BEHÖRDEN Durch den Tunnel
Die Verbindung zwischen den beiden Ämtern ist unterirdisch. Tief vergraben im Kies des Münchner Isarufers wird ein Tunnel das deutsche Patentamt an den in unmittelbarer Nachbarschaft entstehenden Verwaltungsbau des Europäischen Patentamtes (EPA) anschließen, zwecks Aktentransport und »damit man auch mal ohne Mantel rübergehen kann« -- wie ein EPA-Mitarbeiter meint.
An der Oberfläche dagegen gehen die beiden Amtsnachbarn eher auf Distanz. »Das Europäische Patentamt«, formulierte EPA-Präsident Johannes Bob van Benthem bei der feierlichen Eröffnung des Dienstbetriebes im Juni, »steht in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zu den nationalen Patentämtern.«
Die deutschen Amtskollegen nämlich gehen nur wenige Meter vom künftigen Sitz der europäischen Behörde nahezu derselben Tätigkeit nach und sind ebenfalls auf ihre Existenzberechtigung bedacht. »Diese traditionsreiche Behörde«, hofft ihr Chef Erich Häußer, werde »eine bleibende Funktion neben dem supranationalen Amt haben«.
Die ungewohnte Beamtenpflicht, um Kundschaft werben zu müssen, verdanken die Konkurrenten dem »Europäischen Patentübereinkommen«. In dem 1973 in München unterzeichneten Vertrag einigten sich 16 westeuropäische Staaten nach 20 Jahren währenden Verhandlungen auf ein einheitliches Verfahren der Patenterteilung.
Allzuweit wollten es die beteiligten Regierungen mit der Einigung allerdings nicht treiben. Die nationalen Patentämter sollten neben der europäischen Behörde weiterbestehen.
Seit dem 1. Juni 1978 haben die Erfinder die Wahl, sich ihre Neuheiten bei einem oder mehreren nationalen Patentämtern patentieren zu lassen oder aber beim Europäischen Patentamt vorzusprechen und auf einen Schlag Imitationsschutz für alle oder auch einen Teil der angeschlossenen Länder zu erhalten.
Ausgerüstet mit einem Werbeetat von 350 000 Mark, brachen EPA-Direktoren in den letzten Wochen zu ausgedehnten Reisen auf. Romuald Singer, Präsident der Beschwerde-Kammer, pries Japanern und Amerikanern das europäische Patentverfahren. Ein auf Vortragstourneen spezialisiertes Unternehmen, die International Seminar Services aus Belgien, trommelte für die Europa-Patentiererei in allen wichtigen europäischen Ländern.
Schon bei Patenten für nur drei Länder, so rechneten die EPA-Werber vor, sei der Weg über die europäische Behörde billiger. Zwar seien die Gebühren des EPA rund viermal so hoch wie zum Beispiel die Rechnung des deutschen Patentamts. Doch dafür spare der Erfinder die Kosten für Patentanwälte im Ausland und einen um-
* Links Europäisches Patentamt, rechts Deutsches Patentamt.
ständlichen Papierkrieg mit den einzelnen Ämtern.
Der Erfolg der Werbung hält sich bisher in Grenzen. In den ersten fünf Monaten seines Bestehens registrierte das europäische Amt 2400 Patentanmeldungen. »Wir sind in unserem Erwartungsrahmen«, meint Ulrich Schatz, Chef einer der fünf »Generaldirektionen«.
Der Erwartungsrahmen war allerdings kurzfristig verkleinert worden. Noch im Februar erhofften sich die EPA-Beamten 6000 bis 8000 erste Kunden bis zum Jahresende. Bei der Eröffnung im Juni gab man sich schon mit 3000 bis 4000 zufrieden.
Die Konkurrenz von nebenan gibt sich denn auch gelassen. »Wir verspüren absolut noch keine Abnahme«, berichtet Eckhart G. Miehle vom Deutschen Patentamt.
Der Grund ist einleuchtend. Die meisten Erfinder, die das europäische Patent beantragen, melden ihre Entdeckung auch beim deutschen Patentamt an.
Die Feinheiten des europäischen Patentrechts nämlich sorgen dafür, daß die eingesessene Bürokratie nicht beschäftigungslos wird. Mit der Anmeldung eines europäischen Patents setzt der Erfinder alles auf eine Karte. Lehnen die Prüfer ab, kann er in keinem europäischen Land, für das er Patentschutz beantragt hat, noch seine Erfindung patentieren lassen.
Dieses Prinzip schreckt viele. Vorsichtshalber reichen sie ihre Erfindungen zunächst dem nationalen Amt ein. Ein Patent ddr Länderbeamten ist selbst dann -- für den jeweiligen Staat -- gültig, wenn die EPA-Prüfer später ein europäisches Patent ablehnen.
Die EPA-Beamten, deren Entscheidungen so unterlaufen werden könnten, halten allerdings nichts von diesem Trick. »Das ist ein Vabanque-Spiel«, warnt Rechtsexperte Schatz.
Der Umweg über das deutsche Patentamt lohnt allemal. Für einen Bruchteil der entsprechenden europäischen Gebühren -- 200 Mark statt 1450 Mark -- forschen die deutschen Beamten nach, ob auf dem Gebiet der angemeldeten Erfindungen schon ähnliche Techniken vorhanden sind. Ergibt sich aus diesen Recherchen der Verdacht der »Neuheitsschädlichkeit« (ähnliches wurde schon erfunden), sind die Chancen für ein Patent gering. Der Erfinder kann sich die teuren EPA-Gebühren sparen.
»Ich empfehle, erst mal in Deutschland anzumelden, den Prüfungsbericht abzuwarten und dann gegebenenfalls fristgerecht beim EPA anzumelden«, rät denn auch der Nürnberger Patentanwalt Bernhard Richter, Vorstandsmitglied des Deutschen Erfinderverbandes.
Für ausreichende, wenn auch nicht immer sinnreiche Beschäftigung in beiden Ämtern wäre damit gesorgt: Versprechen die zunächst angesprochenen Beamten der nationalen Behörde Erfolg, so machen die europäischen Kollegen für die mehrfache Gebühr noch einmal dieselbe Arbeit.
Die wird immerhin gut honoriert. Die Beamten der ersten europäischen Behörde auf bundesdeutschem Boden genießen das Privileg der Einkommensteuerfreiheit; Ihre Gehälter sind zudem nach dem gleichen Schema berechnet wie bei den Angehörigen der »Koordinierten Organisationen« (zum Beispiel Nato, OECD, Europarat).
* Auf der Erfinder-Messe in Nürnberg.
Beides zusammen ergibt ein erfreuliches Plus auf dem Gehaltsstreifen. »Was steht denn bei euch ganz rechts unten?« erkundete EPA-Mann Schatz in einer Privat-Umfrage bei Kollegen. Die von der deutschen Behörde ins internationale Geschäft übergewechselten Patentexperten hatten durchweg 30 Prozent mehr.
Ein schlichter Aktenregistrator bringt es da mit Familienzulage auf ein »Nettoanfangsgehalt« von 3304 Mark, Pensionsberechtigung und andere Beamtenzuwendungen nicht gerechnet. Die Tätigkeit ist, laut Stellenausschreibung, entsprechend verantwortungsvoll: »Der Bedienstete nimmt eingehende Akten und Unterlagen entgegen und legt sie dem Formalprüfer vor.«