Streitbar und umstritten wie kaum einer seiner Kollegen, ist Konrad Paul Liessmann der wahrscheinlich produktivste unter den jüngeren österreichischen Philosophen. Neben seiner Tätigkeit am Institut für Philosophie der Universität Wien arbeitet Liessmann auch als Essayist und Literaturkritiker vor allem für den Falter und den Standard; 1996 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik.
Unter seinen zahlreichen Buchveröffentlichungen finden sich unter anderem Einführungen in die Philosophie von Günther Anders und Søren Kierkegaard, Bücher über die ästhetischen Theorien von Adorno und Kierkegaard, Abhandlungen über Marx und über Europa, eine Philosophie der modernen Kunst sowie - vor wenigen Wochen erschienen - "Vom Nutzen und Nachteil des Denkens für das Leben", Liessmanns Vorlesungen zur Einführung in die Philosophie.
heureka!:: In Österreich gibt es die paradoxe Situation, daß die Lehrer an den "höchsten Schulen", den Universitäten, von allen Lehrern die geringste didaktische Ausbildung haben. Halten Sie das für ein Problem?
Konrad Paul Liessmann: Grundsätzlich eher nicht. Denn man könnte auch sagen, daß der Zusammenhang "je höher die Schule, desto weniger Didaktik" ganz natürlich ist. Ich gehe davon aus, daß Didaktik dort eine große Rolle spielt, wo man es mit heranwachsenden Kindern und Jugendlichen zu tun hat, für die bestimmte Vermittlungsformen notwendig sind, um sie zu interessieren. Im Umgang mit Erwachsenen halte ich Didaktik für weniger wichtig. Was nicht heißt, daß es keine Qualitätsunterschiede in der Präsentation von Lehrinhalten gäbe.
Worauf kommt es denn dabei sonst an?
Für mich lebt eine Lehrveranstaltung vor allem vom Engagement sowohl der Lehrenden als auch der Lernenden. Man kann natürlich die Lehrenden verbessern, indem man sie in praktischen Dingen unterweist, also wie man Overheadfolien auflegt etc. etc. Außerdem tut der eine oder andere Rhetorikkurs wirklich ganz gut. Aber wenn die grundsätzliche Fähigkeit fehlt, jemanden zu enthusiasmieren - und das halte ich auf der Universität für entscheidend -, dann kann die Didaktik auch nicht viel ausrichten.
Mutet es nicht trotzdem seltsam an, daß die Habilitation - also die Erteilung einer universitären Lehrbefugnis - fast ausschließlich an den Nachweis von Forschungsleistungen, aber nur marginal an den Nachweis von Lehrkompetenz geknüpft ist?
Da ich davon ausgehe, daß die Universität ihre Legitimität aus der Verknüpfung von Forschung und Lehre bezieht, habe ich nichts gegen eine verstärkte Überprüfung von Qualität in der Lehre. Zumal die Universität ja auch immer mehr zu einer Lehr- und Ausbildungsstätte wird, was die Situation ja doppelt paradox macht: Im Hinblick auf die wissenschaftliche Karriere zählt fast ausschließlich die Seite der Forschung, aber im Hinblick auf die tatsächliche Tätigkeit nimmt ja die Lehre einen immer größeren Stellenwert ein.
Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der stärkeren Ausdifferenzierung zwischen Universitäten und Fachhochschulen, an denen nur mehr gelehrt wird?
Das halte ich für ein vernünftiges Konzept. Da, wo es eine konzise, praxisorientierte Berufsausbildung gibt, muß nicht notwendigerweise auch geforscht werden. Bei einem sehr angewandten Berufsfeld wie dem der Medizin würde ich aber dennoch dafür plädieren, daß es an der Universität verbleibt, denn dazu ist eine wissenschaftlich fundierte Vorbildung nötig - und zwar in dem Sinn, daß der Ausgebildete auch versteht, wie seine Wissenschaft funktioniert.
Wie sehen Sie die vorhandenen Anreize, sich an der Universität in der Lehre besonders zu engagieren?
Solche Anreize zu setzen ist ja auch deshalb so schwierig, weil gute Lehre so schwer meßbar ist. Mich persönlich fasziniert vor allem, welche Resonanz ich bei den Studenten haben kann. Wenn viele Studierende zu mir kommen, ist das eine Bestätigung meines Engagements. Aber auch, wenn man das über Evaluationen formalisiert, bleibt das eine subjektive Angelegenheit, die sich schwer quantifizieren läßt.
Bleibt die studentische Evaluation letztlich ein zahnloses Instrument, wie vielfach kritisiert wurde?
Ich denke, daß die Evaluation schon rein atmosphärisch eine Änderung bringen wird. Man kann natürlich sagen, daß die Vorladung beim Studiendekan aufgrund schlechter Beurteilungen folgenlos bleibt. Andererseits darf man nicht unterschätzen, daß das für die betroffenen Universitätslehrer doch unangenehm ist. Möglich ist also, daß diese ganze Evaluationsdiskussion wie eine Art Placebo wirkt. Auf der anderen Seite zweifle ich aber auch an, daß die Studierenden die letzte Instanz sein sollten, die über gute oder schlechte Lehre entscheidet.
Ist diese Machtposition eigentlich reizvoll: hinter dem Podium zu stehen und ungestört vortragen zu können?
Es macht ja gar keinen Sinn, das zu leugnen. Natürlich ist es ein großer Vorteil, eineinhalb Stunden reden zu können, ohne sich bei jedem Satz sofort einer Diskussion stellen zu müssen. Ich glaube aber auch, daß das nicht nur negativ zu sehen ist, denn in bestimmten Dingen kann der Ertrag für Lernende wie für Lehrende größer sein, als wenn man alles nur verdiskutieren würde. Ich möchte diese unterschiedlichen Typen der Lehrveranstaltungen - von der "autoritären" Vorlesung über die kommunikativeren Proseminare und Seminare bis hin zu den Projektarbeiten - nicht gegeneinander ausspielen. Die haben alle ihren komplementären Sinn und ihre Bedeutung.
Wie halten Sie es mit der demokratiepolitischen Kritik an der "autoritären" Vorlesung?
In jenen Zeiten, als die Vorlesung Monopolcharakter hatte, war sie zweifellos auch ein wichtiges Instrument, um Autorität zu demonstrieren. Gerade durch die vollzogene Demokratisierung des Wissens, wie sie gerade auch durch die neuen Medien erfolgte, verliert die Vorlesung aber diesen Monopolcharakter und wird dementsprechend auch ungefährlicher.
Stellt sich im Informationszeitalter nicht die sehr viel grundsätzlichere Frage, ob traditionelle Lehrveranstaltungsformen wie die Vorlesung überhaupt noch angebracht sind?
Die Funktion der Vorlesung ändert sich natürlich durch die neuen Medien. Doch das hat sie ja eigentlich schon seit der Erfindung des Buchdrucks ständig getan, denn seitdem war es möglich, etwas zu lernen, ohne notwendigerweise im Hörsaal sein zu müssen. Das heißt, auch die Leute, die um 1820 bei Hegel in Berlin Philosophie studierten, hätten nicht zu ihm in die Vorlesung gehen müssen, sondern die "Phänomenologie des Geistes" genausogut zu Hause lesen können. Trotzdem - und obwohl sie nichts verstanden haben - sind sie in Scharen hingegangen.
Aber die neuen Medien gehen doch weit darüber hinaus?
Ich denke auch, daß das den Zugang und das Beschaffen von Wissen unglaublich vereinfacht, sodaß es in der Tat nicht mehr notwendig ist, bestimmte Dinge nochmals vorzutragen, die man ohnehin über das Internet oder CD-ROMs viel schneller bekommen kann. Gleichzeitig ist Wissensproduktion, Wissensvermittlung und Wissensaneignung immer auch ein zwischenmenschlicher Prozeß. Und je leichter der technische Zugang zu formalisierten Wissensinhalten ist, desto offensichtlicher wird diese zwischenmenschliche Dimension. Und desto attraktiver werden richtige Lehrveranstaltungen wie Seminare und Vorlesungen. Die Erfindung der Schallplatte hat ja auch nicht dazu geführt, daß die Leute nicht mehr ins Konzert gehen. Im Gegenteil.
EINFACH ZUR NACHLESE: Liessmanns Vorlesungen
Von Platos Höhle zu Poppers Kübel". Das ist der Titel von Konrad Paul Liessmanns aktueller philosophischer Einführungsvorlesung an der Universität Wien. Jeden Dienstag ab 18 Uhr werden ihm auch in diesem Semester einige hundert Studenten im Auditorium Maximum der Universität beim Denken zuschauen und zuhören.
Wer das im vergangenen Semester versäumt hat oder Liessmanns Vorlesungen in wohlfeiler Form nachlesen will, für den gibt es nun eine Abhilfe. Unter dem nicht völlig unprätentiösen Titel "Vom Nutzen und Nachteil des Denkens für das Leben" erschien vor einigen Wochen der erste Teil von Liessmanns philosophischer Propädeutik des Studienjahres 1997/ 98, die in zwölf Kapiteln (bzw. Vorlesungen) vom Lachen übers Staunen, das Erzählen und das gute Leben schließlich bis hin zum richtigen Handeln führt.
Eine solche themen- bzw. problemorientierte Vorgangsweise hat einiges für sich, zumal sie auf der einen Seite eine allzu philosophiehistorische Darstellungsweise geschickt umschifft. Indem sie sich auf der anderen Seite unmittelbaren menschlichen Problemen und Bedürfnissen stellt, holt sie die Philosophie in bester anglo-amerikanisch-pragmatischer Tradition wieder zurück aus ihrer vermeintlichen Weltfremdheit und macht sie für lebenspraktische Fragen fruchtbar.
Wenn auch nur in der Theorie. Denn im Hinblick auf den Titel seines Buches gibt sich Liessmann, der auch in der Universität keine Dienstleistungseinrichtung sehen möchte, immer wieder vom Nachteil des Denkens für das Leben überzeugt. Das hindert ihn indes nicht daran, munter mit dem Denken und Schreiben fortzufahren: Im Mai soll der zweite Band seiner Einführung erscheinen. Der wird den Leser dann - wie bereits gesagt und im Audi Max live zu verfolgen - von Platos Höhle zu Poppers Kübel bringen. Untertitel: "Die großen Philosophen und ihre Probleme".
Bücher von Konrad Paul Liessmann:
Vom Nutzen und Nachteil des Denkens für das Leben. Vorlesungen zur Einführung in die Philosophie.
Wien 1997 (WUV). 200 S., öS 298,-
Über den Nutzen und Nachteil des Vorlesens. Eine Vorlesung über die Vorlesung.
Wien 1994 (Picus). 57 S., öS 98,-
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