Megalopolis
Bei den Filmfestspielen von Cannes gleichermaßen bejubelt wie ausgebuht und mit vielen Negativschlagzeilen im Gepäck, kommt Francis Ford Coppolas seit den späten Achtzigerjahren in Arbeit befindliche Mammutprojekt MEGALOPOLIS endlich in die Kinos – und ist dabei längst nicht so durchgeknallt wie angekündigt.
Darum geht’s
Der ambitionierte Architekt Caesar Catiling (Adam Driver) hat vor Kurzem den unzerstörbaren Baustoff Megalon entdeckt. Nun will er aus dem von Korruption und Gier durchzogenen New Rome die utopische Stadt Megalopolis erbauen. Leider hat nicht nur der amtierende Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) etwas dagegen. Fürchtet dieser durch die Neuausrichtung „seiner“ Stadt doch um seinen Machtstatus. Als sich Caesar und Ciceros Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) näher kennenlernen, entspinnt sich obendrein eine Dreiecks-Liebesgeschichte, denn eigentlich glaubt die ehrgeizige Journalistin Wow Platinum (Aubrey Plaza) die Geliebte an Caesars Seite zu sein…
Kritik
Gerade erst zeigte das Box-Office-Ergebnis von Kevin Costners erstem Teil seiner „Horizon“-Saga, wie risikoreich es sein kann, ein Herzensprojekt auf Biegen und Brechen durchzudrücken. Insbesondere dann, wenn man einen Großteil des Produktionsgeldes aus eigener Tasche bezahlt hat. „Horizon – Chapter One“ spielte seine Kosten an den Kinokassen nämlich nicht wieder ein. Die vorgezogene VoD-Veröffentlichung konnte aber immerhin einigermaßen gute Zahlen verbuchen, bevor Anfang September „Chapter Two“ in die US-Kinos kam. Bis zu „Chapter Three“ dauert es nun noch mindestens ein Jahr. Ein landesweiter Kinostart gestaltet sich hier allerdings als (noch) deutlich wackeliger, denn am Ende ist es das Filmstudio, das einen Großteil des Risikos mitträgt. Da kann Costner noch so viele Millionen (in diesem Fall werden rund 35 gemutmaßt) an eigenem Vermögen in das Projekt stecken. Was man ihm allerdings genauso hoch anrechnen muss wie sein Durchhaltevermögen, ist seine (selbst bei wenig Interesse dem Filmprojekt gegenüber) ansteckende Begeisterung, mit der der Schauspieler und Regisseur durch die ganze Welt tingelt, um „Horizon“ zu bewerben. Francis Ford Coppola möchte man einen ähnlichen Enthusiasmus natürlich nicht absprechen, schließlich hat er sogar noch mehr Eigenkapital in sein Herzens- und Alterswerk „Megalopolis“ gesteckt. Aber das mit der ansteckenden Begeisterung, das muss der „Apocalypse Now“-Regisseur dann doch nochmal üben…
Womit „Megalopolis“ nach seiner gespalten aufgenommenen Weltpremiere auf dem Filmfestival von Cannes nämlich vor allem Schlagzeilen machte, waren Berichte darüber, wie sich Schauspielerinnen am Set des Films durch Francis Ford Coppola belästigt fühlten. Vorwürfe, gegen die der Filmemacher mittlerweile justiziell vorgeht. Was dahinter steckt, ist als Außenstehende:r natürlich nicht mit Gewissheit zu beurteilen. Deutlich weniger Interpretationsspielraum lässt dagegen die fragwürdige Werbekampagne für „Megalopolis“. Nachdem der Film nach seiner Uraufführung mitunter miserable Kritiken (neben ebenso vielen positiven) einfuhr, bestückte die zuständige PR-Abteilung den finalen Trailer mit fiktiven negativen Zitaten, die veranschaulichen sollten, dass selbst frühe Coppola-Meisterwerke wie etwa „Der Pate“ einstmals in ihrer Genialität verkannt wurden. Blöd nur, dass kurz nach der Trailer-Veröffentlichung bekannt wurde, dass all diese Pressezitate gar nicht echt waren. Und irgendwie reiht sich das ganz gut in das Bild ein, das der Filmemacher aktuell in der Öffentlichkeit abgibt. Coppola gebiert sich in Interviews nämlich bisweilen wie ein bockiges Kind, das sich und seine Arbeit missverstanden fühlt und die Lust auf seinen Film längst nicht so anheizen kann, wie die schwelgerischen Liebeserklärungen, die Kevin Costner „Horizon“ gegenüber ablegt.
„Das Mammutwerk […] wirkt mit seinen 120 Millionen US-Dollar auf jeden Fall in höchstem Maße ambitioniert. Da es fraglich ist, ob Coppola überhaupt noch mal einen Film drehen wird, liegt die Wahrscheinlichkeit nah, dass er mit „Megalopolis“ nicht weniger als sein Opus Magnum anvisiert hat.“
Am Ende hat dieser ganze Gossip allerdings nur bedingt Auswirkungen auf den Film selbst. Das Mammutwerk, an dem Coppola seit den späten Achtzigern arbeitet, wirkt mit seinen 120 Millionen US-Dollar auf jeden Fall in höchstem Maße ambitioniert. Da es fraglich ist, ob Coppola – erst recht bei seinem sehr geringen Output – überhaupt noch mal einen Film drehen wird, liegt die Wahrscheinlichkeit nah, dass er mit „Megalopolis“ nicht weniger als sein Opus Magnum anvisiert hat. Dafür hat er ein Ensemble um sich versammelt, das, angeführt von Adam Driver („House of Gucci“), undurchdringbarer kaum sein könnte. Neben Charakterdarsteller Driver finden sich hier Namen wie das Schauspiel-Enfant Terrible Shia LaBoeuf („American Honey“), der zuletzt eher im B-Movie-und Genre-Bereich verkehrende Laurence Fishburne („John Wick: Kapitel 4“), Schauspiel-Grandseigneur Jon Voight („Heat“), die hochtalentierte, ihren endgültigen Mainstream-Durchbruch aber nie so recht gefundene Aubrey Plaza („Mike and Dave Need Wedding Dates“) sowie die Noch-Newcomerin Nathalie Emmanuel, die der breiten Masse vor allem durch ihre Auftritte in den letzten beiden „Fast & Furious“-Filmen bekannt sein dürfte.
Die Bandbreite dieser Darstellerinnen und Darsteller spiegelt die schwankenden Qualitäten des Films wider. Denn wenn „Megalopolis“ eines ist, dann ein Film mit Ausschlägen. Das Tempo und die Dynamik innerhalb der Inszenierung variieren stark. Auf bedeutungsschwangere, bisweilen sich selbst bemitleidende Dialoge der dekadenten Oberschicht, die in ihrer Trauben verspeisenden Plakativität eher anöden als zum Nachdenken anzuregen, folgen satirische Einschübe über Medienkonsum oder die Absurditäten der Starkultur. Die sind dann zwar auch nicht weniger plump, werden von Coppola allerdings mit genügend Verve vorgetragen, um ihre Wirkung zu entfalten; Ein bisschen wie bei Adam McKay, nur eben in einer utopischen, sich am Niedergang Roms entlanghangelnden Zukunftsfantasie, anstatt auf aktuelle weltpolitische Ereignisse bezogen. So kommt es auch, dass lange, schwelgerische Panoramen über den Dächern der fiktiven Stadt New Rome von abstrakten Traum- und Drogentripsequenzen durchbrochen werden. Flache Sets vor eintönig-goldener Kulisse werden von derben Stroboskop-Einlagen abgelöst – oder von vielen, vielen Nahaufnahmen der Schauspieler:innen, die die Faszination Coppolas für seinen Cast unterstreichen. Und tatsächlich spielen sämtliche Darsteller:innen so ambivalent auf, dass es sich lohnt, ihnen möglichst oft ganz tief ins Gesicht zu blicken…
„Das Tempo und die Dynamik innerhalb der Inszenierung variieren stark. Auf bedeutungsschwangere, bisweilen sich selbst bemitleidende Dialoge der dekadenten Oberschicht, die in ihrer Trauben verspeisenden Plakativität eher anöden als zum Nachdenken anzuregen, folgen satirische Einschübe über Medienkonsum oder die Absurditäten der Starkultur.“
Trotz dieser Widersprüche und Tonalitätswechsel ist „Megalopolis“ insgesamt ziemlich einfach zu durchschauen. In seiner bemerkenswert zukunftsgewandten Fabel – so steht es schon unter der Titeleinblendung – erzählt Coppola vor allem vom Kampf zwischen Tradition und Moderne. Dass er dabei vorwiegend Partei für Letzteres ergreift, wundert im Anbetracht dessen, dass es sich bei „Megalopolis“ ja eigentlich um das Alterswerk eines 85-jährigen Regisseurs handelt. Da hätte man eher erwartet, dass sich die gute alte Zeit zurückgewünscht wird. Stattdessen gehört die Zukunft in „Megalopolis“ denen, die an die Utopie glauben. Gleichzeitig aber auch vor allem den Reichen und Schönen. Die einfache Mittelschicht findet nicht nur bei den handelnden Filmfiguren kaum Gehör, der Handlungsstrang rund um den beim „gemeinen Volk“ um Stimmen fischenden Politiker Clodio Pulcher als offensichtliche Trump-Allegorie wird darüber hinaus mehr schlecht als recht aufgelöst. Die vielen weiteren Subplots driften derweil häufig ins Soapeske ab. Allen voran die zwischenmenschlichen Beziehungen – etwa die Dreiecksgeschichte zwischen Caesar Catalina und seinen beiden Frauen Wow Platinum und Julia Cicero, aber auch die zwischen ihr und ihrem Vater Franklyn – bleiben flach.
Das Wahren einer schönen Oberfläche gelingt Francis Ford Coppola darüber hinaus nur in Teilen. Mit „Megalopolis“ forciert der Regisseur eine Opulenz, die sein Film letztlich nicht einlösen kann. Die Sets wirken in Ermangelung an Tiefe häufig zweidimensional. Hier heraus sticht dafür eine Szene in einer riesigen Manege, einer Mischung aus Colosseum und Zirkus, die von Tausenden von Statist:innen mit Leben gefüllt wird. In diesen Momenten entwickelt „Megalopolis“ eine regelrechte Wucht, die aber nur kurze Zeit später erneut aufgebrochen wird – etwa durch qualitativ wankelmütige CGI-Effekte. All das ist in seiner Ambivalenz faszinierend. Irgendwann fragt man sich allerdings auch, wie viel Selbstzweck in Szenen wie einem billig gefilmten Musikvideoausschnitt steckt und ob der Film nicht gut daran getan hätte, wenn im Vorfeld jemand anderes Kreatives auf ihn draufgeschaut hätte. Ein bisschen ist „Megalopolis“ damit auch die Netflix-Variante eines Francis-Ford-Coppola-Films. Ist der Streaminggigant doch dafür bekannt, immense Summen an namhafte Regisseure rauszuhauen und diese dann „einfach machen“ zu lassen.
Fazit: „Megalopolis“ ist das überraschend zukunftsgewandte Alterswerk eines 85-jährigen Visionärs, das inhaltlich leicht zu durchschauen, aber von solch wankelmütiger inszenatorischer Qualität ist, dass viele der kreativen Ideen den Eindruck erwecken, aufmerksamkeitserhaschender Selbstzweck zu sein.
„Megalopolis“ ist ab dem 19. September 2024 in den deutschen Kinos zu sehen.