Geschichtliches über Hettenleidelheim
Hettenheim und Leidelheim sind viel älter
Wenn wir im Jahr 2005 am zweiten Juliwochenende "850 Jahre Hettenleidelheim" feiern, dann bedeutet das nicht, dass Leidelheim und Hettenheim vor 850 Jahren gegründet wurden. Beide Dörfer sind einige Jahrhunderte älter. Sie entstanden wie fast alle auf -heim endenden Orte im 6. Jahrhundert, als die Franken am Ende der Völkerwanderungszeit nach dem Ende des römischen Reiches die Region eroberten und neu besiedelten, so dass die Dörfer ungefähr 1500 Jahre alt sein dürften. Die keltischen Hügelgräber im Wald und römische Bodenfunde beim Schwimmbadbau und auf den Tonfeldern beweisen, dass schon vorher Menschen im Bereich der heutigen Ortsgemarkung gewesen sind.
Nach allgemeinem Brauch beziehen sich Ortsjubiläen auf die älteste schriftliche Erwähnung eines Ortes, die sich bis in unsere Zeit überliefert hat. Angesichts der vielen Turbulenzen der Geschichte gerade in der Pfalz ist die Archivlage allerdings ziemlich zufällig. Dass viele Dörfer der Umgebung, zum Beispiel die meisten der Verbandsgemeinde Grünstadt-Land, Erwähnungen noch aus dem achten Jahrhundert aufweisen, liegt daran, dass sie mit dem südhessischen Kloster Lorsch in Verbindung standen. Im hohen Mittelalter schrieb man dort alle alten Urkunden über dem Kloster geschenkte Grundstücke in ein großes Buch ein, das durch die Gunst der Zeiten bis heute erhalten ist - ganz im Gegensatz zu den Originalurkunden, von denen keine einzige mehr bekannt ist. Wieweit bei der Übertragung gefälscht wurde, um Besitzrechte zu begründen, weiß kein Mensch.
Hettenheim: 1155
Das Dokument, auf das sich unsere 850-Jahr-Feier bezieht, liegt noch im Original im Bayerischen Staatsarchiv in München. Es ist ein Blatt aus echtem Pergament, also fein gegerbter Tierhaut, beschrieben mit kleinen, deutlich lesbaren Buchstaben, auf dem sich die Worte finden: "... et quodquod habebant aput hitenheim ... ", zu deutsch: "und das, was sie in Hitenheim besaßen".
Der Text fasst all das zusammen, was Berthold von Winzingen und eine Reihe seiner Angehörigen seit dem Jahr 1146, als Berthold das Benediktinerinnenkloster Ramsen gründete, diesem Kloster "zu ihrem eigenen und ihrer Voreltern Seelenheil" geschenkt hatten: alle ihre Ländereien bei Ramsen nebst den dazugehörigen leibeigenen Knechten und Mägden, außerdem Güter in Grünstadt und Eisenberg, Cancruze und Nantersweiler, Hitenheim und Gladebach, Gimmeldingen und Flörsheim, Gamuchheim und Friedelsheim. Ein Teil dieser Dörfer ist seither untergegangen. Mehr über Hitenheim ist dem Text nicht zu entnehmen. Die Urkunde ist nicht datiert und nicht vollzogen, das heißt, es fehlen ihr Beglaubigungsvermerk, Siegel und Handzeichen des Kaisers Friedrich Barbarossa, der im Text als Bestätiger all dieser Schenkungen auftritt. Aus dem Zusammenhang ergibt sich deutlich, dass die Urkunde Barbarossa bei seinem ersten Hoftag, den er nach seiner Kaiserkrönung im Jahr 1155 in Worms, also in erreichbarer Nähe hielt, zur Unterzeichnung vorgelegt werden sollte. Da das Pergamentblatt etliche zwischen die Zeilen geschriebenen Textzusätze enthält, ist es möglich, dass sie zu diesem Zweck neu ins Reine geschrieben wurde. Wie dem auch immer sei - an der Erwähnung Hettenheims im Jahr 1155 ist nicht zu zweifeln.
Leidelheim: 1267
Von Leidelheim erfahren wir erstmals im Jahr 1267: Ein Schiedsgericht schlichtet einen Grundstücksstreit zwischen dem Ramser Kloster und der Gemeinde Eisenberg über den Wald "Osterscheit" und ein Grundstück, von dem strittig ist, ob es zu Eisenberger oder zu Hettenheimer Gemarkung gehört. Zeugen sind unter anderem "Gerhardus, Arnoldus et Wilhelmus rustici de Luttelheim", also drei Bauern aus Leidelheim - Familiennamen waren damals noch nicht üblich.
Im Jahr 1361 - so überliefert eine bereits deutsch geschriebene Urkunde - tauscht das Ramser Kloster mit den Rittern Friedrich und Wolf von Meckenheim Besitz: den Ramser Nonnen gehört - wie in der 1155er Urkunde erwähnt - ein Hofgut in Friedelsheim, den Meckenheimer Rittern ein Gut in Leidelheim, zu dem auch Grundstücke in der Hettenheimer Gemarkung liegen. Für beide Parteien liegt dieser Besitz unzweckmäßig weit entfernt, so dass die Gründe für den Gütertauschvertrag klar auf der Hand liegen. Er hat bis heute sichtbare Auswirkungen: Dass zu Pfarrhaus, Bücherei und Jugendheim soviel Grund und Boden gehört, liegt daran, dass sie im Kern dieses damals eingetauschten Gutes stehen.
Zum Kloster Ramsen
Damit gehören zumindest die wesentlichen Teile von Leidelheim und Hettenheim dem Ramser Frauenkloster, dessen weltliche Schutzvögte die Herren von Kirchheim-Stauf waren, und es ist damit der Grund dafür gelegt, dass sich bis zum Ende des alten Reiches seine territoriale Zugehörigkeit von der der leiningischen Dörfer im Süden und der kirchheim-staufer Dörfer im Norden unterschied. Leidelheim und Hettenheim blieben von der Kirche regiert und blieben daher im Gegensatz fast zur gesamten Umgebung katholisch.
Das Hochfürstlich-bischöflich-wormsische Dorf
Im 15. Jahrhundert gerieten viele Klöster in wirtschaftliche Schwierigkeiten, mussten ihren Besitz verkaufen, fanden kaum noch Novizen, die dem ehelosen und abgeschiedenen Leben folgten. So lag es durchaus im Zug der Zeit, dass das Ramser Kloster 1485 aufgelöst wurde. Um die reichen Ländereien stritten sich die Kirche in Gestalt des Bischofs von Worms und die weltlichen Schutzvögte des Klosters. Das waren die Grafen von Nassau-Saarbrücken als Besitzer der Herrschaft Stauf. Der Bischof gewann, indem er vom Papst in Rom selbst das Kloster zugesprochen bekam. Fortan waren die Wormser Bischöfe nicht nur geistliche, sondern auch politische Herren der Leidelheimer und Hettenheimer, die gleichwohl noch immer mehr als einen Kilometer über unbebautes Land wandern mussten, um einander zu besuchen. Streitereien zwischen Worms und Nassau, zum Beispiel über Jagdrechte im Stumpfwald, hielten an, mehrere Verträge suchten die Streitigkeiten beizulegen.
2006: 450 Jahre Doppeldorf
Im Jahr 1555 wurde ein Staatsvertrag geschlossen, nach dem Hettenheim und Leidelheim mit allem Zugehör und hoher und niederer Obrigkeit dem Bischof gehören sollen. Lediglich eine Personensteuer, die Leibbeed, steht den Nassauern weiterhin zu. Ein Jahr später, 1556, wird ein gemeinsames Ortsrecht beider Dörfer, das Hetten- und Leidelheimer Weistum niedergeschrieben; Vertrag und Weistum markieren, wie Heimatforscher und Ehrenbürger Karl Blum gezeigt hat, den kommunalpolitischen Zusammenschluss beider Dörfer unter einem Dorfgericht, so dass wir im kommenden Jahr 2006 das 450-jährige Bestehen der Gesamtgemeinde Hettenleidelheim feiern können.
Im Vertragsjahr 1555 bestimmt der Augsburger Religionsfriede, dass es den weltlichen Reichständen frei steht, protestantisch zu werden, die geistlichen Fürsten aber katholisch bleiben müssen. Demnach wären die Hettenheimer und Leidelheimer nicht reformiert worden? Das stimmt de jure, aber nicht de facto. Denn es gab noch keinen Pfarrer am Ort, Leidelheim war Filiale von Wattenheim, das zur Grafschaft Leiningen gehörte, Hettenheim Filiale des nassauischen Eisenberg. Beide Pfarrorte wurden mit ihren Landesherren protestantisch, so dass bei unveränderter Pfarrzugehörigkeit - das Hochstift Worms sank durch die Reformation an den Rand seiner Existenz herab - die Hettenleidelheimer 70 Jahre lang protestantische Predigt und Christenlehre empfingen. Erst um 1625, mitten im 30-jährigen Krieg, der die Dörfer nahezu entvölkerte, sind die Dorfbewohner unter dem Schutz und Druck spanisch-kaiserlich-katholischen Militärs in die weit und breit einzige katholische Pfarrei Neuleiningen umgepfarrt worden.
Damals gab es zwei (damals ruinöse) - wohl hochmittelalterliche Kapellen, eine St.-Peters-Kapelle mitten in der heutigen Pfarrkirche und die etwas größere St.-Stephanus-Kapelle auf dem heutigen Kriegerhain. Er ist ihr alter Kirchhof. Die dort noch sichtbaren Grabsteine, etwa aus dem Pestjahr 1666, sind die ältesten sichtbaren Dokumente der Ortsgeschichte.
Der erste Pfarrer kommt 1707
1705 wurde Leidelhettenheim - diese Namensvariante wurde kurze Zeit kirchlich gebraucht - zur Pfarrei erhoben, seit 1707 ist sie regelmäßig mit einem Ortsgeistlichen besetzt. Nach jahrzehntelangen ergebnislosen Streitereien mit Nassau um die Baulastpflicht an der Hettenheimer Kapelle wurde von 1720 bis 1724 an die Peterskapelle in Leidelheim, die zum Altarraum wurde, der heute verputzte Teil der Pfarrkirche angebaut, die Hettenheimer Stefanskapelle wohl gleichzeitig abgerissen. Auch ein Pfarrhaus entstand, auf dessen Grundmauern sich heute die Pfarrbücherei erhebt. Seit spätestens 1655 leistete sich die Gemeinde einen Schulmeister, das Schul- und Rathaus befand sich schon im 18. Jahrhundert an der Stelle der heutigen alten Schule.
Das Doppeldorf war klein, etwas als 300 Einwohner, so schätzte Karl Blum nach dem Kirchenbuch, dürften zur Zeit des Kirchenbaus hier gelebt haben.
Noch zur Hochfürstlich-Bischöflich-Wormsischen Zeit begann der Tonbergbau: Mindestens seit 1767 bestand eine staatliche Tongrube, aus der zum Beispiel 1792 in einem dreiviertel Jahr 2655 Zentner verkauft wurden. 796 Gulden wurden erlöst, wovon nach Abzug der Arbeitslöhne und weiterer Kosten ziemlich genau die Hälfte als Reingewinn verblieb.
Was mit der Grube geschah, als Hettenleidelheim 1797 als Folge der französischen Revolution und der damit verbundenen Kriege mit der ganzen Pfalz Teil des französischen Mutterlandes wurde, ob sie noch bestand, als der Wiener Kongress die Pfalz 1816 dem bayerischen Königreich zuschlug, ist unbekannt. Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts nahm der Tonbergbau größere Ausmaße an. Abnehmer waren zunächst Glashütten, später die eisenverhüttende Industrie. Wer einen tonerdehaltigen Acker besaß, begann Tagbaugruben anzulegen, in denen im Tagelohn oder Mengenakkord mit primitiven Methoden schwer gearbeitet wurde.
Tonboom in der Gründerzeit
Die zu Tonherren gewordenen Bauern machten einander in wirtschaftlich schwierigen Jahren starke Konkurrenz, die Preise und Löhne erheblich drückte. Reichtum bei den Tonherren, bittere Armut bei den Erdgräbern: die sozialen Gegensätze wurden stärker, die Sozialdemokratie gewann an Einfluß und provozierte kirchliche Gegenbewegungen. Nur einmal vor dem jetzigen Bürgermeister Jokob Dormann gewann ein von der Sozialdemokratie aufgestellter Kandidat die Bürgermeisterwahl.
Das Absinken des Tonflözes in immer größere Tiefe (bis 70 Meter) Richtung Eisenberg machte es bald nötig, Schacht- und Stollenbautechniken zu entwickeln. Um die 100 Gruben und Schächte - die Zahlen schwanken - sollen Dutzende Eigentümer zeitweise betrieben haben. Ein Zeitgenosse verglich die Verhältnisse mit denen des kalifornischen Goldrausches von 1848. Zweimal versuchte man an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert Zusammenschlüsse zu einer Verkaufsgesellschaft; beide Male zerstritten sich die Teilhaber heillos. Auch der Bau der in den 1980er Jahren demontierten Eisenbahnstrecke von Ebertsheim her (1895) ist Folge des Tonbooms.
Dauerhaft war die Gründung einer Chamottefabrik, der Pfälzischen Tonwerke Hagenburger-Schwalb im Jahr 1901. Die folgende Konkurrenzgründung Union wurde bald von der HSH geschluckt. Gruben und Fabrik gaben Hunderten Hettenleidelheimern jahrzehntelang Lohn und Brot - mit krisenhaften Rückgängen bis zur Stahlkrise in den 1960er Jahren. Seitdem sanken Förderung und Verarbeitung, die HSH, in den 1930er Jahren vom Hoesch-Konzern, später von Didier übernommen, verschwand in den 1980er Jahren. Damit ist eine Industrie, die Hettenleidelheim "weit in aller Welt bekannt" - so heißt es nicht zu Unrecht im Jubiläumslied von 1955 - gemacht hatte, im Ort erloschen, Hettenleidelheim ist heute vor allem eine Wohngemeinde. In Eisenberg arbeiten noch eine Tiefgrube und ein Tontagebau, in Grünstadt brennt als letztes von etlichen in der Region bestehenden Werken die von Hettenleidelheim aus gegründete Firma Hagenburger allein noch feuerfeste Chamottesteine, indes das alte Industrieareal um den Bahnhof der Wiederbelebung harrt.
Zur Baugeschichte
Noch einiges zur baulichen Geschichte: in den 1830er und 1860er Jahren entstand in zwei Etappen die alte Schule, 1998 bis 1901 die Erweiterung der Peterskirche, 1907/08 die in den 1950er und 1960er Jahren vergrößerte neue Luitpoldschule, in den 1920er Jahren die Turnhallen des TV Gut Heil und TV Jahn, heute VfR und ASV, und das Schwimmbad. Werke der 1950er Jahre sind die protestantische Kirche, die Erhöhung des Turms der katholischen Kirche, die - später wesentlich veränderte - Leichenhalle und der Umbau einer Wirtschaft zum neuen, jüngst durch einen Neubau der Verbandsgemeinde - sie wurde bei der Verwaltungsreform 1969 gegen beträchtlichen Widerstand aus der Region von der Landesregierung eingerichtet - ersetzten Rathaus. In den 1970er Jahren, nachdem die Gemeinde das die "Dr. Heinrich und Margarethe Schwalbsche Stiftung" begründende Millionenvermögen geerbt hatte, entstand auf ererbtem Grund das erste eigene Kindergartengebäude, dem später ein zweites an den Jahn-Hallen folgte, sowie das mit Wattenheim gemeinsame Spritzenhaus.
Spektakuläre Werke der Jahre um die Jahrtausendwende, die Millionen Mark kosteten, sind die überaus wohltätige Umgehungsstraße und der Umbau der Festhalle "Gut Heil" zum modernen Veranstaltungszentrum.
Roland Happersberger