraten, die nichts anderes ist als eine verbale Hinrichtung? »Wie es unser Explorand sehr schön zeigt, sagt Herr Weber gelegentlich. In der Tat, wie schön.
Herr Weber liest aus einem Brief der Mutter des Angeklagten vor und offenbart auf diesem Wege, was die Anklage nicht einführen könnte, daß auch der Vater des Angeklagten einmal im Zuchthaus einsaß. Herr Weber disputiert ausführlich, ob der Angeklagte homosexuell oder »bisexuell« sei oder nach einer Hodenoperation in jedem Fall triebschwach. Herr Weber erwähnt, daß man nicht leichten Herzens über einen Menschen gutachtet. Man siebt die Last auf ihm und ist für ihn froh, wenn er, nach ausführlicher Erörterung, ob homo oder bi, denn doch daran erinnern kann, daß die sexuelle Seite relativ unbedeutend für die Beurteilung sei.
Wie gesagt: Ejaculatio praecox, Hodenatrophie, Mutterbindung, Onaniekatastrophe mit vierzehn und die Ehefrau als erstes Erlebnis: dies alles ist relativ unbedeutend -- doch gesprochen werden muß davon, Der »Explorand« hat nach seiner Inhaftierung Frau und Kind zum erstenmal im Dienstzimmer des Gutachters wiedergesehen. Und wenn dessen Anwesenheit auch »hemmend« gewirkt haben mag, so konnte der Gutachter doch feststellen, daß von Däniken nur eine »absolut oberflächliche Beziehung mit Frau und Kind« hat; Herr Weber kann eben die Hemmung subtrabieren, und danach bleibt diese absolute Oberflächlichkeit.
»Viele Gefühlchen, aber kein Gefühl«, Unfähigkeit zu einer »echten, tiefen Bindung"« eine Psychopathie liegt also vor, doch keine, die strafrechtlich entlastend wäre, denn in alles, was der »Explorand« getan hat, kann man sich durchaus einfühlen; warum dennoch ein derartiger gutachtlicher Aufwand nötig war, ist für Herrn Weber keine Frage, da sich von Däniken in seinen Augen »zu einem Grollbetrüger entwickelt hat«. Herr Weber xviii sich in der Sitzung eigentlich nicht zu den Erfolgsbüchern von Dänikens äußern, zitiert aber dann doch einen »neutralen Kritiker": einen Verriß also.
Für Herrn Weber ist von Däniken ein Betrüger, der mit zwei Erfolgs-Büchern den Gipfel seiner betrügerischen Tätigkeit erklommen hat. Herr Weber hat als Psychiater nichts zu den Büchern und ihrem Erfolg zu sagen, doch er kann es sich einfach nicht versagen. »Mit diesem Buchtitel ("Erinnerungen an die Zukunft") kann ich persönlich nichts anfangen«, ironisiert Herr Weber, denn er »kann in Gottes Namen die Zukunft nicht erinnern«, Und in seinem schriftlichen Gutachten, daß die Staatsanwaltschaft in der Schweiz in ihrer Anklageschrift zitieren darf, da ist Herr Weber ja auch schon massiv geworden: da ist vom »Leser« die Rede, dem gegenüber es von Däniken nicht auf den Wahrheitsgehalt, sondern auf »Verblüffung« durch »Art und Weise der Formulierung« ankomme.
Herrn Webers Gutachten und sein Auftreten machen sichtbar, daß es wenigstens für ihn und die Anklage in der Sache von Däniken um mehr als die nach dem Strafgesetzbuch zulässigen Vorwürfe geht, ohne daß sie sich dessen bewußt wären. Herr Weber zitierte, in kokettem Widerstreben, aber eben denn doch, »Jasmin« als Quelle für die Einstellung der Ehefrau von Dänikens zu ihrem Mann. Herr Weber bemerkte in Chur, was den Stil seines Gutachtens angehe, so müsse man Nachsicht üben: er verfüge nicht über einen Ghostwriter. Herr Weber spielte darauf an, daß von Dänikens Manuskripte vor der Drucklegung bearbeitet worden sind. Diese Anspielung aus dem Mund eines Gutachters war mehr als ungezogen.
In Chur indessen ist der Antrag auf Bestellung eines weiteren Gutachters abgelehnt worden. Das Strafverfahren der Schweiz beruht auf der Voraussetzung, daß alle Vorgänge, die der Hauptverhandlung vorangehen, mit vollkommener Objektivität abgewickelt werden. Erst in der Hauptverhandlung gilt die Staatsanwaltschaft als (von der Pflicht zur Objektivität nicht völlig entbundene) Prozeßpartei. Gewiß, das klärt das äußere Bild der Sitzung, in der Anklage und Verteidigung links beziehungsweise rechts hinter dem Angeklagten dem Gericht gegenübersitzen. Doch praktisch ist dieses Bild ohne Bedeutung, nachdem die Staatsanwaltschaft bis zur Hauptverhandlung das Verfahren in einer unüberbietbaren Weise beherrscht hat.
Hinzu kommt, daß sich das Kantonsgericht in Chur darauf beschränken kann, verlesen zu lassen, was die Zeugen vor dem Untersuchungsrichter zu Protokoll gegeben haben und was der Angeklagte darauf erwiderte. Dabei entfällt dann für die Verteidigung die Möglichkeit, mit den Zeugen um ihre Aussage zu ringen und ihnen vielleicht Ergänzungen oder Korrekturen abzugewinnen, die für den Angeklagten günstig sind. Um diese Ergänzungen und Korrekturen mußte der Untersuchungsrichter nicht bemüht sein, ohne daß er deswegen seine Pflicht verletzte.
Im Fall von Däniken beispielsweise hatte er lediglich zu fragen, ob die Zeugen von Däniken Kredite oder Zuwendungen eingeräumt hätten, wenn ihnen seine verworrene Finanzlage bekannt gewesen wäre. Die Antwort war stets, versteht sich, »Nein«. Damit konnte es für den Untersuchungsrichter sein Bewenden haben. Die Anklage im Fall von Däniken kam nach dem Gesetz zustande, doch ohne die Menschlichkeit, die das Gesetz nicht verbietet. Die Justiz hält es nun auch in Gestalt des Gerichts für erforderlich, vor Augen zu führen, wie bodenlos die Kritik an ihrem Vorgehen in der Sache von Däniken war. Das Gericht verhandelt bislang nahezu ausschließlich auf der Basis der Protokolle des Untersuchungsrichters.
Da muß denn gesagt werden, daß der Angeklagte in einem Strafprozeß vor dem Kantonsgericht in Graubünden in eine Lage geraten kann, in der er keine prozeßrechtliche Chance hat, sich affektiver Einflüsse zu erwehren, gegen die der Rechtsstaat andernorts sein Strafverfahren zu schützen versucht. Der Prozeß gegen von Däniken findet in der Laube der selbstgerechten und obendrein gesetzlich sanktionierten Voraussetzung statt, daß der Graubündner Charakter in seiner Uranständigkeit von sogenannten psychologischen Tatsachen nicht betroffen wird.
Von Däniken hat sich strafrechtlicher Verfolgung ausgeliefert. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ihn der Erfolg seiner Bücher in die Lage setzte, seine Verpflichtungen in Höhe von zirka 400 000 Schweizer Franken (von Restposten abgesehen, die strittig sind) zu erledigen, hat er einen immer größeren Tisch mit einem immer kleineren Tischtuch zu bedecken versucht. Doch schon das Ausmaß seiner Schulden auf dem Höhepunkt verbietet die These vom »Großbetrüger«, die der Psychiater Weber für angebracht hält. Schweizer Affären der jüngeren Vergangenheit sollten eine gewisse Gelassenheit gegenüber 400 000 Schweizer Franken zulassen.
Von Däniken hat geschwindelt und gelogen, als das Tischtuch immer kleiner wurde, auf die peinlichste Weise, ja schamlos. Ob seine Lügen allerdings unter dem Niveau liegen, auf dem in Geldnöten gelogen wird, kann man bezweifeln. Von Däniken hat Lotterie gespielt. Der Lotteriegewinn in Form von zwei Bestsellern entlastet ihn strafrechtlich nicht. Doch einer von den kapitalen Kriminellen wäre von Däniken auch dann nicht, wenn er schließlich nicht hätte zahlen können.
Wichtig wäre die Beantwortung der Frage schon, warum gerade von Däniken derart ohne Netz um Geltung kämpfte. Die Antwort Psychopathie reicht jedenfalls nicht aus. Da müßte schon tiefer analysiert werden. Wer in von Dänikens Bucherfolgen nichts als den Gipfel des Betrugs sieht, der sollte einmal andere Erfolge dieser Zeit darauf untersuchen, wieweit sie auf der Produktion unstreitiger Werte beruhen.
Aus Balzacs Kampf um Geld, bei Stefan Zweig nachzulesen, einem Kampf, der keineswegs ohne Lug und Trug und obendrein mit tollen Selbsttäuschungen geführt wurde, entstand, mag man einwenden, immerhin die Comédie humaine. Doch daß derartige Kämpfe heute von geringeren Naturen geführt werden und zu nicht mehr als Spielwiesen für die Phantasie der Zeitgenossen führen: kann man es von Däniken vorwerfen? Er ist die Trivialausgabe eines Schicksals, das es einmal gab.
Er habe nicht betrügen wollen, beteuert er wieder und wieder. Doch die anhaltende Verlesung des »Hätten Sie, wenn und die stereotype Antwort »Nein, selbstverständlich nicht« walzt ihn nieder. Er habe keinen Sinn für Geld, beteuert er. Der Herr von Wehrenalp, Eigentümer des Econ Verlags und also der Buchgeschäftsmann« der von Dänikens Bücher handelt, zahlt hartnäckig nicht mehr als sieben Prozent an den Autor und drei Prozent an den Bearbeiter, obwohl von Dänikens Auflagen in die Hunderttausende gestiegen sind. Das spricht wirklich dafür, daß von Däniken von Geld nichts versteht.
Es verdienen tatsächlich alle an ihm. Es ist nicht nötig, sie alle noch einmal aufzuführen. Gottfried Keller, ein anderer Schweizer, sprach bereits in »Die drei gerechten Kammacher« von ihnen: »Solche Gerechte werfen keine Laternen ein, aber sie zünden auch keine an und kein Licht geht von ihnen aus ...«