Qesem-Höhle

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Qesem-Höhle

Lage: 12 km östlich von Tel Aviv
Geographische
Lage:
32° 6′ 7,9″ N, 34° 59′ 12″ OKoordinaten: 32° 6′ 7,9″ N, 34° 59′ 12″ O
Qesem-Höhle (Israel Mitte)
Qesem-Höhle (Israel Mitte)
Entdeckung: 2000
Besonderheiten: Archäologischer Fundplatz

Die Qesem-Höhle (hebräisch מְעָרַת קֶסֶם Məʿarat Qessem, deutsch ‚Zauber-Höhle‘, englisch Qesem Cave; auch: Kessem-Höhle) ist eine verschüttete Karsthöhle mit menschlichen Fossilfunden und Siedlungsresten aus der Altsteinzeit. Sie liegt in der nordöstlichen Peripherie der Stadt Rosch haʿAjin unweit des nördlich angrenzenden Kafr Qasims, etwa zwölf Kilometer östlich von Tel Aviv (Israel) entfernt.

Entdeckungsgeschichte

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Die Qesem-Höhle ist Teil eines im Cenomanium entstandenen Karstsystems. Der später, vor allem im Quartär vollständig mit Sediment verfüllte Hohlraum wurde im Zuge von Sprengarbeiten für den Bau der Autobahn 5 (Kvīsch Arzī Roschī H5 / כְּבִישׁ אַרְצִי רָאשִׁי, deutsch Haupt-Landesstraße 5) im Oktober 2000 entdeckt. Im gesprengten Höhlenschutt wiesen Faustkeile und Werkzeuge des Acheuléen und Yabrudien[1] sowie Klingen des Amudien auf eine Besiedlung hin, die mindestens 200.000 Jahre alt sein musste.[2] Aufgrund dieser außerordentlichen Befunde, die vom israelischen Prähistoriker Avi Gopher (Universität Tel Aviv) sofort als mittelpleistozän erkannt wurden, konnte eine Veränderung des Straßenverlaufs erzielt und die Höhle aus Bebauungsplänen herausgenommen werden. Sie erhielt ihren Namen nach dem nahe gelegenen Qesem-Autobahnkreuz (als Qesem Interchange in derselben Schreibweise ausgeschildert), während die nahe gelegene Ortschaft als Kafr Qasim ausgeschildert ist.

Seit 2001 wird die Höhle von Prähistorikern und Paläontologen unter Führung der Universität Tel Aviv wissenschaftlich untersucht. Seit 2004 finden jährliche Grabungskampagnen in den Sommermonaten statt. Die Fauna wird von Knochen des Damhirsches dominiert. Aufsehen erregten besonders die 2011 publizierten Funde von isolierten menschlichen Zähnen, die trotz ihres Alters von 200.000 bis 400.000 Jahren Merkmale des anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) aufweisen sollen.[3] Obwohl diese Frage wissenschaftlich umstritten ist, fand die Erstpublikation ein großes Medienecho.[4][5]

Menschliche Zahnfunde

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Ein Backenzahn aus der Qesem-Höhle aus unterschiedlichem Blickwinkel
Angebrannte Reste von Tierknochen

Zum gegenwärtigen Stand sind 11 Zähne von mindestens sechs Individuen bekannt,[6] die anhand der umgebenden Fundschichten und des aufliegenden Sinterkalkes ein stratigraphisches Alter von 200.000 bis 400.000 Jahre aufweisen.[7] Die ESR/U-Seriendatierung ergab Alter zwischen 249 und 296 ka für die Feuerstelle des Amudien (Mittelwert 280 ka) und von 279–382 ka für die Fundschicht des Yabrudien (Mittelwert 313 ka). Die Zähne wurden in drei verschieden alten Schichten gefunden. Drei der Zähne stammen von einem menschlichen Oberkiefer (Zahnformel C1-P4). Der laminierte Sinterkalk wurde mittels Uran-Thorium-Methode datiert und bildet den Terminus ante quem der Einlagerung. Unter Leitung des Anthropologen Israel Hershkovitz (Universität Tel Aviv) wurde ein Vergleich von verschiedenen Zahnfunden der Arten Homo heidelbergensis, Homo neanderthalensis und Homo sapiens durchgeführt.[3] Neben metrischen Merkmalen wurden Röntgen- und CT-Untersuchungen einbezogen. Die Studie kam zum Ergebnis, dass hierbei die größte Ähnlichkeit mit den Zähnen vom unweit im Karmelgebirge gelegenen Vorplatz der Skhul-Höhle und aus der bei Nazareth gelegenen Qafzeh-Höhle vorliegt. Die dort entdeckten Fossilien gelten derzeit als die ältesten des modernen Menschen außerhalb Afrikas, ihr Alter wurde auf 80.000 bis 100.000 Jahre bestimmt. An keiner Stelle des Aufsatzes wurde jedoch explizit geschrieben, damit sei die Zuordnung zu Homo sapiens (bzw. einem archaischen Homo sapiens) gesichert.[3]

In einer 2015 publizierten Studie wurde anhand von Zahnstein-Überresten nachgewiesen, dass die Nahrung dieser Menschen aus einer ausgewogenen Mischung von Fleisch und Pflanzenkost bestand; ferner wurden im Zahnstein Spuren von Holzkohle entdeckt, die – zumal in Kombination mit den ebenfalls in der Höhle erhalten gebliebenen, angebrannten Tierknochen – das Verzehren von erhitzter Nahrung belegen.[8]

Die Klassifikation der Fossilfunde ist bislang umstritten.[9] Andere Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass die Merkmale im Prinzip in der Überlappungszone zwischen Neandertalern und modernen Menschen liegen und die Zähne daher auch von Neandertalern stammen können.[4] Problematisch am Vergleich mit den Zähnen von Skhul und Qafzeh sei, dass diese ebenfalls nicht eindeutig einer der beiden Arten zuzuordnen sind.[10]

  • Ruth Blasco et al.: Bone marrow storage and delayed consumption at Middle Pleistocene Qesem Cave, Israel (420 to 200 ka). In: Science Advances. Band 5, Nr. 10, 2019, eaav9822, doi:10.1126/sciadv.aav9822
  • Ran Barkai, Avi Gopher: Cultural and biological transformations in the Middle pleistocene Levant: A view from Qesem Cave, in: Takeru Akazawa, Yoshihiro Nishiaki, Kenichi Aoki (Hrsg.): Dynamics of Learning in Neanderthals and Modern Humans, Bd. 1: Cultural Perspectives, Springer, 2013, S. 115–137. (academia.edu)

Einzelnachweise

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  1. vgl. Yabrud, Fundplatz in Syrien; Alfred Rust: Die Höhlenfunde von Jabrud (Syrien). Offa-Bücher 8, Neumünster, 1950
  2. Avi Gopher et al.: Qesem Cave: An Amudian Site in Central Israel. In: Journal of The Israel Prehistoric Society. Band 35, 2005, S. 69–92, Volltext (Memento vom 19. November 2012 im Internet Archive) (PDF)
  3. a b c Israel Hershkovitz, Patricia Smith, Rachel Sarig, Rolf Quam, Laura Rodríguez, Rebeca García, Juan Luis Arsuaga, Ran Barkai, Avi Gopher: Middle pleistocene dental remains from Qesem Cave (Israel). In: American Journal of Physical Anthropology. 144. Jahrgang, Nr. 4, 2011, ISSN 0002-9483, S. 575–592, doi:10.1002/ajpa.21446. (Volltext, PDF) (Memento vom 19. November 2012 im Internet Archive)
  4. a b Markus Becker: Evolution des Menschen: Forscher rätseln über 400.000 Jahre alte Zähne. In: Spiegel Online. 28. Dezember 2010, abgerufen am 23. Juni 2015.
  5. Did first humans come out of Middle East and not Africa? Israeli discovery forces scientists to re-examine evolution of modern man. Auf: dailymail.co.uk, 28. Dezember 2010
  6. Israel Hershkovitz, Gerhard W. Weber, Cinzia Fornai, Avi Gopher, Ran Barkai, Viviane Slon, Rolf Quam, Yankel Gabet, Rachel Sarig: New Middle Pleistocene dental remains from Qesem Cave (Israel). In: Quaternary International. 398. Jahrgang, 2016, ISSN 1040-6182, S. 148–158, doi:10.1016/j.quaint.2015.08.059.
  7. C. Falguères, M. Richard, O. Tombret, Q. Shao, J.J. Bahain, A. Gopher, R. Barkai: New ESR/U-series dates in Yabrudian and Amudian layers at Qesem Cave, Israel. In: Quaternary International. 398. Jahrgang, 2016, ISSN 1040-6182, S. 6–12, doi:10.1016/j.quaint.2015.02.006.
  8. Karen Hardy et al.: Dental calculus reveals potential respiratory irritants and ingestion of essential plant-based nutrients at Lower Palaeolithic Qesem Cave Israel. In: Quaternary International. Online-Vorabveröffentlichung vom 18. Juni 2015, doi:10.1016/j.quaint.2015.04.033
    Ancient dental plaque reveals healthy eating and respiratory irritants 400,000 years ago. Auf: eurekalert.org vom 18. Juni 2015
    Where There’s Smoke: 400,000-Year-Old Dental Tartar Provides Earliest Evidence of Manmade Pollution. Auf: American Friends of Tel Aviv University vom 17. Juni 2015
  9. Jeffrey H. Schwartz, Ian Tattersall: Fossil evidence for the origin of Homo sapiens. In: American Journal of Physical Anthropology. Band 143, Supplement 51 (= Yearbook of Physical Anthropology), 2010, S. 94–121, doi:10.1002/ajpa.21443
  10. Brian Switek: A Fistful of Teeth – Do the Qesem Cave Fossils Really Change Our Understanding of Human Evolution? Weblog, 28. Dezember 2010