Pina Menconi (links) (Zum Vergrößern auf die Bilder klicken) Francesca Rola, Jg. 1915, Partisanin (mitte): "Dann sind wir schließlich weiter auf den Marktplatz (Piazza delle Erbe) gezogen, um dort alles aufzumischen und die Marktfrauen zum Mitgehen zu bewegen; wir haben die Schulen schließen lassen, die Geschäfte, alles, denn wir sagten den Leuten: "Heute ist der Tag, an dem Carrara geräumt werden soll. Wenn ihr nicht gehen wollt, dann müsst ihr mit uns kommen." Und dann sind sie mitgekommen, die meisten zumindest. Andere haben erst noch überzeugt werden müssen, haben sich uns aber kurze Zeit später angeschlossen. Die Deutschen haben es dann wirklich mit der Angst zu tun bekommen."
Elena Pensierini, Jg. 1924 (rechts): "Unter den Frauen hatte sich schon tiefe Kriegsmüdigkeit breit gemacht und so war es nicht schwer, sie auf unsere Seite zu ziehen. Es wäre schließlich für uns alle ein Drama gewesen, unsere Häuser, unseren persönlichen Bezugspunkt im Leben verlassen zu müssen, schlimmer noch als die Bomben und der Hunger."
Räumungsbefehl (ganz rechts) der deutschen Ortskommandantur
Wir werden die Stadt nicht verlassen!
Der Aufstand der Bewohnerinnen von Carrara am 7.7.1944 Im Juli 2004 jährt sich zum 60. Mal der "Frauenaufstand von Carrara". Die dortige "Via Garibaldi" - sonst unverzichtbar in nahezu jeder italienischen Stadt - ist schon vor langer Zeit in "Via 7 luglio" (7. Juli) umbenannt worden. An dem Platz, von dem der Aufstand seinen Ausgang nahm, ist eine Gedenktafel "für den siegreichen Protest der Frauen von Carrara" angebracht, die "es gewagt hatten, den Feind herauszufordern". Im Zentrum der Stadt befindet sich seit 1974 das Monument mit dem Titel "Die Frau im Widerstand", das den Aktivistinnen des zivilen Widerstands gewidmet ist: Wo sonst manifestiert sich Frauengeschichte derart offensiv in der Öffentlichkeit wie in diesem als Stadt des Marmors bekannt gewordenen Ort an der toskanischen Mittelmeerküste? Hält man sich die Tragweite des Aufstandes im Juli 1944 vor Augen, braucht das Andenken an diesen Frauenprotest nicht weiter zu verwundern: Die geplante Evakuierung Carraras durch die deutsche Besatzungsmacht verhindert zu haben, bedeutete nichts weniger, als den militärischen Widerstand in dieser Gegend bis zur endgültigen Befreiung im April 1945 ermöglicht zu haben. Wäre die Stadt geräumt worden, hätten die Partisanen nicht länger Widerstand leisten können. Ohne Rückhalt und Unterstützung durch die Zivilbevölkerung beispielsweise in Form von Lebensmittel- und Kleiderlieferungen oder der Informationsvermittlung konnte sich der bewaffnete Widerstand nicht lange halten. Doch genau diesen Widerstand zu brechen hatten die Deutschen mit ihrem Räumungsbefehl vom 7. Juli 1944 bewirken wollen und genau das war von den Frauen verhindert worden. Fest entschlossen gemeinsam den Räumungsbefehl verhindern Noch heute erinnern sich die nach wie vor politisch aktiven Zeitzeuginnen aus Carrara an diese Tage im Juli: "Am 7. Juli gab das deutsche Kommando, das Carrara besetzt hatte, den Befehl die Stadt zu evakuieren. Wir aktiven Frauen waren schon vorab vom Nationalen Befreiungskomitee darüber informiert und aufgefordert worden, uns dagegen zur Wehr zu setzen. In Carrara wohnten damals rund 100.000 Menschen, die, wenn es nach den Deutschen gegangen wäre, wie die Schafe über den Apennin hätten getrieben werden sollen. Wir haben uns in verschiedene Gruppen eingeteilt und sind sofort am nächsten Morgen zwischen 7 und 8 Uhr von Haus zu Haus gegangen und haben die Frauen aufgefordert herauszukommen und alle zusammen vor das deutsche Kommando zu ziehen.", so eine Zeitzeugin. Francesca Rola, heute Präsidentin der Partisanenorganisation (A.N.P.I.) in der Provinz Carrara, erzählt weiter: "Wir warnten alle, dass die Deutschen ihre Laster schon auf der Piazza Farini bereitgestellt hätten. Die Frauen, die sich uns anschlossen, wurden in Gruppen aufgeteilt und jeweils von einer Partisanin angeführt. So fanden wir uns alle auf der Piazza delle Erbe ein. Von dort aus bewegte sich unserer Zug zum alten Rathaus." Vor dem deutschen Kommando angekommen, riefen die Frauen Sprechchöre gegen die Räumung. Der Zug war mittlerweile auf mehrere hundert Personen angewachsen, die Transparente mit Aufschriften wie "Wir werden die Stadt nicht verlassen!" mit sich trugen. Die Schilderungen der beteiligten Zeitzeuginnen machen deutlich, wie sich die Frauen in diesem Moment ihrer Stärke bewusst wurden: "Die Frauen waren fest entschlossen, gemeinsam den Räumungsbefehl zu verhindern. Unser Vorgehen beeindruckte nicht nur die ganze Stadt, sondern auch die Deutschen. Die Verhaftung von einigen aus unseren Reihen konnte uns nicht mehr aufhalten, im Gegenteil: Dies bestärkte uns nur in unserem Vorgehen." Vergeblich versuchten die Deutschen mit Schlägen ihrer Gewehrkolben die Frauen zu verjagen. Schließlich wurde eine Abordnung aus den Reihen der Protestierenden zum deutschen Kommando vorgelassen, die das Versprechen erhielt, der Räumungsbefehl würde aufgehoben. Doch schon am nächsten Morgen hingen erneut deutsche Befehle zur Evakuierung der Stadt an den Mauern. Auf den Protest der Frauen vorbereitet, hatte man an den Straßenecken Soldaten mit Maschinengewehren aufgestellt. Doch dies brachte die Frauen nur noch mehr auf. Erneut kam es zu einem Massenauflauf, dessen Ausmaß die Deutschen überrumpelte. Stundenlang blockierten die Frauen die Straße. "Endlich, da wir uns nicht bewegten, kapitulierte das deutsche Kommando am 11. Juli", so eine der Beteiligten. Das Räumungsvorhaben der Deutschen wurde endgültig aufgegeben. Als es im Sommer 1944 zu diesem Frauenaufstand von Carrara gegen die deutsche Besatzung kam, waren viele der daran Beteiligten schon vorab politisiert gewesen. Wie Marisa Ombra, die in einer Partisaneneinheit mitkämpfte, erklärte, hatten die meisten Frauen bereits durch eine familiäre antifaschistische Prägung klar gegen Faschismus und nationalsozialistische Gewaltherrschaft Position bezogen. Anders als im restlichen Norditalien war in Carrara die anarchistische Bewegung sehr stark, sicherlich zurückzuführen auf das starke Selbstbewusstsein der Marmorarbeiter, die der Massenorganisation durch die Kommunisten individuelle Politik- und Widerstandsformen vorzogen. Maria Marconi erzählt: "Ich bin 1922 als siebtes Kind geboren. Mein Vater war Anarchist, meine Mutter ebenso. Ich musste ganz einfach auch aktiv werden, verstehst du?" "Wir wurden von einer inneren Notwendigkeit getrieben" Die Aktivsten unter den AntifaschistInnen waren auch hier, wie im restlichen von den Deutschen seit September 1943 besetzten Italien, in den so genannten Frauenverteidigungsgruppen (gruppi di difesa della donna) organisiert. Aufgabe der Gruppen war es, politische und strategische Informationen an die Partisaneneinheiten weiterzuleiten und die Verbindungen untereinander aufrechtzuerhalten. Auch Sabatoge wurde von ihnen betrieben, indem sie z. B. Proklamationen oder Aufrufe der faschistischen Republik von Saló, sich zum Militär zu melden, übertünchten und unkenntlich machten oder Straßenschilder verstellten, um die gegnerischen Truppenbewegungen zu behindern. Die Mittel dieser in der Regel unbewaffneten Frauen im Widerstand gegen die Nazibesatzung waren Irreführung und Verkleidung. Dina Bacciola erinnert sich: "Eine Frau, die uns Waffen für den Weitertransport an die Partisanen überbrachte, hatte das Gewehr wie ein Baby in Windeln gewickelt, sogar ein Mützchen hatte sie übergezogen und alles mit einer Decke zu gedeckt." Die Motivation dieser aktiv am Widerstand beteiligten Frauen erklärt Francesca Rola folgendermaßen: "Nein, Heldinnen waren wir nicht. Wir wurden von einer inneren Notwendigkeit getrieben. Denn es ist - für viele - eine Notwendigkeit sich frei zu fühlen und für die vorenthaltenen Freiheiten zu kämpfen. Und wir Frauen hatten noch mehr Gründe dazu. Der Faschismus war das Gegenteil von dem, war wir wollten. Lesen, studieren, uns ausbilden, etwas über die Welt erfahren ..." So stark die anarchistische Bewegung unter den Marmorarbeitern war, so stark wurde in Carrara umgekehrt der Faschismus von den Unternehmern der Marmorindustrie finanziert. Eine Besonderheit der Kriegssituation in den Apuanischen Alpen an der Grenze zwischen der Toskana und Ligurien war die Lebensmittelknappheit, da in dieser Gegend kaum Landwirtschaft möglich ist. In allen Erinnerungen, ob Frau oder Mann, tauchen die Züge der Frauen auf, die mit dem Fahrrad und zu Fuß den Apennin überquerten, um in der landwirtschaftlich reicheren Region Emilia Romagna das von ihnen mitgeschleppte Salz gegen Mehl einzutauschen. Organisiert wurden auch diese Züge von den Frauenverteidigungsgruppen. Angriffe von Diebesbanden und Beschlagnahmung der Ware auf dem Nachhauseweg durch die Faschisten erschwerte diese ohnehin mühsame und langwierige Form der Nahrungsmittelbeschaffung. Pina Menconi musste während der Abwesenheit ihrer Mutter Lea Ciolli als Älteste auf ihre kleineren Geschwister aufpassen. Sie erinnert sich, wie sie nach einigen Tagen an der Straße auf ihre Mutter wartete und die zurückkehrenden Frauen ängstlich nach ihr fragte. Die Frauen konnten durch beschwerlichen Märsche die Versorgung von 100 bis 120.000 Menschen in Carrara gewährleisten und so den Widerstand über den harten Winter 1944/45 hinweg ermöglichen. Frauen wie Lea Ciolli ist das bereits angesprochene Denkmal "Die Frau im Widerstand" in Carrara gewidmet. |