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Deutsche Biographie - Kolb, Annette

Kolb, Annette

Lebensdaten
1870 – 1967
Geburtsort
München
Sterbeort
München
Beruf/Funktion
Schriftstellerin ; Pazifistin ; Übersetzerin ; Essayistin ; Biografin
Konfession
katholisch
Normdaten
GND: 118713698 | OGND | VIAF: 49259110
Namensvarianten

  • Kolb, Annette
  • Kolb, Anette
  • Kolb, Anita
  • Kolb, Anna Mathilde
  • Kolb, Annette Anna Mathilde
  • Colb, Annette
  • Colb, Anette
  • Colb, Anita
  • Colb, Anna Mathilde
  • Colb, Annette Anna Mathilde

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Zitierweise

Kolb, Annette, Indexeintrag: Deutsche Biographie, https://www.deutsche-biographie.de/pnd118713698.html [08.11.2024].

CC0

  • Kolb, Annette

    Schriftstellerin, * 3.2.1870 München, 3.12.1967 München. (katholisch)

  • Genealogie

    V Max (1829–1915), ging nach Gymnasialzeit in Scheyern in Begleitung Effners z. Ausbildung an d. Botan. Garten in Berlin u. nach Potsdam (Sanssouci), dann nach Gent, 1855-59 ist er Jardinier Principal in Paris, wo er an d. Gestaltung d. Bois de Boulogne u. d. Gartenanlagen d. Weltausstellung mitwirkte, 1858 war er Begleiter v. Kg. Max II. v. Bayern bei dessen Parisbesuch, seit 1860 Leiter d. Botan. Gartens in M. u. Gartenbauinsp., 1869 mit d. techn. Oberleitung d. städt. Anlagen Münchens betraut, gestaltete d. Gärten d. Fürsten Thurn u. Taxis in Regensburg, vermutl. natüri. S e. Wittelsbachers u. d. Kammerzofe Friederike Lortz, Seilers-T aus Hildburghausen ( 1829 Lakai Dominikus Kolb, später Gärtner in Schloß Possenhofen);
    M Sophie (1840–1915), Konzertpianistin aus Paris, 1855 Schülerin v. Jacques Offenbach, mit Charles Gounod befreundet, 1856 1. Preis f. Klavier am Pariser Konservatorium, in München Kompositionsschülerin v. Peter Cornelius, T d. Landschaftsmalers Félix Danvin (1802–42 s. ThB) u. d. Constance Amélie Lambert (1810–88) aus Lille;
    Schw Louise (1865–90), Pianistin u. Malerin, Germaine ( William Stockley, Prof. f. engl. Lit. in Dublin); - ledig.

  • Biographie

    K. besuchte 1876-82 die Schule der Salesianerinnen in Thurnfeld bei Hall (Tirol) und anschließend das renommierte Privatinstitut von Therese Ascher in München. In den folgenden Jahren lebte sie nur der Musik – sie war eine gute Pianistin –, der Familie und dem gesellschaftlichen Leben der Stadt. Erst 1899, als sich für sie die Frage nach einem Beruf stellte, trat sie mit „Kleinen Aufsätzen“ als Autorin hervor. Neben der Schriftstellerei galten ihr Interesse und ihre Leidenschaft der Politik. Sie gipfelte für K. „in|einem einzigen Problem, daß Deutsche und Franzosen sich vereinigen sollten“ (Versuch über Briand, 1929). Von einem einzigen öffentlichen Auftreten abgesehen, wollte sie ihre politischen Ziele mittels persönlicher Begegnungen und vom Schreibtisch aus verwirklichen (L'âme aux deux patries, 1906). 19jährig hatte sie Camille Barrère – eine Schlüsselfigur in der „Schaukel“ (1934) – kennengelernt, der französischer Botschafter in Rom wurde. Als sie ihn dort besuchte, unterrichtete sie den preußischen Legationssekretär Richard von Kühlmann auf dessen Bitte hin brieflich von ihren Unterredungen. Sie war befreundet mit der Diplomatengattin Mrs. Helyar (nach dem Tod ihres Mannes mit Lord Savile verheiratet), deren Gast K. auf dem Landsitz Rufford Abbey war. Helyars Nachfolger in München wurde John Ford, mit dem sie 1902-05 freundschaftlich verbunden war; er inspirierte sie zu ihrem ersten Roman „Das Exemplar“ (1913). Da sich K. in politischen Fragen weitgehend von ihrem „Gespür“ leiten ließ, erlebte sie mit ihren Aktivitäten häufig Schiffbruch. So war sie überrascht, daß ihr flammendes Bekenntnis zum Pazifismus und ihre Angriffe auf die „10 000 hetzerischen Journalisten“ Deutschlands und Frankreichs bei einem Vortrag im Januar 1915 in Dresden beim Publikum einen Skandal auslösten (Briefe einer Deutsch-Französin, 1916, französisch 1917). Als sie die Anfeindungen nicht mehr ertragen konnte, emigrierte sie im Februar 1917 in die Schweiz, um in dem Pazifistenkreis der „Friedenswarte“ und ihres Herausgebers Alfred H. Fried tätig zu werden. Sie fand dabei die Freundschaft und Unterstützung Romain Rollands und René Schickeles sowie Wilhelm Hausensteins, den sie schon früher kennengelernt hatte. Sowohl die deutschen wie die französischen Nachrichtendienste hielten sie für eine Spionin, da sie weiterhin zu Persönlichkeiten beider Länder Kontakt pflegte. Im Februar 1919 nahm sie am Berner Internationalen Sozialistenkongreß teil und traf mit Hugo Haase und Kurt Eisner zusammen. Sie kehrte nach Deutschland zurück und lebte seit 1923 überwiegend in Badenweiler. Auf Reisen kreuz und quer durch Europa, bei Begegnungen mit Künstlern, durch Theater- und Festspielbesuche, aber auch durch politische Missionen und Vermittlungsversuche nahm sie aktiv am Leben ihrer Zeit teil (so zeichnet sie Thomas Mann in „Doktor Faustus“ als Jeannette Scheurl nach). 1933 floh K. über die Schweiz und Luxemburg nach Paris (1937 französische Staatsbürgerschaft), 1941 über die Schweiz, Spanien und Portugal nach New York; in „Memento“ (1960) legt sie Rechenschaft hierüber ab. Seit 1945 lebte sie in Paris und München oder befand sich auf Reisen. Wie einst auf Briand und Stresemann, setzte sie nun ihre politische Hoffnung auf de Gaulle und Adenauer.

    Als Schriftstellerin wurde K. vor allem durch ihre drei Romane bekannt: „Das Exemplar“ (1913), „Daphne Herbst“ (1928) und „Die Schaukel, Eine Jugend in München“ (1934, Neuausgabe 1978, mit Nachwort von J. Breitbach). Alle drei tragen autobiographische Züge. Das „Exemplar“ ist der ironisch-zärtliche Beiname, den die kluge und zugleich träumerische Mariclée einem ihr eng befreundeten Engländer in hoher politischer Stellung gegeben hat, mit dem sie einige Sommerwochen im leeren London verbringt, der aber schließlich eine andere Frau heiratet. Es geschieht wenig. Verabredungen werden verpaßt, Briefe verspäten sich, Begegnungen werden durch äußere Umstände verhindert, Resignation macht sich breit. K. spricht von den beiden Hauptfiguren, die sehr sensibel sind und ihre Stimmungen bewußt erleben, als von „Kindern ihrer Zeit“, der Welt vor 1914. In „Daphne Herbst“ charakterisiert K. die Vertreter der Münchener Gesellschaft mit satirischem Witz. Daphne Herbst, die Tochter eines bayerischen Standesherrn und einer Wiener Geigerin, ist von graziösem, unvergänglich-jugendlichem Zauber. Infolge ihrer physischen und psychischen Zartheit findet sie ein frühes Ende, das durch die intrigante Mißgunst der Gesellschaft beschleunigt wird. Es ist auch hier die Sprache, die das Wesen und die Züge eines zerbrechlichen Geschöpfs belebt und die dem Roman jene weltoffene Form verleiht, die allen Werken K.s zu eigen ist. „Die Schaukel“, die Familien-Chronik eines Jahres vor 1914, schildert mittels impressionistischer Rückblicke und Vorwegnahme von Geschehnissen das ganze Leben der Lautenschlags (das heißt Kolbs) als wechselvolles Auf und Ab zwischen schrankenloser Lebensfreude und beklemmender Lebensangst. Bezeichnenderweise ist das die Chronik bestimmende Jahr das Todesjahr Hesperas, der ältesten der Geschwister (das ist Louise Kolb), jener „paradiesischen Figur“ voll Schönheit und Harmonie, die auch der Roman „Daphne Herbst“ beschwört, und in der alle jene Züge vollendet ausgeprägt sind, die den Geist und das Fluidum des Kolbschen Elternhauses ausmachten.

    Neben Herkunft und Elternhaus bestimmte die zunehmende Vergiftung des deutsch-französischen Verhältnisses seit 1870/71 K.s Lebensweg und schriftstellerische Arbeit. Ihr Leben gehörte dem „heroischen Versuch, den|Einklang des Menschenpaares, dem sie ihr Dasein verdankt(e)“, auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich zu übertragen (Carl J. Burckhardt). Im elterlichen Salon, der ausschließlich von der Mutter geprägt war und wo fast nur französisch gesprochen wurde, verkehrten namhafte Künstler – vor allem der Kreis um Richard Wagner –, französische Diplomaten und Mitglieder der Münchener Hofgesellschaft. Cosima von Bülow, die in unmittelbarer Nachbarschaft wohnte, war mit der Mutter befreundet. K. war sich der Spaltung ihres Wesens in eine französische und eine deutsche Hälfte schon früh bewußt – oft schmerzlich, doch in stolzer Gewißheit, den nur einwurzelig aufgewachsenen Menschen ein reicheres Denken und Fühlen vorauszuhaben. Diesen Hochmut hat sie in der „Schaukel“ als „Größenwahn“ bezeichnet. Guter Geschmack und Humor, mit dem sie ihren Mangel an Allgemeinwissen zugab, sowie Selbstironie, die sie für die eigene Koketterie aufbrachte, wirkten als Korrektive. K. war eine Moralistin, die sich überall einmischte. Der Stil ihres Lebens entsprach dem ihrer Schriften: spontaner Ausdruck, schön gebaute Sätze mit erlesenen Wendungen und treffenden Worten, dazwischen Perioden von bedenklicher Laxheit, dann wieder Launen und Gedankensprünge. K.s Urwüchsigkeit ist Jean Giraudoux 1905 in München so sehr aufgefallen, daß er sich in seiner 1917 geschriebenen Kriegsgeschichte „La Nuit de Chateauroux“ noch „des energischen Vokabulars von Mademoiselle Kolb“ erinnerte.|

  • Auszeichnungen

    Fontane-Preis (1913), Gerhart Hauptmann-Preis (1931);
    Kunstpreis f. Lit. d. Stadt München (1951), Goethepreis d. Stadt Frankfurt (1955), Lit.preis d. Stadt Köln (1961), Bayerischer Verdienstorden (1961);
    Mitgl. d. Ak. d. Wiss. u. d. Lit. zu Mainz (1949), d. Ak. d. Schönen Künste in München (1950);
    Ehrenlegion (1959), Gr. Verdienstkreuz mit Stern d. Bundesverdienstordens 1966;
    Orden Pour le mérite f. Wiss. u. Künste (1966);
    Ehrenbürgerin v. Badenweiler.

  • Werke

    Weitere W u. a. Wege u. Umwege, 1914;
    Die Last, 1918;
    Zarastro, Westl. Tage, 1921;
    Wera Njedin, Erzz. u. Skizzen, 1924;
    Kleine Fanfare, 1930;
    Beschwerdebuch, 1932;
    Mozart, 1937;
    Festspieltage in Salzburg u. Abschied v. Österreich, 1938;
    Schubert, 1941;
    Kg. Ludwig II. v. Bayern u. Rich. Wagner, 1947;
    Blätter in d. Wind, 1954;
    1907-64, Zeitbilder, 1964;
    Götterdämmerung f. uns, Aus d. Briefwechsel mit René Schickele 1935, in: Akzente 20, 1973, S. 536-49. -
    Überss.: Die Briefe d. hl. Catarina v. Siena, 1906;
    A. de Villiers de l'Isle-Adam, Edisons Weib der Zukunft, 1909;
    G. K. Chesterton, Orthodoxie, 1909 (mit F. Blei);
    Die Memoiren d. Mgfn. Wilhelmine v. Bayreuth, 1910;
    A. Chevrillon, In Indien, 1911;
    C. L. Philippe, Das Bein d. Tiennette u. andere Erzz., 1923;
    J. Giraudoux, Kein Krieg in Troja, 1936;
    V. Larbaud, Der Schutzpatron d. Übersetzer, 1955;
    ders., Sankt Hieronymus, 1960. |

  • Nachlass

    Nachlaß in d. Stadtbibl. München.

  • Literatur

    D. Rauenhorst, A. K., Ihr Leben u. ihr Werk, 1969;
    R. Lemp, A. K., Leben u. Werk e. Europäerin, 1970 (W, L, P);
    E. Benyoetz, A. K. u. Israel, 1970.

  • Porträts

    Büste v. A. E. Rauch, 1916 (München, Stadtbibl.);
    v. G. Kolbe (Bern, Mus., Abguß im Kurpark Badenweiler).

  • Autor/in

    Hiltrud Häntzschel
  • Zitierweise

    Häntzschel, Hiltrud, "Kolb, Annette" in: Neue Deutsche Biographie 12 (1980), S. 438-440 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118713698.html#ndbcontent

    CC-BY-NC-SA