Cyrano

Nach dem von der Kritik gescholtenen, bei Netflix versendeten Thriller „The Woman in the Window“ kehrt Regisseur Joe Wright zurück in die Welt des Kostümdramas – doch in seinem CYRANO wird zudem gesungen. Wie traumhaft das ist, verraten wir in unserer Kritik.

OT: Cyrano (UK/CAN/USA 2021)

Der Plot

Frankreich, Ende des 17. Jahrhunderts: Offizier Cyrano de Bergerac (Peter Dinklage) ist als wortgewandter Kenner (und Kritiker) des Theaters stadtbekannt und wird für seine Fertigkeiten mit dem Degen bewundert. Allerdings zerreißen sich die Leute hinter seinem Rücken über sein Äußeres das Maul – und wer keinen Wert auf körperliche Unversehrtheit legt, sagt ihm alle erdenklichen Erniedrigungen ins Gesicht. Von den ständigen Beschimpfungen getroffen scheut Cyrano, aller sonstigen Selbstüberzeugung zum Trotz, davor zurück, seiner Bekannten Roxanne (Haley Bennett) zu gestehen, dass er sie liebt. Als Roxanne sich dann auch noch eines Abends auf den ersten Blick in den jungen Kadetten Christian (Kelvin Harrison Jr.) verliebt, beschließt er, Roxanne wenigstens zu Liebesglück zu verhelfen, indem er als Ghostwriter von Christians Liebesbriefen agiert und den wenig eloquenten Mann so in ihren Augen begehrenswerter dastehen lässt. Aber Eifersucht und die Pläne des ebenfalls an Roxanne interessierten Adligen De Guiche (Ben Mendelsohn) wirbeln alles dramatisch durcheinander…

Kritik

Joe Wright gelingt es stets, sich direkt nach einer schwächeren Regiearbeit zu erholen. Auf „Der Solist“ folgte der ungewöhnliche Thriller „Wer ist Hanna?“. Auf „Pan“ folgte das packende Polit-Historiendrama „Die dunkelste Stunde“, in dem Wright seine Entschlossenheit, zu beweisen dass er sich von der schlechten Rezeption seines Fantasyfilms nicht unterkriegen lässt, in einen packend-triumphalen Schluss kanalisierte. Die Erwartungen an „Cyrano“ durfte man daher entsprechend hoch ansiedeln, folgt Wrights Adaption des berühmten Liebesflüsterer-Stoffs von Edmond Rostand doch auf den von der Filmpresse in der Luft zerrissenen Thriller „The Woman in the Window“. Zudem ist „Cyrano“ als große, einflussreiche Liebesgeschichte genau die Art Story, für die Wright dank seiner inoffiziellen Keira-Knightley-Trilogie „Stolz und Vorurteil“, „Abbitte“ und „Anna Karenina“ am besten bekannt ist. Mit letzterem Titel hat „Cyrano“ darüber hinaus gemeinsam, dass Wright aus produktionstechnischer Not kreative Tugend formen musste: Im Falle von „Anna Karenina“ brachen Teile zuvor versprochenen Finanzierung weg, so dass Wright aus einem konventionellen Tolstoi-Kostümdrama eine bewusst stilisierte Tolstoi-Interpretation machte, die den gestelzten Liebesreigen der mit Beziehungen Politik treibenden Adligen im reduzierten Look eines Theaterstücks vorführt. Bei „Cyrano“ wiederum sah sich Wright gezwungen, ein prunkvolles Musical mitten in einer globalen Pandemie zu drehen.

Cyrano (Peter Dinklage) ist unsterblich in die für ihn unerreichbare Roxanne verliebt.

Wrights Lösung war es, die sizilianische Stadt Noto als Drehort zu erwählen, wo die Corona-Zahlen deutlich niedriger wahren als am italienischen Festland und es ihm und seinem 350-köpfigen Team aus Cast, Crew und Statist:innen möglich war, sich von der Außenwelt abzuschotten. Der Brite blickte auf den Film, als sei es ein gigantisches Theaterstück, mit Tanzensembles, die in verschiedenen Hintergrundrollen wiederkehren, und holte gezielt Menschen aus den verschiedensten europäischen Ländern ins Projekt, um gegen seinen Schmerz über den Brexit zu kämpfen. Bereits die Entscheidung, „Cyrano“ ausgerechnet jetzt anzupacken, war Wrights Art, mit Politfrust umzugehen – und vielleicht diente der Entschluss zugleich als unterbewusste Kurskorrektur nach „The Woman in the Window“: Wright, dessen beliebtesten Filme eine verletzliche emotionale Ehrlichkeit aufweisen, übte sich in seiner Thriller-Adaption/Hitchcock-Hommage zu enttäuschendem Ergebnis in inszenatorischer Ironie. „Cyrano“ dagegen ist von Anfang bis Ende offenherzig, es gibt nicht ein ironisches Härchen an ihm, geschweige denn eine zynische Ader.

„Joe Wright blickte auf den Film, als sei es ein gigantisches Theaterstück, mit Tanzensembles, die in verschiedenen Hintergrundrollen wiederkehren, und holte gezielt Menschen aus den verschiedensten europäischen Ländern ins Projekt, um gegen seinen Schmerz über den Brexit zu kämpfen.“

Das ist eine bewusste, tonale Entscheidung Wrights, wie er kürzlich in einem Interview erläuterte, wird aber durch die Personalien hinter diesem Film außerordentlich verstärkt: Das Drehbuch stammt von Theaterdramaturgin Erica Schmidt, die hiermit ihr eigenes auf Rostands Klassiker basierendes Bühnenmusical adaptiert. Schmidt hat den Stoff ihrem Gatten Peter Dinklage („I Care a Lot“) auf den Leib geschrieben, der sich somit seinen karrierelangen Traum erfüllt, endlich eine romantische Hauptrolle spielen zu können. Zudem spielte „Swallow“-Star Haley Bennett bereits in der Bühnenfassung die weibliche Hauptrolle – wodurch ihr Lebensgefährte Joe Wright auf das Stück aufmerksam wurde. Wright verliebte sich in das Stück, bat Bennett um Erlaubnis, Schmidt eine Leinwandadaption anzubieten, und so wurde der Film Realität. Diese persönlichen Bindungen sind „Cyrano“ durchweg anzumerken: Dinklage füllt die Figur des Cyrano mit jeder Faser seines Körpers aus, verkörpert den empathischen, romantischen und wortgewandten Soldaten vollauf überzeugend als selbstverliebten Poeten und Kämpfer, der es genießt, in der Öffentlichkeit eine große Show abzuziehen, sich aber in intimeren Momenten als kleinlaut und verletzt offenbaren kann.

Roxannes (Haley Bennett) Verehrer sind zahlreich…

Haley Bennett unterdessen spielt Roxanne unter Wrights Regie weiterhin mit der großen, sprichwörtlichen Blauäugigkeit aus dem Rostand-Klassiker, so dass ihre Begriffsstutzigkeit gegenüber Cyranos Leidenschaft plausibel bleibt. Doch Bennetts Roxanne wird in Wrights „Cyrano“ inszenatorisch wertgeschätzt und bekommt Raum, ihren Intellekt und ihr Rückgrat vorzuführen, wohingegen Rostands Text ständig Seitenhiebe auf die Figur verteilt. Somit sind sich die zwei romantischen Hauptfiguren des Films ebenbürtiger als im Original, womit ein Hauch moderner Sensibilität in den Film gerät, und Wrights insgesamt selbstbewusst-altmodische, klassisch-romantische Herangehensweise trotz heutiger Sehgewohnheiten zugänglich bleibt. Denn ganz ohne Zynik, Augenzwinkern und falsche Scheu, in den Musikszenen in Ballettchoreografien auszubrechen, schwelgt Wright in ausschweifender, vom ganzen Herzen kommender, gequälter Romantik, die es so heute kaum noch im Kino zu sehen gibt und daher schnell befremdlich wirken könnte. Die Songs von Aaron und Bryce Dessner und Matt Berninger & Carin Besse, die das Quartett in enger Zusammenarbeit mit Wright gegenüber der Bühnenfassung überarbeitet hat, wurden live am Set gesungen – und Wright geht dabei ähnlich unmittelbar vor wie Tom Hooper in „Les Misérables“: Wenn mal ein Seufzer oder schwerer Atmer die Performance aus dem Takt bringt, oder die Emotion hinter den gesungenen Worten für ein Brechen der Stimme und daher für ein Verfehlen der Note sorgt, lässt Wright dies öfters im Film, statt für einen sauberen, neuen Take anzusetzen.

„Die Songs von Aaron und Bryce Dessner und Matt Berninger & Carin Besse, die das Quartett in enger Zusammenarbeit mit Wright gegenüber der Bühnenfassung überarbeitet hat, wurden live am Set gesungen.“

Unter Wright verschwimmen raues Dialogschauspiel und Gesang nicht derart unsauber wie bei Hooper, verwandt sind die beiden Werke in ihrem Ansatz dennoch. Das wird sicherlich die Geister spalten, fügt sich allerdings hervorragend in Wrights stilistischen Ansatz, emotionale Wirklichkeit und theatrale Gesten voller künstlerischem Pathos zu vereinen. Dass aber viele der Kompositionen einen zurückhaltenden Klang anstreben, bremst „Cyrano“ aus: Die gesäuselte Tonalität geht in den intimen Passagen auf. Allerdings sind auch mehrere der Lieder, in denen sich unbändige Emotionen der zentralen Figuren freikämpfen, ein städteweiter Chor mit einstimmt und in perfekter Einheit Sidi Larbi Cherkaouis träumerischen Ballettbewegungen verfolgt, lediglich geraunt. In solchen Sequenzen bremst sich Wright mit dem leiseren, sanfteren Klang der Lieder unnötig aus, statt es seinen Figuren zu gestatten, auch mal aus vollem Halse zu schmettern.

Vor allem Christian (Kelvin Harrison Jr.) ist ein ernstzunehmender Kandidat…

Der eindringlichen Kraft der Bilder, die Wright und sein bewährter Kameramann Seamus McGarvey erzeugen, bleibt davon aber unberührt: Sie lassen Noto atemberaubend schön aussehen, und wenn McGarveys Kamera durch das Tanzensemble gleitet oder über eine Mauer hinweg schwebt, um verschnörkelte Strandstraßen voller Tänzer:innen zu zeigen, darf einem gern der Atem stocken bleiben. Hinzu kommen die Oscar-nominierten Kostüme von Massimo Cantini Parrini und Jacqueline Durran, die mit Leichtigkeit den schmalen Grat zwischen historischer Plausibilität und fantasievoller Verspieltheit entlang tänzeln. Neben Dinklage und Bennett, die wunderbar harmonieren, fällt Kelvin Harrison Jr. („Waves“) als Schwarm Roxannes, der sich Cyranos Hilfe einholt, etwas ab – die Balance aus Leugnung, die es ihm gestattet, Cyranos deutliche Liebe zu Roxanne zu ignorieren, und Selbststolz gelingt ihm nur gelegentlich, was auch daran liegt, dass sich das Skript nur beiläufig für seine Rolle interessiert. Harrisons Charme kann aber in vielen Szenen über diesen Malus hinwegtäuschen. Eindrucksvoller ist aber Ben Mendelsohn („Robin Hood“) als pompöser, lüsterner Adliger, der Roxanne zu der seinen machen will, und nach klassischem Schurkensong-Musicalgesetz eine der wenigen treibenden Nummern singen darf. Unterm Strich formt Wright mit „Cyrano“ ein auf berückende Weise sonderbares Kostümdrama-Romantikmusical: Es ist intensiv-schwelgend unverblümt und sich leise-verschämt zurückhaltend zugleich. Das ist ein Habitus, der dem Titelhelden dieser Produktion vollauf gebührt, aber auch dazu führt, dass die Flamme für den Film eher langsam ins Lodern gerät.

Fazit: „Cyrano“ ist nicht gerade die Art Musical, in die sich reihenweise Filmfans schockverlieben werden – aber als schwelgerisch-säuselnde Kostümschlacht vor bildschönen Hintergründen und mit einer von Peter Dinklages besten Performances wird sich Joe Wrights passioniertes Werk zweifelsohne den Weg in einige Herzen erschleichen.

„Cyrano“ ist ab sofort in den deutschen Kinos zu sehen.

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