Cyanwasserstoff

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Strukturformel
Struktur von Cyanwasserstoff
Allgemeines
Name Cyanwasserstoff
Andere Namen
  • Ameisensäurenitril
  • Blausäure
  • Cyanwasserstoffsäure
  • Formonitril
  • Hydrogencyanid
  • Acidum borussicum
  • Zyklon B[1]
Summenformel HCN
Kurzbeschreibung

farblose, nach Bittermandeln riechende Flüssigkeit[1]

Externe Identifikatoren/Datenbanken
CAS-Nummer 74-90-8
EG-Nummer 200-821-6
ECHA-InfoCard 100.000.747
PubChem 768
ChemSpider 748
Wikidata Q26075
Eigenschaften
Molare Masse 27,03 g·mol−1
Aggregatzustand

flüssig[1]

Dichte

0,69 g·cm−3[1]

Schmelzpunkt

−13 °C[1]

Siedepunkt

26 °C[1]

Dampfdruck

817 hPa (20 °C)[1]

pKS-Wert

9,40[2]

Löslichkeit

mit Wasser vollständig mischbar[1]

Brechungsindex

1,2614 (20 °C)[3]

Sicherheitshinweise
GHS-Gefahrstoffkennzeichnung aus Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP),[4] ggf. erweitert[1]
Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol Gefahrensymbol

Gefahr

H- und P-Sätze H: 224​‐​300+310+330​‐​372​‐​410
P: 210​‐​260​‐​262​‐​273​‐​280​‐​303+361+353​‐​304+340​‐​310​‐​501[1]
MAK

DFG/Schweiz: 1,9 ml·m−3 bzw. 2,1 mg·m−3[1][5]

Toxikologische Daten
Thermodynamische Eigenschaften
ΔHf0

108,9 kJ/mol[9]

Soweit möglich und gebräuchlich, werden SI-Einheiten verwendet.
Wenn nicht anders vermerkt, gelten die angegebenen Daten bei Standardbedingungen (0 °C, 1000 hPa). Brechungsindex: Na-D-Linie, 20 °C

Cyanwasserstoff (oder Blausäure) ist eine farblose bis leicht gelbliche, brennbare, sehr flüchtige und wasserlösliche Flüssigkeit. Die Bezeichnung Blausäure rührt von der früheren Gewinnung aus Eisenhexacyanidoferrat (Berliner Blau) her, einem lichtechten tiefblauen Pigment. Blausäure kann als Nitril der Ameisensäure angesehen werden (der Nitrilkohlenstoff hat die gleiche Oxidationsstufe wie der Carboxylkohlenstoff), daher rührt auch der Trivialname Ameisensäurenitril.

Blausäure ist hochgiftig. Ihre tödliche Wirkung wurde in der Geschichte verschiedentlich gegen Menschen eingesetzt, vor allem bei den Massenmorden zur Zeit des Nationalsozialismus im KZ Auschwitz, und fand auch Eingang in die Literatur (Kriminalromane). Industriell wird Blausäure als Vorprodukt und Prozessstoff sowie zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt.

Nach verbreiteter Auffassung geht von Blausäure ein charakteristischer Geruch nach Bittermandeln aus. Der tatsächliche Geruch der Substanz wird jedoch in der Literatur nicht einhellig so beschrieben und von manchen Menschen abweichend wahrgenommen, z. B. „dumpf“ oder „scharf“. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung nimmt den Geruch von Blausäure überhaupt nicht wahr (siehe auch Handhabung).

Durch Destillation von Pfirsichblüten oder Pfirsichkernen vom, dem Gott des Schweigens geweihten, Pfirsichbaum soll es gemäß Ferdinand Höfer[10] bereits im alten Ägypten möglich gewesen sein, eine Blausäurelösung zu erhalten. Diese Lösung soll von Priestern zur Tötung von Verrätern ihres geheimen Wissens angewendet worden sein.[11] Der Name Blausäure geht auf das Pigment Berliner Blau zurück, aus dem die Substanz zuerst hergestellt wurde. 1782 erschien eine Veröffentlichung von Carl Wilhelm Scheele, die die Herstellung von Blausäure sowohl aus gelbem Blutlaugensalz und Schwefelsäure als auch aus Berliner Blau und Schwefelsäure beschreibt. Die Versuche dazu hatte Scheele bereits 1768 begonnen.[12] Scheele kochte das Berliner Blau zunächst mit Quecksilber(II)-oxid und erhielt Quecksilber(II)-cyanid. Dieses setzte er mit Eisenspänen zu Eisencyanid und elementarem Quecksilber um. Aus dem Eisencyanid konnte er mit Schwefelsäure den Cyanwasserstoff freisetzen, den er wegen des Ausgangsprodukts Blausäure nannte.[13][14] Die Herstellung größerer Mengen gelang 1811 Joseph Louis Gay-Lussac, der auch die Summenformel bestimmte.[15] Die Silbe Cyan wurde ebenfalls von Gay-Lussac eingeführt.

Natürliches Vorkommen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Aprikosenkerne

Die Kerne einiger Steinobstfrüchte (Mandel, insbesondere Bittermandel, Aprikose, Pfirsich, Kirsche) und anderer Rosengewächse enthalten geringe Mengen an Blausäure; diese dient teilweise als Fraßschutz der Samen und auch als chemischer Keimungshemmer, indem die Atmung der Samen gehemmt wird. Erst nachdem die Fruchtwand (Endokarp) verrottet ist, kann die Blausäure entweichen und somit der Keimungsprozess einsetzen. Die in den Tropen vielfach als Nahrungsmittel genutzte Knolle des Maniok enthält ebenfalls als cyanogenes Glykosid gebundene Blausäure, die durch die Verarbeitung vor dem Verzehr der Pflanze entfernt wird. Weitere wichtige Nahrungsmittel mit toxikologisch relevanten Blausäuregehalten sind Yamswurzel, Süßkartoffel (gewisse Sorten), Zuckerhirse, Bambus, Leinsamen und Limabohne. Unreife Bambussprossen, die in östlichen Ländern als Delikatesse gelten, enthalten hohe Blausäuregehalte, Vergiftungsfälle sind bekannt. Durch Zubereitung (intensives Kochen) wird die Blausäure von den Glykosiden abgespalten und in die Luft abgegeben.

Cyanogene Giftpflanzen sind unter den höheren Pflanzen weit verbreitet und können bei Verletzung des Pflanzengewebes durch Pflanzenfresser HCN aus cyanogenen Glykosiden mittels des Enzyms Hydroxynitrillyase freisetzen. Einige Beispiele für cyanogene Pflanzen sind der tropische Goldtüpfelfarn (Phlebodium aureum), ein Mitglied der Tüpfelfarngewächse, oder der brasilianische Gummibaum (Hevea brasiliensis). Weiß-Klee enthält das Blausäureglyklosid Linamarin, das bei oraler Aufnahme von Pflanzenteilen für kleine Tiere (z. B. Schnecken) besonders giftig ist, da sich hieraus Blausäure abspalten kann. Einer der bekanntesten Stoffe, die Blausäure abspalten und in Kernen einiger Steinobstfrüchte vorkommen, ist Amygdalin.

Blausäure als Neuromodulator und endogene Bildung von Blausäure im menschlichen Organismus

Blausäure wird auch endogen im menschlichen Organismus gebildet und hat offenbar die Rolle eines Neuromodulators.[16] Weiterhin wird Blausäure z. B. auch durch Gabe von Opioiden über die Aktivierung von µ-Opioidrezeptoren generiert.[17] Die endogene Bildung von Blausäure ist auch in der Forensik von Bedeutung.[18] So wird beim Aufbewahren von Leichen bei 4 °C nach etwa 2 Wochen durch Fäulnisprozesse und Autolyse Blausäure gebildet, wobei die Konzentration nach etwa 6 Wochen ihr Maximum erreicht und danach langsam geringfügig abfällt.

Lebensmittelrechtliche Regelung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der EU werden die Höchstmengen an Blausäure in Lebensmitteln durch die Verordnung (EG) Nr. 1881/2006 geregelt. So darf der Gehalt an Blausäure in Leinsamen 250 mg/kg und, wenn sie für den Endverbraucher bestimmt sind, 150 mg/kg nicht überschreiten. In für den Endverbraucher bestimmten Mandeln beträgt der Höchstwert 35 mg/kg, in Aprikosenkernen 20 mg/kg. In frischem Maniok darf maximal 50 mg/kg, in Maniok- oder Tapiokamehl maximal 10 mg/kg Blausäure enthalten sein.

Industrielle Erzeugung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für die Herstellung von Cyanwasserstoff sind folgende Verfahren von Bedeutung:

Werden im Labor geringe Mengen Cyanwasserstoff benötigt und steht keine entsprechende Gasdruckflasche zur Verfügung, so kann er leicht aus seinen Salzen durch Zugabe einer stärkeren Säure gewonnen werden:

oder

Auf Grund dieser leichten Freisetzung von Cyanwasserstoff ist beim Arbeiten mit seinen Salzen im Labor immer darauf zu achten, dass der pH-Wert der Lösung nicht sauer wird, da ansonsten eine (unbeabsichtigte) Freisetzung erfolgt.

Abfall- und Nebenprodukt

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Blausäure wird bei fehlerhafter Handhabung von Prozessschritten in der Galvanik frei.

Beim Verbrennen stickstoffhaltiger Polymere (Kunststoffe) kann in erheblichem Umfang Blausäure entstehen.

Beim Rauchen von Tabak und bei der Verbrennung von Esbit werden geringe Mengen Blausäure freigesetzt.

Blausäure ist in hochreiner Form eine farblose, leichtbewegliche, mit Wasser und Alkohol in jedem Verhältnis mischbare Flüssigkeit. Der Siedepunkt liegt bei 26 °C.[1] Die Substanz verdampft bei Raumtemperatur so schnell, dass ein Teil davon wegen der Verdunstungskälte erstarren kann.[23]

Blausäure hat in verdünnter Form einen betäubend-dumpfen, an bittere Mandeln erinnernden Geruch, der sich aber signifikant von z. B. Bittermandelaroma unterscheidet. In konzentrierter Form riecht Blausäure unangenehm und nicht definierbar, intensiv stechend-scharf und kratzend, reizt die Schleimhäute und die Kehle und hinterlässt einen bitteren Geschmack und kurzzeitiges Brennen in der Nase. Allerdings lähmt die Substanz schon in sehr kleinen Mengen nach kurzer Zeit die Geruchs- und Geschmacksnerven.[24]

Die Verbindung kommt in zwei tautomeren Formen (Blausäure/Cyanwasserstoff HCN und Isocyanwasserstoff CNH) vor, wobei das Gleichgewicht jedoch völlig auf der Seite der Blausäure liegt.[25]

Blausäure ist in Wasser eine sehr schwache Säure, die schon von Kohlensäure aus ihren Salzen, den Cyaniden, getrieben wird und nur zu einem kleinen Anteil dissoziiert:

Sie zersetzt sich in wässeriger Lösung sehr langsam unter Bildung von Ammoniumformiat:[25]

Ihr pKS-Wert wird, je nach Quelle, mit 9,04 bis 9,31 angegeben. Die Dissoziationskonstante beträgt 4,0·10−10.[26] Beim Mischen mit Wasser tritt unter Temperaturabfall eine Volumenverminderung ein.[23]

Blausäure ist hochentzündlich, Gemische mit Luft sind im Bereich von 5,4–46,6 Vol.-% explosiv.[1] Da Blausäure zudem mit Wasser in jedem Verhältnis mischbar ist, besteht beim Löschen von Bränden die Gefahr einer Kontamination des Grundwassers. Daher wird gegebenenfalls ein kontrolliertes Abbrennen in Betracht gezogen.

In flüssigem Zustand liegt die Verbindung als Dimer (HCN)2 mit dem Namen Iminoessigsäurenitril vor. Diese kann sich unter weiterer Addition von Blausäure über Aminomalonsäuredinitril (HCN)3 leicht in Diaminomaleinsäuredinitril (HCN)4 umwandeln. Aus diesem wiederum kann sich bei Anwesenheit von Cyanid-Ionen CN- und Lichteinfluss mit kleiner Ausbeute die Nukleinbase Adenin (HCN)5 bilden.[25]

Blausäure ist in reinem Zustand bei Raumtemperatur recht stabil, kann aber in einer autokatalysierten Reaktion spontan polymerisieren oder in die Elemente zerfallen. Diese Reaktion ist stark exotherm und verläuft explosionsartig. Sie wird durch geringe Mengen an Basen initiiert und durch weitere Base, die sich dabei bildet, beschleunigt. Wasserhaltige Blausäure ist dabei instabiler als vollkommen wasserfreie. Es entsteht unter Volumenerhöhung ein braunes Polymer, das in älterer Literatur als Azulminsäure bezeichnet wird. Aus diesem Grund wird Blausäure durch Zugabe geringer Mengen an Säuren, wie Phosphor- oder Schwefelsäure, stabilisiert. Die Säure neutralisiert die Basen und vermeidet eine Durchgehreaktion.[23][27]

Von den Salzen der Blausäure sind die der Alkali- und Erdalkalimetalle sowie das Quecksilber(II)-cyanid in Wasser leicht löslich, alle anderen sind schwer löslich.[28]

Blausäure ist extrem giftig, schon 1–2 mg Blausäure pro kg Körpermasse wirken tödlich. Die Aufnahme kann, neben der direkten Einnahme, auch über die Atemwege und die Haut erfolgen. Letzteres wird durch Schweiß begünstigt, da Blausäure eine hohe Wasserlöslichkeit aufweist. In Deutschland wurde die Substanz vom Umweltbundesamt in die Wassergefährdungsklasse 3 (stark wassergefährdend) eingestuft.[1]

Die Aufnahme von Cyanwasserstoff führt selbst bei kleinen Mengen leicht zur Cyanidvergiftung. Die Verbindung weist einen charakteristischen Geruch auf, den allerdings viele Personen genetisch bedingt nicht wahrnehmen können. Sehr kleine Mengen können im Atem oder Urin wieder ausgeschieden werden oder auf unterschiedlichen Wegen entgiftet werden: einerseits durch Umsetzung zu Thiocyanat über die Rhodanase in der Leber, andererseits durch Reaktion mit endogenem Hydroxycobalamin zu Cyanocobalamin. Durch die begrenzte Abbaugeschwindigkeit hängt die Toxizität auch davon ab, ob eine Menge auf einmal oder über einen kurzen Zeitraum eingenommen wird, was leichter zu toxikologisch relevanten Konzentrationen führt als die Einnahme über einen längeren Zeitraum. Cyanid als Anion des Cyanwasserstoffs bindet in den Mitochondrien an Eisen-Cofactoren der Cytochrom-c-Oxidase, was den Sauerstoff-Umsatz und die ATP-Produktion in den Zellen verhindert, unabhängig von der Verfügbarkeit von Sauerstoff. Dies führt zunächst zu Symptomen wie erhöhtem Blutdruck, Hyperventilation, Herzrasen und Kopfweh und schließlich zu Stupor, Krämpfen und Atemstillstand. Der Mechanismus der Cyanidvergiftung ähnelt dem der Kohlenmonoxid-Vergiftung; im Gegensatz zu Kohlenmonoxid blockiert Cyanid aber nicht den Sauerstofftransport durch Hämoglobin im Blut.[29] Cyanwasserstoff beziehungsweise Cyanid wirkt schnell und kann innerhalb von Minuten zum Tod führen. Daher hängt der Erfolg der Behandlung von der zeitigen Anwendung und korrekten Diagnosestellung ab.[30] Injektions-Antidote, die unterschiedliche Wirkungsansätze bedienen, sind bekannt. In Deutschland und Österreich wird 4-Dimethylaminophenol verwendet. Ein vom US-Militär entwickeltes und in vielen Ländern genutztes Präparat enthält ein Gemisch aus Amylnitrit, Natriumnitrit und Natriumthiosulfat. Weitere Mittel sind das schweren Vergiftungsfällen vorbehaltene Dicobalt-EDTA und hochdosiertes Hydroxycobalamin.[31]

Bändermodell von Cytochrom-c-Oxidase. Cyanwasserstoff blockiert die Bindungsstelle für Sauerstoff im aktiven Zentrum.

Die primäre Giftwirkung besteht in der Blockade der Sauerstoff-Bindungsstelle in der Atmungskette der Körperzellen. Dabei bindet sich das Cyanid irreversibel an das zentrale Eisen(III)-Ion des Häm-a3-Kofaktors in der Cytochrom-c-Oxidase in den Mitochondrien. Durch die Inaktivierung des Enzyms kommt die Zellatmung zum Erliegen, die Zelle kann den Sauerstoff nicht mehr zur Energiegewinnung verwerten, und es kommt damit zur sogenannten „inneren Erstickung“. Der Körper reagiert auf den vermeintlichen Sauerstoffmangel mit einer Erhöhung der Atemfrequenz. Da der Sauerstoff im Blut nicht verwertet werden kann und sich in Folge auch im venösen Blut ansammelt, zeigt sich eine hellrote Färbung der Haut. Schließlich sterben die Zellen an Mangel an ATP, das normalerweise in der Zellatmung gebildet wird. Die Bindung des Cyanids an Eisen(II)-Ionen ist vergleichsweise schwach. Die Inaktivierung des Hämoglobins spielt daher bei Vergiftungen eine untergeordnete Rolle.

Genetisch bedingte Wahrnehmungseinschränkung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mehr als ein Viertel der Bevölkerung kann den Geruch von Blausäure nicht wahrnehmen, häufig wird die Wahrnehmung durch Lähmung der Geruchsnervenzellen verhindert.[32][33][34] Es müssen daher besondere Sicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit Blausäure getroffen werden. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit berücksichtigt dies bei Eignungsuntersuchungen von Befähigungsscheinbewerbern für Begasungen bzw. Schädlingsbekämpfung.[35]

Wasserfreie Blausäure muss gekühlt gelagert werden, und Gefäße mit Blausäure dürfen nur in stark gekühltem Zustand vorsichtig geöffnet werden. Anderenfalls stehen diese wegen des niedrigen Siedepunkts unter starkem Druck, wobei beim unvorsichtigen Öffnen schlagartig erhebliche Mengen davon gasförmig entweichen und schlimmstenfalls flüssige Substanz verspritzen kann. Reinste, wasserfreie Blausäure ist einige Monate beständig. Allerdings darf sie nicht bedenkenlos gelagert werden, da Blausäure nach einer gewissen Zeit explosionsartig polymerisieren kann (Bildung der sogenannten Azulminsäure, ein brauner flockenartiger Feststoff). Die Polymerisierung kann durch Spuren von Alkalien (auch die Glasoberfläche ist hier von Bedeutung) oder Schwermetalloxiden – insbesondere in Kombination mit geringen Mengen Wasser – beschleunigt und durch Zusatz geringer Mengen Mineralsäuren oder Oxalsäure verzögert werden. Eine beginnende Gelb- oder später Braunfärbung ist ein Hinweis darauf, dass mit dieser spontanen Zersetzung bald zu rechnen ist.[36]

Wässrige Lösungen der Blausäure sind nur eine sehr begrenzte Zeit haltbar, da langsame Hydrolyse unter Bildung von Ameisensäure und Ammoniak eintritt:[28]

Um den Transport dieses Gefahrstoffes zu vermeiden, wird Blausäure in der Regel sofort am Herstellungsort weiterverarbeitet.

Gemäß EINECS, dem europäischen Verzeichnis der vor Inkrafttreten der REACH-Verordnung vorhandenen chemischen Stoffe, gehört Cyanwasserstoff zur Liste der Altstoffe und hat die Nummer 200-821-6. Das englische Synonym prussic acid ist ein Hinweis auf die historische chemische Darstellung aus Berliner Blau.

Hinrichtungen/Morde

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Blausäure wird zur Bekämpfung von Ungeziefer eingesetzt. Hierzu wird ein Trägermaterial, z. B. Kieselgur, mit Blausäure getränkt, und es werden Riechstoffe zur Warnung hinzugefügt.

Als Giftgas wurde Blausäure erstmals durch die französische Armee am 1. Juli 1916 eingesetzt.[37] Aufgrund seiner hohen Flüchtigkeit blieb der Einsatz aber wirkungslos.[38] Nach anderen Angaben blieb die erhoffte Wirkung aus, weil der Plan den Deutschen durch Verrat bereits bekannt geworden war und der Gasmaskeneinsatz rechtzeitig verbessert werden konnte.[37] 1918 wurde Blausäure auch von den USA und Italien eingesetzt.

Industrielle Verwendung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Blausäure wird in vielen Prozessen in der Industrie und im Bergbau eingesetzt, beispielsweise für die Herstellung von Chlorcyan, Cyanurchlorid, Aminosäuren (besonders Methionin), Natriumcyanid und vieler weiterer Derivate sowie zum Auslaugen von Gold:

Die Gold-Lösung wird dann mit Zink reduziert. Der Cyanido-Komplex kann auch durch zugesetzte Kokosnussschalen-Aktivkohle absorptiv gebunden werden. Aus der so mit dem Cyanidokomplex beladenen Aktivkohle kann das Gold nach dem Verbrennen des organischen Anteils als „Asche“ gewonnen werden. In moderneren Anlagen wird der Cyanido-Komplex aus der abgetrennten beladenen Aktivkohle durch Eluieren mit heißer Natriumcyanid-Lösung in konzentrierter Form gewonnen (wegen der besseren Handhabung wird hierbei nicht flüssige Blausäure, sondern eine Natriumcyanid-Lösung eingesetzt). Dieses Verfahren führt, wie auch das alternativ nur noch sehr selten eingesetzte Quecksilber-Amalgamverfahren, zu den teilweise katastrophalen Gewässervergiftungen in den Goldfördergebieten der Dritten Welt.

Blausäure wird in großen Mengen zur Herstellung von Adiponitril und Acetoncyanhydrin, beides Zwischenprodukte der Kunststoffproduktion, verwendet. Bei der Adiponitrilherstellung wird Blausäure mittels eines Nickel-Katalysators an 1,3-Butadien addiert (Hydrocyanierung). Zur Acetoncyanhydrinherstellung wird Blausäure katalytisch an Aceton addiert. Aus Blausäure werden im industriellen Maßstab in mehrstufigen Verfahren auch die α-Aminosäure DL-Methionin (Verwendung in der Futtermittel-Supplementierung) und der Heterocyclus Cyanurchlorid hergestellt. Aus Cyanurchlorid werden Pflanzenschutzmittel und andere Derivate synthetisiert.

Wiktionary: Blausäure – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
Commons: Cyanwasserstoff – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. a b c d e f g h i j k l m n Eintrag zu Cyanwasserstoff in der GESTIS-Stoffdatenbank des IFA, abgerufen am 20. Januar 2022. (JavaScript erforderlich)
  2. chem.wisc.edu: pKa Data, Compiled by R. Williams (PDF; 645 kB).
  3. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Physical Constants of Organic Compounds, S. 3-286.
  4. Eintrag zu Hydrogen cyanide im Classification and Labelling Inventory der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), abgerufen am 1. Februar 2016. Hersteller bzw. Inverkehrbringer können die harmonisierte Einstufung und Kennzeichnung erweitern.
  5. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva): Grenzwerte – Aktuelle MAK- und BAT-Werte (Suche nach 74-90-8 bzw. Cyanwasserstoff), abgerufen am 2. November 2015.
  6. Arena, J.M.: Poisoning; Toxicology, Symptoms, Treatments. 2. Auflage. C.C. Thomas, Springfield, IL 1970.
  7. National Technical Information Service, PB158-508
  8. a b c d Department of Health: Hydrogen Cyanide. Version 1.2 vom 4. Februar 2004.
  9. David R. Lide (Hrsg.): CRC Handbook of Chemistry and Physics. 90. Auflage. (Internet-Version: 2010), CRC Press / Taylor and Francis, Boca Raton FL, Standard Thermodynamic Properties of Chemical Substances, S. 5-19.
  10. Ferdinand Hoefer: Histoire de la Chimie. Paris 1866, S. 233.
  11. Helmut Gebelein: Das Element Feuer in Haushalt und Familie. In: Trude Ehlert (Hrsg.): Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit. Sigmaringen 1991, ISBN 978-3-7995-4156-5, S. 137–151, hier: S. 142–143.
  12. Anders Lennartson: Isolation of Hydrocyanic Acid from Prussian Blue. In: The Chemical Works of Carl Wilhelm Scheele. Springer, 2017, S. 75–78.
  13. Anders Lennartson: Carl Wilhelm Scheele and Torbern Bergman: the science, lives and friendship of two pioneers in chemistry (= Perspectives on the history of chemistry). Springer, Cham 2020, ISBN 978-3-03049194-9.
  14. Alexander M. Nauth, Till Opatz: Non-toxic cyanide sources and cyanating agents. In: Organic & Biomolecular Chemistry. Band 17, Nr. 1, 2019, S. 11–23, doi:10.1039/C8OB02140F.
  15. David T. Mowry: The Preparation of Nitriles. In: Chemical Reviews. Band 42, Nr. 2, 1. April 1948, S. 189–283, doi:10.1021/cr60132a001.
  16. Rita Cipollone, Paolo Visca: Is there evidence that cyanide can act as a neuromodulator? In: IUBMB Life. Band 59, Nr. 3, 2007, S. 187–189, doi:10.1080/15216540600981768.
  17. J. L. Borowitz, P. G. Gunasekar, G. E. Isom: Hydrogen cyanide generation by mu-opiate receptor activation: possible neuromodulatory role of endogenous cyanide. In: Brain Research. Band 768, Nr. 1-2, 1997, S. 294–300, doi:10.1016/S0006-8993(97)00659-8, PMID 9369328.
  18. T. Grabowska, H. Sybirska: The role of endogenous Hydrogen cyanide in forensic medical appraisal and interpretation of fire victims. In: Problems of Forensic Sciences. Band 54, 2003, S. 82–92 (forensicscience.pl [PDF]).
  19. F. Endter: Die technische Synthese von Cyanwasserstoff aus Methan und Ammoniak ohne Zusatz von Sauerstoff, Chemieingenieurtechnik, Nr. 30, 1958, S. 305–310, doi:10.1002/cite.330300506.
  20. Wilhelm Keim, Arno Behr, Günter Schmitt: Grundlagen der Industriellen Chemie. 1. Auflage, Otto Salle Verlag GmbH &Co., Frankfurt am Main, Verlag Sauerländer AG, Aarau 1986, ISBN 3-7935-5490-2. (Salle), ISBN 3-7941-2553-3. (Sauerländer), S. 313–314.
  21. Patentanmeldung WO2004050587A2: Blausäure aus Formamid. Angemeldet am 3. Dezember 2003, veröffentlicht am 17. Juni 2004, Anmelder: BASF AG, Erfinder: Peter Bassler et al.
  22. Patent EP1791787B1: Verfahren zur Herstellung von Blausäure. Angemeldet am 2. September 2005, veröffentlicht am 3. März 2010, Anmelder: BASF SE, Erfinder: Andreas Deckers et al.
  23. a b c Wilhelm Bertelsmann: Die Technologie der Cyanverbindungen. De Gruyter, 1906, ISBN 978-3-486-73497-3, S. 13 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  24. Karlheinz Lohs: Synthetische Gifte. Vierte, überarbeitete und ergänzte Auflage. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 1974.
  25. a b c Arnold F. Holleman, Nils Wiberg: Grundlagen und Hauptgruppenelemente. De Gruyter, ISBN 978-3-11-049585-0, S. 1054 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  26. Svirbely, W.J., Roth, J.F.: The Kinetics of Cyanohydrin Formation in Aqueous Solution. In: J. Am. Chem. Soc. Band 75, 1953, 3106, doi:10.1021/ja01109a020.
  27. Wolfgang Bauer, Karl-Heinz Büchel, Heinrike Döpp, Theophil Eicher, Jürgen Falbe: Houben-Weyl Methods of Organic Chemistry Vol. E 5, 4th Edition Supplement. Thieme, 2014, ISBN 978-3-13-181154-7, S. 1544 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  28. a b c Gerhart Jander, Hildegard Wendet: Lehrbuch der analytischen und präparativen anorganischen Chemie. 2. verbesserte Auflage. S. Hirzel Verlag, Leipzig 1954, S. 294 ff.
  29. Lewis Nelson: Acute Cyanide Toxicity: Mechanisms and Manifestations. In: Journal of Emergency Nursing. Band 32, Nr. 4, August 2006, S. S8–S11, doi:10.1016/j.jen.2006.05.012.
  30. John O. Egekeze, Frederick W. Oehme: Cyanides and their toxicity: A literature review. In: Veterinary Quarterly. Band 2, Nr. 2, April 1980, S. 104–114, doi:10.1080/01652176.1980.9693766.
  31. Stephen W. Borron, Frederic J. Baud: Antidotes for Acute Cyanide Poisoning. In: Current Pharmaceutical Biotechnology. Band 13, Nr. 10, S. 1940–1948, doi:10.2174/138920112802273182.
  32. Tödlicher Giftanschlag auf BASF Mitarbeiter, Chemie im Alltag, 2006.
  33. Schadstoff-Glossar: Cyanwasserstoff (Memento vom 3. September 2014 im Internet Archive) beim Umweltbundesamt Baden-Württemberg.
  34. Cyanide, inability to smell. In: Online Mendelian Inheritance in Man. (englisch)
  35. Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit: Eignungsuntersuchungen von Befähigungsscheinbewerbern für Begasungen bzw. Schädlingsbekämpfung (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive).
  36. Th. Völker: Polymere Blausäure. In: Angewandte Chemie. Band 72, 1960, S. 379–384, doi:10.1002/ange.19600721104.
  37. a b Otto Jekel: Giftwolken. Giftgase im Weltkrieg und heute. In: Neues Wiener Tagblatt (Wochen-Ausgabe), 15. Juni 1935, S. 11 (online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/nwt
  38. Markus Schnedlitz: Chemische Kampfstoffe: Geschichte, Eigenschaften, Wirkung. GRIN Verlag, 2008, ISBN 3-640-23360-3, S. 13 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).