In der Schulpolitik lässt sich eine fragwürdige Strategie feststellen: die Begründung problematischer politischer Maßnahmen durch ungesicherte Ergebnisse der soziologischen Forschung, garniert mit einigen spektakulär aufbereiteten Einzelfällen.
Ein solches Beispiel ist die Kampagne gegen die sogenannten „Islamlehrer“. Den Ausgangspunkt für kürzlich erfolgte Eingriffe des Unterrichtsministeriums zur Reorganisation des islamischen Religionsunterrichts an Österreichs Schulen bildete die Dissertation von Dr. Mouhanad Khorchide. „Die Presse“ hat ausgewählten Ergebnissen dieser Studie am 28.Jänner sogar ihre ganze erste Seite gewidmet. Dabei werden in der Schlagzeile die „Islamlehrer als Problemfall“ pauschal abqualifiziert. Hierbei wird unter anderem behauptet, dass 22% von ihnen die Demokratie als mit dem Islam unvereinbar ablehnten. Dazu wird versichert, diese Daten stammten aus einer „sorgfältig durchgeführten“ Erhebung. Als selbstverständlich wird unterstellt, dass die Studie repräsentativ sei.
Keine repräsentative Umfrage
Die genaue methodologische Überprüfung zeigt nun, dass die Daten aus einer explorativen Arbeit eines jungen Dissertanten stammen, die in keiner Weise allgemeine Aussagen über „die Islamlehrer“ gestattet.
Die empirische Erhebung ist nicht repräsentativ. Sie erfasst nur etwa 80% der Teilnehmer an einer einzigen Veranstaltung des Verbandes der islamischen Religionslehrer in Wien. Dementsprechend sind nur 15% der befragten Lehrkräfte nicht aus Wien oder Niederösterreich, obwohl 50% der islamischen Schüler in diesen anderen Bundesländern zur Schule gehen. Es handelt sich um eine willkürliche Auswahl von Befragten, keine Rede von einer Wahrscheinlichkeitsstichprobe, nicht einmal eine Quotenauswahl liegt vor. Hochrechnungen auf die Gesamtheit der islamischen Lehrerschaft sind nicht möglich. Damit fehlt jede Grundlage für die Verallgemeinerung der Ergebnisse.
Die Erhebung ist mit einem voll standardisierten Fragebogen schriftlich durchgeführt worden. Die Fragen, die sich auf die politische und gesellschaftliche Integration beziehen, sind eindeutig suggestiv. So werden z. B. in 19 der 30 Vorgaben radikale islamistische Positionen zur Diskussion gestellt. 18 dieser Vorgaben sind so formuliert, dass eine Zustimmung zu radikalen Positionen direkt suggeriert wird. Liberale islamische Positionen, die es durchaus auch gibt, werden dagegen nicht thematisiert.
Diese fast durchgehend radikalen Behauptungen werden mit einheitlichen und schematischen Antwortvorgaben verbunden: „trifft sehr zu – trifft eher schon zu – trifft eher nicht zu – trifft gar nicht zu“. Auf dieser Grundlage wurde nun z.B. in den Medien kolportiert, dass 15% der „Islamlehrer“ die österreichische Verfassung ablehnen würden. Tatsache ist aber, dass eine uneingeschränkte Ablehnung nur vier Prozent geäußert haben, die restlichen elf Prozent hier aber selbst Einschränkungen machen. Es wäre notwendig gewesen, genau diesen Vorbehalten nachzugehen. Dies ist leider nicht geschehen. An die Stelle dessen tritt die vergröbernde pauschale Verurteilung.
Rituale bedeuten nicht Fanatismus
Der Autor konstruiert eine Reihe von abstrakten Dimensionen, die das Ausmaß und die Art und Weise der Integration in die Gesellschaft und ihr politisches und rechtliches System charakterisieren sollen. Eine dieser Dimensionen nennt er „Religiösen Fanatismus“ (vgl. dazu auch den Beitrag von Professor Dr. Hopmann am 31.Jänner in dieser Zeitung). Da die überwiegende Mehrheit der muslimischen Lehrkräfte alle extremistischen Positionen ablehnt, ergeben sich einseitig ablehnende Antwortverteilungen, die sich für die Faktorenanalyse nicht eignen.Daher konstruiert der Autor einen Index aus zwei Fragen und teilt damit die Befragten schlicht in nur zwei Gruppen, nämlich „Fanatische“ und „Nichtfanatische“.
Eine dieser beiden Fragen trifft zweifellos religiösen Fanatismus. Die Lehrkraft wurde hierbei gebeten anzugeben, ob sie „Verständnis dafür“ hätte, „wenn Muslime, die vom Islam abgefallen sind, mit dem Tod bestraft werden“. Die andere Frage richtet sich auf die Häufigkeit der täglichen Gebete. Diese erfasst ganz eindeutig Ritualismus und nicht Fanatismus. Dadurch, dass er die beiden Fragen ganz unterschiedlichen Inhalts aber zusammenfasst, erhöht der Autor den Anteil der überzeugten Fanatiker von 8,6 Prozent, die „volles Verständnis“ für die Todesstrafe hätten, auf 22,6% „Fanatiker“. Zu diesem Prozentsatz von fast 23% „Fanatischen“ kommt der Autor also nur dadurch, dass er auch einen Teil derjenigen Befragten den „Fanatikern“ zurechnet, die eine oder sogar beide Vorgaben eher oder zur Gänze abgelehnt haben. Damit dreht er aber den Befragten, die so geantwortet haben, das Wort im Munde um und erzeugt so „Fanatiker“, die es in Wirklichkeit nicht gibt.
Das Grundübel der Studie besteht aber darin, dass sie eine Minderheit herausgreift, auf jeden Vergleich verzichtet und absolute Urteile fällt, die diese Minorität diskriminieren. Wenn wir muslimische Lehrkräfte beurteilen wollen, dann brauchen wir einen Vergleichsmaßstab. Der Autor hätte die Möglichkeit gehabt, seine Erhebung in einen direkten Vergleich zu einer großen Studie bei 4000 christlichen Religionspädagogen in Baden-Württemberg zu setzen, die ein Jahr zuvor publiziert worden ist (A.Feige & W. Tzseetzsch, 2005, Christlicher Religionsunterricht im religionsneutralen Staat, Ostfildern). Er hat diese Chance vertan und damit einen gravierenden Kunstfehler begangen.
Einige Fragen sind aber in beiden Studien in etwa vergleichbar. So erklärten z.B. 61% der islamischen Religionslehrer es als sehr vorrangig, in ihrem Religionsunterricht „Verständnis für die Sicht Andersgläubiger (zu) fördern“. Von den katholischen Religionspädagogen in Deutschland waren es dagegen nur 16%, von den evangelischen 21%.
Die Behauptung, dass islamische Religionslehrer intolerant und fanatisch wären, kann man als falsche Anschuldigung zurückweisen. Der Vergleich der Ergebnisse von vier weiteren Fragen, auf die hier nicht eingegangen werden kann, bestätigt dies.
Erst ein solcher Vergleich ermöglicht ein gesichertes Urteil. Setzt man die Werte, die sich auf eine Minderheit beziehen, ohne jeden Vergleich absolut, dann leistet man nur der Unduldsamkeit Vorschub.
Es ist nicht möglich, auf alle Probleme der Studie hier einzugehen, nur noch ein weiteres, sehr bezeichnendes Detail: Durch den österreichischen Blätterwald ist der fanatische und terroristische „Islamlehrer“ geritten. Selbstverständlich – wie könnte es anders sein – nur in seiner männlichen Inkarnation. Dabei sind 56% der von Dr. Khorchide befragten Lehrkräfte weiblich, und im Vergleich orientieren sich gemäß seinen Ergebnissen die Lehrerinnen etwas stärker an den traditional bestimmten islamischen Haltungen als ihre männlichen Kollegen.
Nachteile für die Wissenschaft
Abschließend sei noch auf eine sehr unerfreuliche Konsequenz des geschilderten Missbrauchs der Forschung für den Weiterbestand der „Offenen Gesellschaft“ hingewiesen. Die geschilderte Befragung wurde unter Zusicherung der persönlichen Anonymität jedes Einzelnen durchgeführt. Was nützt aber das Einhalten dieser Zusicherung, wenn gleichzeitig jedem Einzelnen als Mitglied seiner Minorität Nachteile aus einer solchen Art der Verwendung der Forschungsergebnisse erwachsen? Das negative Image von „Islamlehrern“ wurde so geschaffen oder zumindest verstärkt. Den Schaden hat der kooperative Befragte, aber auch die empirische Forschung. Denn konnte man bei Wahrscheinlichkeitsstichproben in Österreich in den 60er-Jahren noch Rücklaufquoten von 80% erzielen, so muss man sich heute mit 25% begnügen. Auch die kommerzielle Meinungsforschung bekommt dies negativ zu spüren. Eben deshalb ist die Methodensektion der ÖGS angehalten, den massiven Kunstfehlern in der empirischen Forschung entgegenzutreten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.03.2009)