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Homosexualität im Fußball - Was Hitzlsperger bewirkt hat - Sport - SZ.de

Homosexualität im Fußball:Was Hitzlsperger bewirkt hat

Lesezeit: 4 Min.

Aufklärer gegen Intoleranz: Thomas Hitzlsperger engagiert sich für mehr Offenheit im Umgang mit Homosexualität im Fußball. (Foto: Getty Images for 11 Freunde)

In diesen Tagen jährt sich das Coming-out von Thomas Hitzlsperger: Was hat sich seither im Fußball geändert? An der Basis herrscht inzwischen mehr Offenheit, doch auf der großen Bühne fehlen noch entscheidende Impulse.

Von Ronny Blaschke

Thomas Hitzlsperger erhält noch immer viele Anfragen. Journalisten bitten um Interviews, Studenten schicken Fragebögen, Lehrer laden ihn in Schulklassen ein. Der ehemalige Fußball-Nationalspieler überlegt sich genau, in welchem Rahmen er über Homosexualität spricht. In wenigen Tagen, am 8. Januar, jährt sich sein Coming-out, und schon sagen die ersten Medien einen Jahrestag der Enttäuschung voraus.

Schließlich ist ihm kein schwuler Profi an die Öffentlichkeit gefolgt. Doch darum ging es Hitzlsperger, 32, auch gar nicht. Er wusste, dass die Ressentiments in einer Gesellschaft nicht über Nacht schwinden. Er wollte eine Debatte anstoßen, über Diskriminierung, Klischees, Männlichkeitskult. Die Frage sollte also lauten: Gibt es nach den Jahren der Spekulationen nun einen ernsten Anspruch auf Aufklärung?

Glaubwürdig beantworten können das die Aktivisten, die sich schon vor Hitzlspergers Coming-out für das Thema stark gemacht haben, zum Beispiel Dirk Brüllau. Der Sprecher der fast dreißig schwullesbischen Fanklubs erzählt, dass ihre Arbeit mitunter leichter geworden ist. Einige Mitglieder benötigen nur einen Anruf bei ihrem Lieblingsverein, um beispielsweise eine Anzeige im Stadionheft zu platzieren.

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Andere können günstig Räume mieten oder ihre Banner an prominenter Stelle aufhängen. Mit der Identifikationsfigur Hitzlsperger können die Fanklubs konkreter gegen Widerstände argumentieren, findet der Hamburger Brüllau und bezeichnet das Coming-out als Etappenziel. Aber noch immer gibt es in Ostdeutschland keinen schwullesbischen Fanklub. In Dresden wurde eine Gründungsgruppe durch Beleidigungen entmutigt.

Thomas Hitzlsperger, 32, wurde für sein behutsam vorbereitetes Coming-out im Interview mit der Zeit - inklusive ergänzender Videobotschaft - gelobt. Er ist nicht durch alle Talkshows gezogen, er wollte das Thema in den Mittelpunkt stellen. So haben auch weniger bekannte Initiativen von dem Interesse profitiert, zum Beispiel der Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg.

Dessen Mitarbeiter Christian Rudolph hat es nicht mehr ganz so schwer, Workshops mit Amateurvereinen zu organisieren. Trainer oder Schiedsrichter kommen auf den Schwulenverband zu, berichtet Rudolph. Es hat einige Coming-outs an der Basis gegeben. Mittlerweile erwägen neben Berlin auch andere Fußball-Landesverbände, eine Partnerschaft mit einem Schwulen- und Lesbenverband einzugehen. Lange war das undenkbar.

Hitzlsperger wollte keinen Leitfaden für ein Coming-out liefern. Er sagt, jeder Lebensweg ist individuell. Er allein kann die veralteten Strukturen nicht aufbrechen, aber er kann den Einfluss von Experten stärken, die im Fußball lange nicht ernst genommen wurden: Die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld bemüht sich seit mehr als zwei Jahren um Unterstützung der Funktionäre.

Die Stiftung mit Sitz in Berlin wurde nach dem deutschen Sexualforscher Hirschfeld benannt und erforscht seit 2011 die Lebenswelten von homo-, trans- und intersexuellen Menschen. Gemeinsam mit der Universität Vechta hat sie ein Bildungskonzept entwickelt, das in Fußballstrukturen für einen vorurteilsfreien Umgang und gegen diskriminierende Sprache sensibilisieren soll, auch bei Trainern, Betreuern und Schiedsrichtern.

Der FC Bayern war der erste Verein, der die Stiftung im Sommer 2013 finanziell unterstützte. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) und die Deutsche Fußball Liga (DFL) blieben zunächst verhalten wie die meisten Spitzenklubs. Sie wollten in ihrem Hoheitsgebiet nicht von Fußball-Quereinsteigern belehrt werden. Hitzlsperger ermöglichte den Durchbruch.

Der Stiftungsvorstand Jörg Litwinschuh und der Psychologie-Professor Martin Schweer konnten ihr Konzept seit dem Coming-out in Vereinen und Landesverbänden vorstellen. Sie erlebten skeptische Kommentare, aber auch immer mehr Offenheit. Im September war Hitzlsperger dann Ehrengast auf der Spendengala der Hirschfeld-Stiftung in Berlin. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und DFL-Chef Reinhard Rauball übergaben einen Scheck von 20 000 Euro. Ob sie auch ohne Hitzlsperger gekommen wären?

Die Aufklärungsmaßnahmen kosten die Vereine Geld. Der SV Werder Bremen hat gerade als erster Bundesligist eine solche Fortbildung für seine Trainer und Betreuer gebucht. Eine Teilnahme war nicht verpflichtend, und so gab es kaum Anmeldungen. Anne-Kathrin Laufmann, die bei Werder die sozialen Projekte verantwortet, will bei den Angestellten nachhaken.

Das Beispiel mag ernüchternd wirken, doch so tief in den Fußballbetrieb war die inhaltliche Auseinandersetzung bis dahin nie gedrungen. Die Hirschfeld-Stiftung will ihr Fußballkonzept nun für drei Jahre vor allem in Niedersachsen testen. Ihr langfristiges Ziel ist eine bundesweite Anlaufstelle für Homosexualität im Sport: beheimatet bei der Stiftung, bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes oder im Idealfall: beim DFB oder dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB).

Doch die Fan-Aktivisten erwarten wenig von den Spitzenvertretern der Verbände. Sie erinnern sich gern an Theo Zwanziger. Der ehemalige DFB-Präsident brachte das Thema auf die Agenda. Er hielt eine Rede vor schwulen Unternehmern, lud externe Experten ein, brachte 2012 ein Symposium auf den Weg.

Unter seinem Nachfolger Niersbach veröffentlichte der DFB 2013 eine Broschüre über Homosexualität, doch mittlerweile hält eine ihrer Autorinnen das Heft für einen Akt aufgesetzter politischer Korrektheit: Die ehemalige Bundesliga-Spielerin Tanja Walther-Ahrens vermisst eine thematische Vertiefung: durch Plakataktionen, Internetspots, Vernetzungstreffen. Andernfalls, befürchtet sie, würden die Broschüren in den Vereinsheimen ungelesen verstauben.

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Nach dem Rücktritt Zwanzigers war auch dessen durchaus kritischer Beraterkreis beim DFB nicht mehr gefragt, dabei hätten die Pädagogin Walther-Ahrens, die Grünen-Politikerin Claudia Roth oder die Nachhaltigkeits-Expertin Alexandra Hildebrandt einiges zur Gesellschaftspolitik beitragen können. Wolfgang Niersbach verschließt sich dem Thema nicht, doch er geht auch nicht offensiv voran. Er hat sich im ZDF-Jahresrückblick vor einem Millionenpublikum neben Thomas Hitzlsperger gesetzt, aber er hat bis heute nicht die Sprecher der schwullesbischen Initiativen zum Austausch eingeladen, so wie es Zwanziger regelmäßig getan hat.

Was sind die wichtigen Nachwirkungen des Coming-outs von Thomas Hitzlsperger? Die Suche nach einem schwulen Promi-Kicker hat sich erledigt. Die Beschäftigung mit dem Thema ist verzweigter, kreativer, alltäglicher geworden: Der Sänger Marcus Wiebusch warb mit dem Lied "Der Tag wird kommen" um Akzeptanz, sein Video wurde fast als 850 000 Mal abgerufen. Der Kurzfilm "Zwei Gesichter" beleuchtete das Outing eines Juniorenspielers. Die Zeichnerin Panagiota Giannakidou ließ schwule Kicker in ihre Manga-Comics einfließen. Und im Kinderkanal befragte der 12-jährige William den schwulen Fußballaktivisten Marcus Urban.

Thomas Hitzlsperger hat den historischen Anstoß gegeben, ohne ständig im Mittelpunkt zu stehen. Er war während der Weltmeisterschaft in Brasilien als Fernsehexperte tätig, daran hat er Gefallen gefunden. Er wird weiter so viele Anfragen zum Coming-out beantworten, wie es seine Zeit zulässt. Er wird in Schulen auftreten, gegen Homophobie und Rassismus Stellung beziehen. Und er wird dabei die schöne Illusion vermitteln, als wäre das für einen ehemaligen Nationalspieler das Normalste auf der Welt.

© SZ vom 05.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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