Bondy, Kurt W.
- Lebensdaten
- 1894 – 1972
- Geburtsort
- Hamburg
- Sterbeort
- Hamburg
- Beruf/Funktion
- Psychologe ; Sozialpädagoge ; Ordentlicher Professor
- Konfession
- jüdisch
- Normdaten
- GND: 116238011 | OGND | VIAF: 18205940
- Namensvarianten
-
- Bondy, Curt Werner
- Bondy, Kurt W.
- Bondy, Curt Werner
- Bondy, Curt
- Bondy, Kurt
- Bondy, Curt W.
- Bondy, Kurt Werner
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-
Bondy, Curt Werner
1894 – 1972
Psychologe, Sozialpädagoge
Curt Bondy engagierte sich in den 1920er und 1930er Jahren für die Strafgefangenenfürsorge, so von 1930 bis 1933 als Leiter des Thüringischen Landesjugendgefängnisses in Eisenach. Von den Nationalsozialisten verfolgt und mehrfach – u. a. im KZ Buchenwald – inhaftiert, gelang ihm 1940 die Flucht in die USA. 1949 kehrte er zurück und schuf als Professor an der Universität Hamburg (1952–1959) und als Präsident des Berufsverbands Deutscher Psychologen (1961–1968) die Basis für die professionelle Ausrichtung der Psychologie in der Bundesrepublik.
Lebensdaten
-
Autor/in
→Susanne Guski-Leinwand (Dortmund/Jena)
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Zitierweise
Guski-Leinwand, Susanne, „Bondy, Kurt W.“ in: NDB-online, veröffentlicht am 01.04.2023, URL: https://www.deutsche-biographie.de/116238011.html#dbocontent
Bondy wuchs in einem bürgerlichen jüdischen Haushalt in Hamburg und Othmarschen auf. Nach seinem Abitur 1913 immatrikulierte er sich an der Universität Hamburg für Medizin, leistete aber während der gesamten Kriegszeit freiwilligen Dienst im Sanitätswesen. 1919 wechselte er zum Studium der Philosophie, Psychologie und Pädagogik und wurde 1921 mit der Arbeit „Die proletarische Jugendbewegung in Deutschland“ (1922) bei William Stern (1871–1938) als dessen erster Doktorand zum Dr. phil. promoviert. Nach praktischer Tätigkeit als Sozialpädagoge und Strafgefangenenfürsorger engagierte er sich später auch für eine Jugendstrafrechtsreform. 1923 wurde Bondy Assistent von Herman Nohl (1879–1960) am Pädagogischen Institut der Universität Göttingen, bevor er sich 1925 in Hamburg für Sozialpsychologie und Sozialpädagogik habilitierte. 1930 übernahm er die Leitung des Thüringischen Jugendgefängnisses in Eisenach und wurde gleichzeitig Honorarprofessor für Psychologie an der Universität Göttingen.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wurde Bondy aus beiden Ämtern entlassen. Mit Martin Buber (1878–1965) baute er anschließend für die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland die Mittelstelle für Erwachsenenbildung in Frankfurt am Main auf und wurde danach Leiter des Auswanderer-Lehrguts Groß Breesen (Schlesien, heute Brzezno Trzebnica, Polen), wo junge Jüdinnen und Juden durch Agrardienst auf die Emigration vorbereitet werden sollten. 1938 wurde Bondy im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert, emigrierte Mitte 1939 in die USA, kehrte aber Ende des Jahres nach Europa zurück, um Menschen zur Flucht zu verhelfen. 1940 in Frankreich erneut verhaftet, konnte er fliehen und über Spanien und Portugal ein weiteres Mal in die USA emigrieren. 1940/41 setzte er seine Unterstützung für Exilanten im Hyde Farmlands Projekt in Burkeville (Virginia, USA) fort, bevor er 1941 als Mitarbeiter und seit 1948 als Professor für Psychologie und Leiter des Departments Psychology am Richmond Professional Institute in Richmond (Virginia) ernannt wurde. Hier entstanden bis 1948 u. a. Entwürfe zur fachlichen Verfassung von Psychologie und Sozialpädagogik, die Bondy später nicht (oder nur ansatzweise) veröffentlichte, welche aber sicher später bei seinen Lehrfächern zur Sozialpsychologie und Psychologischen Methodenlehre sowie bei der Einführung des Studiengangs Sozialpädagogik an der Universität Hamburg Einfluss erhielten.
Ende der 1940er Jahre kehrte Bondy auf Familienbesuch nach Europa und Deutschland zurück. 1950 erhielt er eine Gastprofessur an der Universität Hamburg, die 1952 in eine ordentliche Professur für Psychologie umgewandelt wurde. Während dieses Jahrzehnts nahm er vielseitig an psychologischen Kongressen, aber auch an den Jahrestagungen der Gilde Soziale Arbeit teil, die er schon bis in die 1930er Jahre besucht hatte.
Bis zu seiner Emeritierung 1959 setzte sich Bondy in der Bundesrepublik intensiv für die Professionalisierung der Psychologie ein, die durch völkisch-biologistische und rassistische Auslegungen vor und während der NS-Zeit sowie die Vertreibung zahlreicher führender jüdischer Psychologinnen und Psychologen große Einbußen erfahren hatte. Durch seine Kontakte in die USA schuf er mit seinen Mitarbeitern eine Basis für die Sozialpsychologie in der Bundesrepublik und war mit wegweisenden Studien, u. a. im Auftrag der US-amerikanischen Library of Congress zur Sozialpsychologie in Westdeutschland (1956), beauftragt. Bondy konzipierte eine Berufsethik für Psychologinnen und Psychologen, die während seiner Amtszeit als Erster Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Psychologen e. V. (heute Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V.) von 1961 bis 1968 für alle psychologisch Tätigen Verbindlichkeit erhielt und inzwischen zu den heutigen „Berufsethischen Richtlinien für Psychologinnen und Psychologen“ weiterentwickelt wurden. Als gefragter Ansprechpartner für Erziehungsfragen publizierte Bondy seit Anfang der 1960er Jahre in Zeitungen und Zeitschriften und erlangte Popularität über die Fachwissenschaft hinaus. Seine Wahl zum Präsidenten des XVI. Internationalen Kongresses für Psychologie in Bonn 1960 scheiterte an internen Diskussionen im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Psychologie. Zu Bondys Schülern gibt es keine systematische Auskunft. Für Bondy waren die Inhalte zur Professionalisierung der Psychologie wie auch der Sozialen Arbeit von besonderer Bedeutung, womit auch seine Konzepte und Initiativen zur Einrichtung von Erziehungsberatungsstellen in Deutschland zusammenhängen, zu denen es aber ebenfalls keine systematische bzw. chronologische Untersuchung gibt.
1929 | Honorarprofessor, Juristische Fakultät der Universität Hamburg |
1930–1933 | Honorarprofessor für Sozialpädagogik, Universität Göttingen |
1953 | Beisitzer im Vorstand des Berufsverbands Deutscher Psychologen |
1965 | Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft für Psychologie |
Nachlass:
kein geschlossener Nachlass erhalten.
Teilnachlass:
Zentrum für Geschichte der Psychologie, Universität Würzburg. (Teil-Korrespondenz)
Weitere Archivmaterialien:
An Appeal (Aufruf deutscher Emigranten an die amerikanische Regierung zur Deutschlandpolitik), 1945/1946, Institut für Zeitgeschichte, Nachlass Gerstel, Alfred/Gerstel, Else, IfZArch ED 193, Bd. 1. (Mitverfasser)
William Louis Stern. Festrede zum 100. Geburtstag von William Louis Stern (Oktober 1971) an der Universität von Hamburg, Leo-Baeck-Institute Library, New York, MS 385, Nachlass Eva Stern-Michaelis.
Monografien und Herausgeberschaften:
Die proletarische Jugendbewegung in Deutschland, mit besonderer Berücksichtigung der Hamburger Verhältnisse. Ein methodischer und psychographischer Beitrag zur Jugendkunde, 1922, Nachdr. 1987. (Diss phil. Hamburg) (Onlineressource)
Pädagogische Probleme im Jugend-Strafvollzug, 1925, Neuausg. mit einem Vorw. v. Klaus Eyferth u. einem Nachtrag v. Jörg Ziegenspeck, 1997.
Scheuen. Pädagogische und psychologische Betrachtungen zum Lüneburger Fürsorgeerziehungsprozeß, 1931.
Liebe Leute. (Kettenbrief), 1940.
Curt Bondy/Klaus Eyferth, Bindungslose Jugend, 1952.
Psychohygiene bei Studierenden, 1955.
Curt Bondy/Klaus Riegel, Social Psychology in Western Germany, 1956.
Curt Bondy/Charlotte Malachowski-Bühler, Moderne Entwicklungspsychologie. Schriften zur wissenschaftlichen Weltorientierung, Bd. 1, 1956.
Probleme der Jugendhilfe, 1957.
Curt Bondy/Jan Braden/Rudolf Cohen/Klaus Eyferth, Jugendliche stören die Ordnung. Bericht und Stellungnahme zu den Halbstarkenkrawallen, 1957.
Fragen der akademischen sozialwissenschaftlichen Ausbildung (insbesondere in Hinblick auf leitende Tätigkeit in einem Jugendamt), 1959.
Psychologisches Institut der Universität Hamburg [durch] Curt Bondy (Hg.), Die Messung der Intelligenz Erwachsener. David Wechsler. Textband zum Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE), 31968.
Handbuch für den Hamburg-Wechsler Intelligenztest für Kinder, 21963.
Curt Bondy unter Mitarbeit von Dietrich Eggert, Einführung in die Psychologie, 1967, 81972, Nachdr. 2007.
Aufsätze und Beiträge:
Jugendbewegung und Jugendfürsorge, in: Volkshochschulblätter 6 (Dezember 1924), H. 9, S. 668–670.
Problems of Internment Camps, in: Journal of Abnormal and Social Psychology 38 (1943), S. 453–475.
Die Rehabilitierung der Internierten, in: Public Opinion Quarterly (Winter 1943), S. 629–637.
Wie die Erziehung der deutschen Kriegsgefangenen erfolgen könnte, in: Aufbau 10/11 (1944), S. 6.
A Psychological Interpretation of Waywardness, in: Journal of Criminal Law and Criminology 36 (1945), H. 1, S. 3–10.
Das Jugenddorf, in: Deutsche Blätter 3 (1945), H. 26, S. 10–15.
The Post-War Sickness, in: Gardner Murphy (Hg.), Human Nature and Enduring Peace, 1945, S. 53–59.
Curt Bondy/Rudolf Arnheim/Charlotte Bühler, The Problem of Germany. A Group of Questions answered by Rudolf Arnheim, in: ebd., S. 60–109.
The Youth Village. A Plan for the Reeducation of the Uprooted, in: Journal of Criminal Law and Criminology 37 (1946), H. 1, S. 49–57.
Erziehungshilfe an seelisch auffälligen Kindern und Jugendlichen und analytische Psychotherapie, in: Analytische Psychotherapie und Erziehungshilfe. Arbeitstagung Institut für Psychotherapie Berlin, 1951, S. 87–95.
Der Psychologe in Psychagogik und Psychotherapie, in: Psychologische Rundschau 4 (1953), S. 174–183.
Gedanken zur Teamarbeit in der Erziehungsberatung, in: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie. Aus Praxis und Forschung 5 (1956), H. 2/3, S. 37–39.
Versagung und Aggression als kulturelles Problem, in: Psychologische Rundschau 9 (1958), S. 249–255.
Die ethischen Grenzen psychologischer Arbeit, in: Psychologische Rundschau 10 (1959), S. 237–250.
Die Situation des Sozialarbeiters in der Welt von heute. Festvortrag zur Eröffnung des Marie-Juchacz-Hauses in Düsseldorf, in: Neues Beginnen. Zeitschrift der Arbeiterwohlfahrt (1960), Nr. 12, S. 177–181.
Zum Problem der Sozialarbeit in der Bundesrepublik, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 12 (1960), S. 638–646.
Die Entmutigung in der Sozialarbeit und die Möglichkeiten zu ihrer Überwindung, in: Rundbrief der Gilde Soziale Arbeit 14 (1960), Nr. 2/3, S. 1–10.
Versagungstoleranz und Versagungssituation, in: Vita Humana 2 (1963), S. 7–19.
Bewusstmachung, in: Hildegard Hiltmann/Franz Vonessen (Hg.), Dialektik und Dynamik der Person. Festschrift für Robert Heiss, 1963, S. 113–119.
Polarität der Geschlechter, in: Auditorium 32 (Dezember 1964), S. 8–10.
Kurzgutachten. Aufklärung in Illustrierten? Zur Thematik Jugendschutz, in: Beiträge zur Sexualforschung 44 (1968), S. 12–14.
Monografien:
Hans-Joachim Priester, Die Standardisierung des Hamburg-Wechsler-Intelligenztests für Kinder (HAWIK), 1958.
Albert Bandura/Richard H. Walters, Social Learning and Personality Development, 1963.
Werner T. Angress, Between Fear and Hope. Jewish Youth in the Third Reich, 1988, S. 43–76.
Peter Dudek, Jugend als Objekt der Wissenschaften, Geschichte der Jugendforschung in Deutschland und Österreich 1890–1933, 1990.
Heinz Warneke, Aus dem Nähkästchen. Splitter eines erfüllten Lebens, 2016.
Susanne Guski-Leinwand (Hg.), Curt Werner Bondy. Psychologe und Strafgefangenenfürsorger, 2018. (P)
Aufsätze:
Franziska Baumgarten, Vorschläge für prinzipielle Regeln eines internationalen ethischen Kodex für Psychologen, in: Psychologie und Praxis 5 (1961), S. 177–182.
David Wechsler, Vorwort des Verfassers, in: Curt Bondy (Hg.), David Wechsler. Die Messung der Intelligenz Erwachsener, 31964, S. 7 f.
Klaus Eyferth, Nachruf auf dem Friedhof, in: Ernst Cramer (Hg.), Gross Breesen Rundbrief, April 1974, S. 866–868. (P) (Onlineressource)
Helmut Moser, Zur Entwicklung der akademischen Psychologie in Hamburg bis 1945. Eine Kontrast-Skizze als Würdigung des vergessenen Erbes von William Stern, in: Eckart Krause/Ludwig Huber/Holger Fischer (Hg.), Hochschulalltag im „Dritten Reich“. Die Hamburger Universität 1933–1945, 1991, S. 483–518.
Werner T. Angress, Rückkehr aus der Emigration. Leben in Deutschland, in: Wolfgang Benz (Hg.), Zwischen Philosemitismus und Antisemitismus. Juden in der Bundesrepublik, 1991, S. 87–98.
Paul Probst, Das Hamburger Psychologische Institut (1911–1994). Vom Psychologischen Laboratorium zum Fachbereich Psychologie. Ein Geschichtlicher Überblick, in: Kurt Pawlik (Hg.), Bericht über den 39. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Hamburg 1994, 1995, S. 923–934.
Klaus Eyferth, Gemeinschaft und Bewusstmachung. Curt Bondys Psychologie des Jugendstrafvollzugs, 1997.
Helmut E. Lück, Empirische Sozialpsychologie in Westdeutschland. Ein verzögerter Neubeginn?, in: Psychologie und Geschichte 10 (2002), S. 323–332.
Helmut E. Lück, Die Wiederbegründung der Deutschen Gesellschaft für Psychologie nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Psychologische Rundschau 55 (Supplementum 1) (2004), S. 33–41.
Mitchell G. Ash, Wissenschaftswandlungen in politischen Umbruchzeiten. 1933, 1945 und 1990 im Vergleich, in: Acta Historica Leopoldina 39 (2004), S. 75–95.
Francis R. Nicosia, Jewish Farmers in Hitler’s Germany. Zionist Occupational Retraining and Nazi „Jewish Policy“, in: Holocaust and Genocide Studies 19 (2005), S. 365–389.
Bettina Irina Reimers, Gefängnispädagogik, in Wolfgang Keim/Ulrich Schwerdt (Hg.), Handbuch der Reformpädagogik in Deutschland (1890–1933), T. 2, 2013, S. 929–946.
Clare Ungerson, Four Thousand Lives. The Rescue of German Jewish Men to Britain, 1939, 2019, S. 130.
Lexikonartikel:
N. N., Art. „Bondy, Curt”, in: Herbert Strauss/Werner Röder (Hg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, 1983, Bd. 2, S. 131 f.
N. N., Art. „Bondy, Curt”, in: Renate Heuer (Red.), Lexikon deutsch-jüdischer Autoren, Bd. 3, 1995, S. 277–280. (W, L)
Peter Dudek, Art. „Bondy, Curt”, in: Hugo Maier (Hg.), Who is who der Sozialen Arbeit, 1998, S. 97 f.
Armin Stock, Art. „Bondy, Curt”, in: Uwe Wolfradt/Elfriede Billmann-Mahecha/Armin Stock (Hg.), Deutschsprachige Psychologinnen und Psychologen 1933–1945. Ein Personenlexikon, 22017, S. 47–49.
Susanne Guski-Leinwand, Art. „Bondy, Curt Werner“, in: Markus Antonius Wirtz (Hg.), Dorsch Lexikon der Psychologie, 2022. (Onlineressource)
Jüdisches Auswanderungslehrgut (Gross-Breesen, Silesia), in: Center for Jewish History, 2014.
Anja von Bihl, Enteignung jüdischen Besitzes. Von den Nazis beraubt, in: Eimsbüttler Nachrichten v. 7.5.2015. (zur Familie von Salomon Bondy)
Harvey P. Newton Collection, in: Leo Baeck Institute Archives, New York City. (mit Materialien zu Groß Breesen)