Niedersachsen Gesicht verloren
Ernst Albrecht, 59, tat, als ginge ihn die ganze Sache nichts an. Als der hannoversche Landtag am Mittwoch letzter Woche das Resümee der Spielbanken-Affäre zog, in deren Zentrum der Ministerpräsident vor Jahresfrist gestanden hatte, setzte Albrecht ein feines Dauerlächeln auf - und schwieg.
Statt dessen bewältigten Parteifreunde aus der Fraktion die Vergangenheit, wie Albrecht es schon in der Woche zuvor im rechtsgeneigten Münchner TV-Magazin »Report« getan hatte: durch Weglassen störender Fakten.
»Eigentlich«, so Albrecht, habe es überhaupt »keine Spielbankenaffäre gegeben«, sondern lediglich eine »gezielte Kampagne« - mit der Absicht, »die Regierung von Niedersachsen zu stürzen«. Albrecht setzt auf die Vergeßlichkeit.
Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß hatte zunächst nur die Hintergründe der spektakulären hannoverschen Kasino-Pleite vom November 1987 aufklären sollen. Die CDU drückte jedoch durch, daß der Untersuchungsauftrag auf die Umstände der Konzessionsvergabe in den frühen siebziger Jahren erweitert wurde. Davon versprach sich die Union Munition gegen die damals regierende SPD, legte damit jedoch ungewollt die Fährte zu ihrem früheren Geldbeschaffer und Werbeberater Laszlo Maria von Rath, 67.
In den Parlamentsakten fand sich ein Vorgang, der Jahre zuvor schon Verwaltungsgerichte beschäftigt hatte, ohne daß allerdings Beweis erhoben worden war: Der PR-Manager von Rath hatte 1971 mit Bewerbern um eine Spielbank-Konzession einen Vertrag geschlossen, durch den sich angeblich die CDU über von Rath als Strohmann an einem Kasino beteiligen wollte.
Der ehemalige CDU-Berater, der bis Mitte der achtziger Jahre einen freundschaftlichen Briefwechsel mit Albrecht, dem CDU-Landesvorsitzenden Wilfried * Ortstermin des Untersuchungsausschusses. Hasselmann und dem früheren CDU-Generalsekretär Dieter Haaßengier geführt hatte, wurde von Journalisten in Florida aufgestöbert und bestätigte dort auf Befragen die Schilderungen seiner einstigen Vertragspartner.
Der ungeheuerliche Verdacht platzte im Juni vorigen Jahres in die sich hinziehenden Ermittlungen des Untersuchungsausschusses: Eine westdeutsche Partei sollte beabsichtigt haben, ihre Kasse durch Glücksspiel zu füllen. Als Gegenleistung habe sie einem Spielbankengesetz zugestimmt.
Die CDU versuchte den Vorwurf zu entkräften, indem sie den Belastungszeugen zum Lügenbaron stempelte: Die adlige Herkunft des Exil-Ungarn sei ebenso zweifelhaft wie seine akademische Bildung, und unumstößliche Beweise sei er schuldig geblieben.
Ohne kalendarische Aufzeichnungen, allein aus dem Gedächtnis, hatte von Rath in zahlreichen Interviews über die mehr als anderthalb Jahrzehnte zurückliegenden Vertragsverhandlungen berichtet. In seinem Bestreben, die Vorgänge möglichst detailgenau zu schildern, verhedderte er sich jedoch in Widersprüche, so daß er seine Äußerungen wiederholt korrigieren mußte.
Der CDU bot er dadurch die willkommene Möglichkeit, ihren einstigen Berater als unglaubwürdig hinzustellen, zumal von Rath seine Behauptungen nicht durch eindeutige schriftliche Belege untermauern konnte. Allerdings wäre es auch weltfremd anzunehmen, daß die Einfädelung des heiklen Deals zwischen der CDU und den Spielbank-Bewerbern - wenn er denn stattgefunden hat - schriftlich dokumentiert worden wäre.
Indem die CDU ihren früheren Spendensammler pauschal verächtlich machte, lenkte sie von unleugbaren Indizien ab. So belegen Briefe und Zeugenaussagen, daß zumindest der CDU-Spitzenfunktionär Haaßengier die krumme Sache mit angeschoben hatte und CDU-Landeschef Hasselmann von den Verhandlungen von Raths wußte.
Nachdem der ehemalige Unionshelfer nach seinem Ausschuß-Auftritt in die USA heimgekehrt war, erklärte die Koalition die ganze Affäre kurzerhand für erledigt. Monatelang zeigte sie ihr Desinteresse an sachlicher Aufklärung, bis hin zur schieren Obstruktion.
Wichtige Akten enthielt die Regierung dem Ausschuß erst mal vor, brisante Papiere wurden gar nicht oder erst nach dringender Aufforderung kurz vor Schluß der Beweiserhebung herausgerückt. Koalitionsabgeordnete schwänzten die Sitzungen und verschleppten die Vorlage eines Abschlußberichts.
Zugleich inszenierte die Union Gegenangriffe als Ablenkungsmanöver. So zettelten CDU-Kommunalpolitiker eine windige Intrige gegen den rührigen Ausschußvorsitzenden Wolf Weber (SPD) an. Der Vorwurf, Weber, von Beruf Verwaltungsrichter, habe einen Zeugen beeinflußt, brach rasch in sich zusammen. Gleichwohl verhinderte die Union, entgegen parlamentarischem Brauch, daß Weber als Vorsitzender dem Plenum Bericht erstattete.
Vollends vergessen lassen möchte die Koalition, aus welchen Gründen Hasselmann im Oktober letzten Jahres als Innenminister zurücktreten mußte und Staatssekretär Haaßengier vom Innenins Kultus-Ressort versetzt wurde. »Schon diese Folgen des Skandals«, urteilte letzte Woche die Süddeutsche Zeitung, seien »nicht eben wenig« und »dürften ihre Ursache nur zum geringsten Teil« in der Kampagne haben, die Albrecht vor allem dem SPIEGEL und dem niedersächsischen Privatsender »ffn« vorwirft.
Heute stellt die CDU ihren Landeschef als Sühneopfer eines Kesseltreibens dar. Hasselmann, behauptet CDU-Fraktionschef Jürgen Gansäuer, sei »nachweislich zu Unrecht verdächtigt und beschuldigt« worden.
Tatsächlich war Hasselmann dabei ertappt worden, wie er den Ausschuß belog: Er sagte aus, keine gesellschaftlichen Kontakte zum Kasino-Milieu unterhalten und keine Spenden und Geschenke bekommen zu haben. Dankesbriefe Hasselmanns an Kasinochef Marian Felsenstein belegten das Gegenteil.
Über ein »symbolhaftes Geschenk«, das Gansäuer dem CDU-Landesvorsitzenden vorige Woche überreichte, kann die Opposition denn auch nur lachen. Mit einem Leuchtturm-Modell wollte der Fraktionschef »typische Eigenschaften« Hasselmanns würdigen: »Er weist den Weg, an ihm kommt keiner vorbei, er trotzt Sturm und Brandung.«
Der Leuchtturm, meint der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuß, Heiner Bartling, sei »ein Irrlicht«. Der Fraktionschef der Grünen, Jürgen Trittin, spottete, Hasselmann sei nicht zum Leuchtturm gewachsen, sondern zur »roten Laterne« geworden.
Auch andere wichtige Details der Affäre werden von der Union verdrängt und geleugnet. So war der Regierung spätestens seit 1985 bekannt, daß Felsenstein ein manischer Spieler war und auf einen Konkurs zutrieb. Trotzdem fiel sie ihm nicht in den Arm. Der Ausschußbericht, so der Vorsitzende Weber, lese sich »wie das Sündenregister des Innenministeriums, das als Aufsichtsbehörde für die Spielbanken versagt hat«.
Die Koalition versucht, diesen Vorwurf zu unterlaufen, indem sie eine Aufsichtspflicht für den staatlich lizenzierten Glückstempel bestreitet. Sie konzediert lediglich, das persönliche Verhältnis zwischen Felsenstein und seinem Aufseher im Innenministerium, Gerhard Roemheld, sei zu eng gewesen.
So wird wieder mal ein Skandal einfach weggeredet. Die Methode hat im Münchhausen-Land Niedersachsen Tradition: Sumpf wird zum fruchtbaren Ackerboden erklärt, Albrecht hat sich wieder einmal am eigenen Schopf aus dem Morast gezogen.
Fast folgenlos blieben bislang die Affären um kriminelle Kriminalisten, Bakschisch-Beamte und gesetzesbrecherische Verfassungsschützer. In zweijähriger Fleißarbeit hat der noch von Hasselmann eingesetzte Sonderermittler Hans Dieter Jeserich diverse Verfehlungen aufgedeckt.
Polizisten, ermittelte Jeserich, hatten die größten Aufklärungserfolge in den Fällen, die sie selbst inszeniert oder zu denen sie angestiftet hatten. Verfassungsschützer aus Niedersachsen operierten, im Bund mit dem obskuren Detektiv Werner Mauss, jenseits deutscher Grenzen und Gesetze.
Der Vorgang ist einmalig in der Bundesrepublik: Die gesamte Polizeispitze des Landes steht in dem Verdacht, das illegale Treiben von Beamten gebilligt und gedeckt zu haben. Als Jeserich vor gut einem halben Jahr seine Ermittlungsergebnisse vorlegte, kündigte Innenminister Josef Stock (CDU) umgehend disziplinarrechtliche Konsequenzen an - geschehen ist bis heute nichts.
Ein Höhepunkt an amtlicher Desinformation war Albrechts Regierungserklärung gewesen, mit der er 1986 den Sprengstoffanschlag von Geheimdienstbeamten auf die Mauer des Celler Gefängnisses rechtfertigte. Die bizarre Aktion im Sommer 1978 sollte dazu dienen, Spitzel in die Terroristenszene zu schleusen. Obwohl das Unternehmen total mißriet, schwärmte Albrecht von angeblichen Erfolgen.
An Albrechts Darstellung habe »außer dem Datum und der Anrede nichts gestimmt«, konstatierte Willi Waike, SPD-Obmann im »Celler Loch«-Untersuchungsausschuß, im Oktober bei der Beratung des Abschlußberichts. »Wohl nie in der deutschen Parlamentsgeschichte«, kommentierte die Frankfurter Rundschau, »wurden Abgeordnete so kraß belogen.«
Albrecht räumte ein, er habe die Unwahrheit gesagt, weil er von Verfassungsschützern falsch unterrichtet worden sei. »Regierungschefs«, meinte da sogar die unionsnahe Hannoversche Allgemeine Zeitung, »die das mit sich machen lassen, haben ihr Gesicht verloren.«
Doch selbst bei seiner Rechtfertigungsrede blieb Albrecht sich treu. Unabhängige Wissenschaftler, die, wie er behauptete, »von niemandem einen Auftrag hatten«, seien »zu dem Schluß gekommen«, daß der behördliche Anschlag »rechtlich zulässig« gewesen sei.
Vorige Woche wies der Grüne Trittin nach, daß die beiden angeblich von niemandem bestellten Pro-Albrecht-Gutachter im Auftrag des niedersächsischen Innenministeriums tätig geworden waren. f