Alexander Sinitschew
In diesem Jahr wird das 130. Jubiläum der Entdeckung des arktischen Archipels Franz-Josef-Land begangen. Die österreichische Expedition drohte beinahe zu scheitern, als plötzlich unbekanntes Land in Sicht war. Aber damit war die Odyssee zwischen Eis und Kälte noch lange nicht zu Ende.
Der österreichische Mäzen Graf Hans Wiltschek beschloss, seinen Beitrag zur Erschließung der arktischen Weiten zu leisten. Mit seinem Geld wurde der Dampfschoner „Tegetthof“ gebaut und die ganze nötige Ausstattung für die bevorstehende Expedition gekauft.
Zwei Leutnants der österreichischen Flotte Julius Peier und Karl Weiprecht wurden beauftragt, die Expedition zu leiten. Vor der Expedition wurde den Teilnehmern eine klar umrissene Aufgabe gestellt: Sie sollten die Inseln Nowaja Semlja nördlich umfahren, dann an der Küste zur Beringstraße, weiter über die warmen Meere am asiatischen Kontinent vorbeifahren und in die Heimat zurückkehren.
Am 13. Juli 1872 fuhr der Schoner aus dem norwegischen Hafen Tromsö los, wobei an Bord Lebensmittel für zwei Winter und drei Sommer vorhanden waren. Am 21. August erreichte er den nördlichsten Punkt der Nowaja Semlja und nahm Kurs auf den Osten.
Die ganze Mannschaft hoffte bald, die Beringstraße zu erreichen. Aber Ende September im selben Jahr wurde „Tegetthof“ vom Eis „gefangengenommen“. Tage vergingen, dann Wochen, und die Eisfesseln um das Schiff herum wollten sich nicht lockern.
Es ist wohl bekannt, dass viele Entdeckungen dank der Unwissenheit der Menschen, die sie gemacht haben, möglich wurden. Die Mitglieder der Pariser Akademie waren sich absolut sicher, dass der Laut nicht festgehalten werden kann.
Und Edison wusste nichts davon und erfand dann seinen Phonographen. Etwas Ähnliches ist auch mit der österreichischen Expedition geschehen.
Ihre Teilnehmer ahnten es gar nicht, dass ihr unzuverlässiges Schifflein sofort von driftenden Eisschollen umschlossen wird, die es gegen ihren Willen nicht zur Beringstraße, sondern zu einem bis dahin unbekannten Land treiben werden.
Erstmals zeigte es sich den verwunderten Expeditionsteilnehmern am 31. August 1873, indem es mitten im Morgennebel auftauchte.
Den Menschen, die seit einem ganzen Jahr nichts als Eis um sich herum gesehen hatten, kam es wie ein Märchenland vor. Ihre Gipfelgletscher glänzten und blendeten den Betrachter mit ihrer Weiße. Die Augen suchten nach Eingeborenen, aber alles umsonst: Das Land war völlig unbewohnt.
Am nächsten Tag verschlechterte sich das Wetter. Ein Nordwind begann zu wehen, und das Land verschwand – genauso schnell wie es zum Vorschein gekommen war.
Aber Anfang Oktober besserte sich das Wetter. Der Nordwind legte sich, und die Eisschollen wurden zusammen mit „Tegetthof“ weiter nach Norden getrieben.
Am 1. November erblickten die Reisenden zum zweiten Mal das unbekannte Land. Sie gingen ans Ufer und begannen, das Land zu erkunden. Der ganze Archipel wurde nach dem damaligen Monarchen Franz-Josef I. benannt.
Die nördlichste Insel bekam den Namen des Kronprinzen Rudolf. Auch Graf Wiltschek wurde nicht vergessen, seinen Namen trägt auch eine der Inseln. Eine andere, kleinere Insel „bekam“ der Expeditionsleiter Preier.
Im Frühling 1874 geriet die Expedition in eine äußerst schwierige Situation. Allen wurde absolut klar, dass der Schoner nicht bis zum Herbst vom Eis befreit werden konnte.
Deswegen verließen alle Expeditionsteilnehmer am 20. Mai 1874 das Schiff und gingen in Richtung Süden, wobei sie auf Schlitten vier Rettungsboote, viereinhalb Tonnen Proviant und die nötigste Ausrüstung mitschleppten.
Die ersten Wochen der Wanderung durch die Eisbrockenlandschaft waren absolut erfolglos. Bis Anfang Juli konnten die Seeleute nur 15 Kilometer zurücklegen. Es schien, als ob Weiprecht und Preier nichts mehr übrig blieb, als zum Schiff zurückzukehren und noch eine Polarnacht bei mangelnder Verpflegung zu verbringen.
Aber glücklicherweise verbesserte sich die Lage mit dem Eis, und am 15. August erreichte die Expedition das Wasser. Die Menschen dachten, sie hätten einen Ausgang „aus der kalten Gruft“ gefunden, der sie „zu einem neuen Leben“ führen sollte.
Am 17. August erreichten sie die bekannte Westküste der Nowaja Semlja. Am nächsten Abend legten die Boote an. Alle waren über die üppige Pflanzenwelt der Insel verwundert.
Weiprechts Worten zufolge sei das Wetter dermaßen warm gewesen und das Land dermaßen dicht von Blumen und Gras bedeckt, dass die Gegend durchaus für eine Bucht „im sonnigen Italien“ gehalten werden konnte.
Am nächsten Tag fuhren die Rettungsboote wieder Richtung Süden an der Küste entlang und erreichten bald die Meerenge Matotschkin Schar.
Alle hofften, hier Schiffe russischer Industrieller zu finden. Aber die Hoffnungen waren umsonst. Alles war leer.
Der 25. August war der schlimmste Tag für die Expedition. Die letzten Proviantreste wurden aufgebraucht. Die entscheidende Stunde sei gekommen, wie Preier in seinem Tagebuch schrieb, es bleibe eines von den beiden: Entweder sehe man bald ein Schiff oder man werde stürmischen Ozean ausgeliefert sein.
Das Erstere ist geschehen. Hinterm Kap befanden sich zwei russische Schiffe. Die Rettungsboote legten am Schoner „Swjatoj Nikolaj“ (der heilige Nikolaus) an. Auf das Deck trat die ganze bärtige Mannschaft. Die unerwarteten Gäste wurden gastfreundschaftlich empfangen.
Alles Essbare, was es auf dem Schoner gab, wurde aufgetischt. Allerdings gab es am Anfang kleine Probleme, da nicht genug Tassen vorhanden waren. Nachdem aber jeder einen halben Teller Wodka ausgetrunken hatte, wurde das Problem vergessen.
Beim Essen erklärte sich der Kapitän des Schoners, Woronin, bereit, die Expedition zum norwegischen Hafen Vardø zu bringen, und stellte Preier und Weiprecht seine Kajüte zur Verfügung.
Am 26. August 1874 lichtete der Schoner den Anker. Der Kapitän brachte das Schiff ohne Navigationskarten am 3. September zum Zielhafen. Die österreichischen Seeleute waren sehr erstaunt.
Gleich nach der Landung schickte Preier ein Telegramm nach St. Petersburg, in dem es hieß: „Besten Dank für die großzügige Hilfe der Expedition. Russischer Schoner „Swjatoj Nikolaj“ rettete uns.“
Die Entdeckung der Österreicher wurde später Teil Russlands. Während des Sowjetregimes diente die Insel als Forschungsgebiet und strategisches Faustpfand im Kalten Krieg. Erst seit Ende des Regimes steht Franz-Joseph-Land wieder für Expeditionen offen.