|
Physiologie/Medizin: Hormone
(Ernst Henry Starling, William Maddock Bayliss, Jokichi Takamine, Edward
Calvin Kendall, Joseph von Mering, Oskar Minkowski, Frederick Grant Banting,
Charles Herbert Best, Adolf Friedrich Johannes Butenandt, Tadeus Reichstein,
Phillip Showalter Hench)
Die einen Nervenstrang entlangeilenden elektrischen Impulse konnten nicht
als alleinige Erklärung zur Steuerung des Körpers dienen. Es
gab auch chemische Botenstoffe, die sich in der Blutbahn bewegten.
1902 entdeckten zwei englische Physiologen, Ernst Henry Starling (1866-1927)
und William Maddock Bayliss (1866-1924), dass die Bauchspeicheldrüse
nach dem Durchschneiden aller zu ihr führenden Nerven immer noch
funktionsfähig war. Sie sonderte Verdauungsfermente ab, sobald der
säurehaltige Mageninhalt den Darm erreichte. Dabei stellte sich heraus,
dass die Schleimhaut des Dünndarms unter dem Einfluss der Magensäure
einen Stoff absonderte, den Starling und Bayliss „Sekretin“ nannten. Gerade
dieses Sekretin regte nun die Abscheidung der Bauchspeicheldrüse
an. Zwei Jahre später schlug Starling einen Namen zur Bezeichnung
aller Substanzen vor, die durch besondere „endokrine Drüsen“ in das
Blut gelangten, um ein anderes Organ oder andere Organe zur Aktivität
anzuregen. Der Name war „Hormon“ und ist von griechischen Wörtern
abgeleitet, die „zur Aktivität anregen“ bedeuten.
Die Hormontheorie erwies sich als außerordentlich erfolgreich.
Man entdeckte nämlich eine Anzahl von Hormonen, die sich in minimalen
Konzentrationen in der Blutbahn befanden und ihre Wirkung genau aufeinander
abstimmten, um einen sorgfältigen Ausgleich unter den chemischen
Reaktionen des Körpers aufrechtzuerhalten oder bei Bedarf eine genau
gesteuerte Änderung herbeizuführen. Schon 1901 hatte der japanisch-amerikanische
Chemiker Jokichi Takamine (1854-1922) eine Substanz aus der Nebenniere
gewonnen, die schließlich als Hormon erkannt wurde. Heute nennt
man sie Adrenalin (früher: Epinephrin). Es war das erste Hormon,
welches rein dargestellt und dessen Struktur bestimmt werden konnte.
Ein Vorgang, bei dem man schon sehr bald eine Steuerung durch Hormone
vermutete, war der energetische Grundumsatz. Magnus-Levy hatte den Zusammenhang
zwischen Grundumsatzänderungen und einer Erkrankung der Schilddrüse
nachgewiesen, und der amerikanische Biochemiker Edward Calvin Kendall
(1886-1972) war im Jahre 1916 imstande, eine Substanz aus der Schilddrüse
zu gewinnen, die er „Thyroxin“ nannte. Sie stellte sich tatsächlich
als Hormon heraus, dessen Erzeugung in kleinen Mengen den Grundumsatz
des Körpers steuerte.
Der spektakulärste frühe Erfolg der Hormonforschung zeigte
sich jedoch in Verbindung mit der Zuckerkrankheit, bei der die Regulierung
der Umwandlung von Zucker in Energie gestört ist, so dass sich beim
Diabetiker ein zu hoher Blutzuckergehalt einstellt. Schließlich
wird der Körper gezwungen, sich des überschüssigen Zuckers
durch den Urin zu entledigen, und das Vorhandensein von Zucker im Urin
ist ein Zeichen für das fortgeschrittene Stadium der Krankheit. Bis
zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war die Krankheit tödlich.
Man hatte die Vermutung, dass die Bauchspeicheldrüse in irgendeiner
Weise mit der Krankheit zusammenhing. Im Jahre 1893 hatten nämlich
zwei deutsche Physiologen, Joseph von Mering (1849-1908) und Oskar
Minkowski (1858-1931) bei Versuchstieren die Bauchspeicheldrüse
herausgeschnitten und beobachtet, dass sich sehr schnell Diabetes entwickelte.
Nachdem nun der Hormonbegriff von Starling und Bayliss eingeführt
worden war, schien die Vermutung folgerichtig, dass die Bauchspeicheldrüse
ein Hormon erzeuge, das den Zuckerabbau steuere.
Versuche zur Isolierung des Hormons der Bauchspeicheldrüse in der
Weise, wie Kendall das Thyroxin aus der Schilddrüse gewonnen hatte,
schlugen jedoch fehl. Natürlich war es die Hauptfunktion der Bauchspeicheldrüse,
Verdauungssäfte zu erzeugen, so dass sie einen hohen Gehalt an eiweißspaltenden
Fermenten besaß. Wenn das Hormon selbst ein Eiweiß war (als
was es sich schließlich herausstellte), musste es gerade im Verlauf
des Isolierungsprozesses abgebaut werden.
Im Jahre 1920 kam ein junger kanadischer Arzt, Frederick Grant Banting
(1891-1941), auf den Gedanken, in einem lebenden Tier den Kanal der
Bauchspeicheldrüse abzuklemmen und die Drüse eine Zeitlang in
dieser Lage zu belassen. Der Verdauungsfermente erzeugende Teil der Drüse
würde verkümmern, da keine Säfte austreten konnten, während
die Teile, welche das Hormon direkt in die Blutbahn absonderten, weiterarbeiten
würden (so hoffte er). 1921 erhielt er einen Laboratoriumsplatz an
der Universität von Toronto und setzte mit einem Assistenten, Charles
Herbert Best (1899-1978), seine Vorstellungen in die Tat um. Seine
Bemühungen waren durch die Gewinnung des Hormons „Insulin“ von großartigem
Erfolg gekrönt. Die Anwendung von Insulin hat der Zuckerkrankheit
den Schrecken genommen. Obgleich ein Diabetiker auch heute noch nicht
wirklich geheilt werden kann und sich sein Leben lang einer mühsamen
Behandlung unterziehen muss, führt er doch ein verhältnismäßig
normales Leben und wird vor einem frühen Tod bewahrt.
Im
Anschluss daran wurden andere Hormone rein dargestellt. Ab 1929 gelang
es dem deutschen Chemiker Adolf Friedrich Johannes Butenandt (1903-1995)
aus den Eierstöcken und Hoden die „Sexualhormone“ zu gewinnen.
Diese steuern die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale
in der Pubertät und den monatlichen Zyklus der Frau.
Männer wie Kendall, der Entdecker des Thyroxins, und der polnisch-schweizerische
Chemiker Tadeus Reichstein (1897-1996) isolierten eine ganze Familie
von Hormonen, die Corticosteroide, aus den äußeren Partien
(der „Cortex“) der Nebennieren. Einer von Kendalls Mitarbeitern, Phillip
Showalter Hench (1896-1965), konnte im Jahre 1948 zeigen, dass ein
Corticosteroid, das „Cortison, bei rheumatischer Gelenkentzündung
eine heilende Wirkung erzielte.
1924 entdeckte der argentinische Physiologe Bernardo Alberto Houssay
(1887-1971), dass die Hypophyse, eine kleine Drüse am unteren
Hirnanhang, etwas mit dem Zuckerabbau zu tun hatte. Später stellten
sich noch andere ihrer wichtigen Funktionen heraus. Die Wissenschaft von
den Hormonen, die Endokrinologie, hat sich längst zu einem
höchst produktiven Zweig der Biologie entwickelt.
|