Augsteins Verteidiger sind auf linkem Auge blind
Es ist die Zwanghaftigkeit im Umgang mit Israel, der Wille zur Verzerrung von Tatsachen, die bei Augstein einen mindestens antisemitischen Unterton transportieren – und mit dem er nicht alleine steht.
Nun hat Deutschland also wieder einmal einen Antisemitismusstreit, diesmal über „Spiegel“-Kolumnist Jakob Augstein. Das Traurige daran ist: Auslöser dafür ist nicht etwa einer der fragwürdigen Texte, die Augstein über Grass, Israel und die jüdische Lobby in den USA geschrieben hat. Auslöser ist ein Jahresranking des Simon-Wiesenthal-Centers in Los Angeles, das Augstein am Ende seiner Top Ten des Antisemitismus aufgeführt hat.
Nicht Augsteins Texte sind also der Skandal, mit denen er die Vorurteile eines gewissen linken Milieus bedient. Sondern die Wiesenthal-Leute sind es, weil sie sich als Kronzeugen Henryk M. Broder besorgt haben, der seit Jahren eine innige Fehde mit Augstein führt. So sieht es jedenfalls der Feuilleton-Chef der „FAZ“, Nils Minkmar, oder der wild um sich schlagende Christian Bommarius in der „Frankfurter Rundschau“.
Zwanghaftigkeit im Umgang mit Israel
Während Bommarius’ Invektiven kaum einer Erwiderung wert sind, so muss man doch zugestehen, dass Minkmar durchaus recht hat mit seiner Wiesenthal-Kritik. Es gibt viele andere, die es eher verdienten als Augstein, auf der Liste der zehn schlimmsten Antisemiten weltweit zu stehen. Und gerade Broder, den begnadeten Polemiker und intellektuellen Gegner Augsteins, als Kronzeugen zu präsentieren, ist keine gute Idee.
Allein: Auch Minkmar macht es sich sehr einfach. Weil er sich nämlich nicht einmal die Mühe macht, den Vorwurf anhand der Texte von Augstein zu überprüfen. Denn wer das mit einiger Ernsthaftigkeit tut, der kommt kaum umhin zu konstatieren, dass das Wiesenthal-Center zwar übertrieben, dass aber mindestens Broder recht hat: In ihnen steckt eine Zwanghaftigkeit im Umgang mit Israel, der Wille zur ideologischen Verzerrung von Tatsachen, die einem den Atem stocken lässt. Und die mindestens einen antisemitischen Unterton transportieren.
Man wird ja wohl noch Israel kritisieren dürfen
Das Standard-Abwehr-Argument lautet in solchen Fällen stets: Man wird ja wohl noch Israel kritisieren dürfen. Minkmar verwendet es in leicht abgewandelter Form: „Es kann doch nicht nur der ein Freund Israels und Nicht-Antisemit genannt werden, der zuverlässig den Kurs einer bestimmten politischen Partei vertritt. Israel gehört nicht den Rechten.”
Das ist ein Argument, das immer ohne Beispiele auskommt, weil man selten jemanden findet, der Kritik an Israel generell als antisemitisch brandmarken würde. Aber darum geht es auch nicht. Es geht vielmehr darum, mit einem semantischen Trick das Feld des Judenhasses zu verlassen und das Feld der “legitimen Israelkritik” zu betreten. Weil man glaubt, sich dort auf sicherem Terrain zu befinden.
Und das ist das eigentlich Erstaunliche an den Texten der Minkmars und vieler anderer, die in solchen Fällen gerne den Augsteins, Butlers und Chomskys beispringen: die Weigerung anzuerkennen, dass es auch im linken Milieu eine Form von Israelkritik gibt, die in hetzerischer Absicht geäußert wird und die Schwelle zum Antisemitismus überschreitet. Antisemiten sind immer die anderen, vorzugsweise die Rechtsradikalen. Und das, obwohl gerade die Geschichte des deutschen Linksradikalismus voll ist von antisemitischer Propaganda und antisemitischen Straftaten.
Augstein verleumdet Israel
Jemand wie Joschka Fischer ist da beim Thema linker Antisemitismus sehr viel weiter. Er hatte das spätestens verstanden, als deutsche Linksterroristen 1976 eine Air-France-Maschine ins ugandische Entebbe entführten und ihren palästinensischen Waffenbrüdern beim Selektieren der jüdischen Passagiere halfen. Fischer hat seitdem ein besonderes Gespür für Antisemitismus in Tat oder Wort in jenem linken Milieu, aus dem er selbst stammt.
“Es ist eine bestimmte Art, über Amerika zu reden, eine bestimmte Art, über Israel zu reden”, sagte er auf der vom Auswärtigen Amt veranstalteten internationalen Antisemitismuskonferenz 2004 in Berlin. Das Problem besteht darin, diese “bestimmte Art, über Israel zu reden” auch in verlässlichen Kategorien als antisemitisch zu identifizieren.
Die Schwierigkeit liegt auf der Hand: Wenn jemand Tatsachen über eine Person so verzerrte, wie Augstein es mit Israel tut, dann wäre das Verleumdung. Redete er so über Volksgruppen oder Minderheiten in Deutschland, dann würde man von Volksverhetzung sprechen. Geht es hingegen um Staaten, dann ist man eben bloß “Israelkritiker”, “Amerikakritiker” oder “Frankreichkritiker” und muss sich nicht mal einen Anwalt nehmen. Weil Staaten, die verleumdet werden, im Normalfall nicht dagegen klagen.
Kein Nazi, sondern Idealist
Aber so einfach ist es eben nicht. Besonders dann nicht, wenn der Staat, der da verleumdet wird, von einer Volksgruppe gegründet wurde, die vor einigen Jahrzehnten in Deutschland und durch Deutsche übelste Hetze und fabrikmäßig organisierte Vernichtung erlitten hat. Und das ist dann auch das Bestürzende an jener Israelkritik, deren vorgestanzte Formen jemand wie Augstein einfach wiederkäut, ohne irgendwelches tieferes Wissen über den Nahost-Konflikt zu besitzen: Es geht diesem Milieu letztlich darum, Israel moralisch zu diskreditieren, seine Legitimität zu unterhöhlen und zu einem Paria unter den Staaten zu machen, so wie die Juden vor nicht allzu langer Zeit zu Parias unter den Völkern Europas gemacht wurden.
Aber weil diese Aktivisten sich ja allesamt als linke Idealisten sehen, können sie per Definition gar keine Antisemiten sein, selbst wenn sich ihre Ansichten zur “jüdischen Lobby” und den “Verbrechen” des jüdischen Staates keinen Jota von denen der Rechtsradikalen unterscheiden. So hat übrigens schon der deutsche Terrorist Wilfried Böse reagiert, als er in Entebbe die Passagiere mit israelischem Pass und mit jüdisch klingendem Namen von den anderen trennte. Als ein Holocaustüberlebender ihm seine eintätowierte Nummer zeigte und ihm sagte, die Aktion erinnere ihn an die Selektion der Nazis, antwortete Böse: Er sei kein Nazi, sondern Idealist.
Blind gegenüber Antisemitismus
Hierin besteht die Denkträgheit der Minkmars und Bommarius’: Sie sind in Sachen Antisemitismus auf dem linken Auge gänzlich blind, selbst wenn sie Augsteins Meinung vielleicht gar nicht teilen. Wie sonst ist es zu erklären, dass Minkmar in seinem Verteidigungsstück für Augstein schreibt: “Israel ist eine moralische Republik und offene Gesellschaft, in der es erlaubt ist, wie es unlängst der Tel Aviver Autor und Rechtsanwalt Yishai Sarid in dieser Zeitung getan hat, selbst immer auch an das Leid der gegnerischen Seite zu erinnern.”
Offenbar hat Minkmar Augstein gar nicht gelesen oder das Gelesene verdrängt. Der hat über die Israelis nämlich genau das Gegenteil geschrieben: “Diese Leute sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie ihre islamistischen Gegner. Sie folgen dem Gesetz der Rache”. Wobei Augstein an dieser Stelle kunstvoll offen gelassen hat, ob er die Mehrheit der Israelis meint oder die Ultraorthodoxen, auf jeden Fall aber die, die politische Entscheidungen treffen. Sie stellt er auf die gleiche Stufe wie die potenziellen Massenmörder der diktatorisch regierenden Hamas, die nur deshalb nicht mehr Juden töten, weil ihnen dazu die Mittel fehlen.
Israel angeblich gefährlicher als Iran
Unfreiwillig komisch ist auch die Passage, in der Minkmar sich dagegen wehrt, dass Augstein auf derselben Liste steht wie ein eliminatorischer Antisemit vom Schlage Ahmadinedschads. Minkmar ist offenbar entgangen, dass Augstein auch das anders sieht, jedenfalls was Ahmadinedschad angeht. Für ihn geht vom Iran keine echte Gefahr aus, es sei nicht einmal klar, ob die Mullahs nach der Bombe strebten.
Deshalb hat Augstein auch das unselige Israelgedicht von Günter Grass verteidigt unter dem Titel “Es musste gesagt werden”. Denn auch er hält Israel für die größere Gefahr für den Weltfrieden als den Iran. In seiner Kolumne tut der „Spiegel“-Erbe das, was er üblicherweise tut: Er bauscht die von Israel ausgehende Gefahr raunend auf, die Regierung Netanjahu führe die „Welt am Gängelband” (die jüdische Weltverschwörung lässt grüßen) und natürlich darf auch die „jüdische Lobby” nicht fehlen, die die amerikanische Politik angeblich zur Geisel genommen hat und Gaza ist – was sonst – ein „Lager”, was die nicht nur bei radikalen Linken beliebte These suggeriert, die Israelis seien auch nicht besser als die Nazis.
Augsteins Juden- und Israelknacks
Zudem spielt Augstein die vom Iran ausgehende Gefahr mit schon fast grotesken Verrenkungen herunter, um demgegenüber Israel möglichst schlecht aussehen zu lassen. Das liest sich dann so: „Ahmadinedschad hält die Welt bewusst im Unklaren über seine nuklearen Absichten. Er profitiert von dieser strategischen Zweideutigkeit, ebenso wie die Israelis von ihren Kriegsdrohungen profitieren. Beide Länder helfen sich gegenseitig, ihren Einfluss weit über ihr eigentliches Maß hinaus zu vergrößern.” Will heißen: Die Juden spielen sich wieder mal zu sehr auf. Wenn es sich anbietet, dann verbreitet Augstein auch gerne mal krude antiisraelische und antiamerikanische Verschwörungstheorien, etwa als er dunkle republikanische und israelische Interessen hinter den muslimischen Ausschreitungen gegen den Anti-Mohammed-Film zu entdecken glaubte. Das klassische antiwestlich-antisemitische Gebräu eben.
Man wird bei der Frage, ob Augsteins Kolumnen antisemitisch grundiert sind, nicht darum herum kommen, intensive Textarbeit zu betreiben, was Minkmar ganz offensichtlich unterlassen hat. Ich für meinen Teil habe das getan und komme zu dem Ergebnis: Die Summe an Verzerrungen und an Einseitigkeiten plus eindeutigere Passagen wie einige oben angeführte lassen den Schluss zu, dass Augstein einen Juden- und Israelknacks hat und ein links-antisemitisch gefärbtes Weltbild.
Ich bin gerne bereit, mit dem Kollegen von der FAZ mal einen Kaffee trinken zu gehen, intensivere Textexegese zu betreiben und mit ein wenig Nahostgeschichte auszuhelfen. Vielleicht kommt Nils Minkmar dann immer noch zu einem anderen Ergebnis und spricht Augstein weiterhin vom Vorwurf des Antisemitismus frei. Eine Behauptung aus seinem FAZ-Artikel lässt sich aber in keinem Fall aufrechterhalten. Nämlich die, dass Augstein “nicht mit Vorurteilen” operiere.
Clemens Wergin ist Ressortleiter Ausland der „Welt“. Weitere Texte finden Sie auf seinem Blog flatworld