Das Bündnis der einsamen Wölfe
Die Partnerschaft zwischen Südafrika und Israel ist eine Beziehung, die auf der Erde ihresgleichen sucht. Israel hat sich in Südafrika mit Haut und Haar engagiert, mit höherem Einsatz und Aufwand als irgendwo sonst, und es hat sich zu einer wichtigen - und zunehmend unentbehrlicheren - Stütze für den Fortbestand des Apartheidregimes entwickelt.
Die Geschichte des Staates Israel kennt keine vergleichbare Liaison von solcher Intimität und Dauer. Die Allianz mit Frankreich in den fünfziger und sechziger Jahren verblaßt neben der »Achse Jerusalem-Pretoria«. Der angesehenste Leitartikler der »Haaretz« nannte Südafrika »Israels zweitwichtigsten Bündnispartner nach den USA«. Der (südafrikanische) Apartheidkritiker Breyten Breytenbach verspürte diese besondere Freundschaftsbeziehung sogar als Häftling in den Gefängnissen seines Vaterlandes. »Amerikaner und Israelis blieben nie sehr lang in Haft - ihre Regierungen waren die einzigen, die genügend Einfluß hatten, um ihre Bürger rasch rauszubekommen.«
Wie wichtig diese Beziehung für Israel ist, ersieht man daraus, daß es einen General als Militärattache nach Pretoria entsandt hat, der einem israelischen Generalstabs-Forum angehört, dem höchsten Entscheidungsgremium der israelischen Streitkräfte.
Israelische Berater wirkten an der Planung und Vorbereitung der Invasion in Angola mit und sind seit 1975 in Namibia aktiv. Die von den Südafrikanern derzeit praktizierte Strategie, exemplarisch vorgeführt bei der Invasion Angolas und durch die kontinuierliche militärische Drangsalierung der schwarzafrikanischen Nachbarn mit dem Ziel ihrer Destabilisierung, lehnt sich an israelische Strategien im Kampf gegen die PLO und die benachbarten arabischen Staaten an.
Mehrmals im Jahr sorgt in Israel die Ankunft einer relativ kleinen Lieferung teuren angereicherten Urans für Gesprächsstoff
und Jubel auf allerhöchster Ebene. »Die Sendung ist eingetroffen«, lautet die frohe Botschaft, die dem israelischen Regierungschef überbracht wird. Diese Lieferungen erfolgen im Rahmen der nuklearen Zusammenarbeit zwischen Israel und Südafrika und helfen mit, die israelische Atomwaffenproduktion in Gang zu halten.
Es ist das bestgehütete Geheimnis der israelisch-südafrikanischen Allianz, doch läßt alles, was darüber bis heute an die Öffentlichkeit gedrungen ist, keinen Zweifel daran, daß die Entwicklung nuklearer Waffentechnik ein Wesenselement der Überlebensstrategie beider Länder ist.
Der ehemalige Generaldirektor im israelischen Außenministerium, Schlomo Avineri, ließ einmal eine Bemerkung über »wirtschaftliche und technische Geschäfte mit Südafrika« fallen und fügte hinzu: »Sie brauchen uns nötiger als wir sie.« Die Bezüge blieben unklar. Was meinte er mit »technischen Geschäften«? Und wozu braucht Südafrika die Israelis?
Den öffentlichen Quellen können wir einige Hinweise auf umfassende Aktivitäten im Zusammenhang mit der Nutzung der Atomenergie entnehmen. Die israelische nukleartechnische Forschung setzte sehr früh ein, im Jahr 1949, und stützte sich in den fünfziger Jahren auf die Zusammenarbeit mit Frankreich.
Die israelischen Führer begriffen die überragende Bedeutung der Atomwaffen sehr früh: Israel legte, wie Indien, vom Zeitpunkt seiner Staatswerdung im Jahr 1948 an ein Interesse an nuklearer Forschung und Entwicklung an den Tag. Sehr schnell begann man mit der Suche nach Uranvorkommen im Lande.
Der geheime Teil des israelischen Atomprogramms läuft seit Anfang der sechziger Jahre in Dimona ab, im Nuklearen Forschungszentrum Negev (NRCN, in Abkürzung des hebräischen Namens auch Kamag genannt).
Die atomaren Forschungsprogramme Israels und seine nukleare Zusammenarbeit mit Südafrika waren seit 1978 Gegenstand mehrerer Resolutionen der UN-Vollversammlung. Beide Länder weigerten sich, den Atomwaffensperrvertrag von 1968 zu unterzeichnen; somit sind ihre nuklearen Anlagen seit vielen Jahren nicht mehr von Außenstehenden inspiziert worden.
Das volle Ausmaß der atomaren Zusammenarbeit zwischen Israel und Südafrika wird möglicherweise nie ans Licht kommen; was wir hier anbieten können, ist lediglich eine bruchstückhafte Rekonstruktion. Einigen Aufschluß und einige Details über diese Zusammenarbeit vermittelte eine Sendung der amerikanischen Fernsehgesellschaft CBS am 21. Februar 1980; darin wurde der Inhalt eines Buches über das israelische Atomwaffenprogramm wiedergegeben, dessen Erscheinen die israelische Zensur verhindert hatte.
CBS berichtete über eine extensive, bis ins Jahr 1955 zurückreichende Kooperation, die sich in jüngerer Zeit auch auf gemeinsame Atombombentests erstreckt habe.
Israel und Südafrika haben ähnliche Beweggründe für die Entwicklung von Atomwaffen; für sie geht es eher um das nationale Überleben als um Landesverteidigung im herkömmlichen Sinn, aber dazu gesellt sich vielleicht noch das Bedürfnis, nicht nur das eigene Überleben zu sichern, sondern in der Lage zu sein, wenn es zum Schlimmsten käme, Vergeltung gegen ihre siegreichen Feinde üben zu können.
Die südafrikanische Atomwaffenentwicklung lief der israelischen parallel - mit einer bedeutsamen Abweichung: Südafrika fördert im eigenen Land so viel Uran, daß es beträchtliche Mengen davon exportieren kann. Die südafrikanische Atomenergiebehörde wurde 1949 errichtet und bot bereits 1952 Uran zum Export feil. Südafrika gehörte zu den acht Gründerstaaten der International Atomic Energy Agency (IAEA). 1957 wurde im Rahmen eines Fünfjahresplans ein kerntechnisches Forschungs- und Entwicklungsprogramm in Gang gesetzt. Die Bauarbeiten für das nukleare Forschungszentrum von Pelindaba begannen 1961, zeitgleich mit denen für das israelische Dimona-Projekt.
Wie Südafrika betreibt auch Israel, was seine Errungenschaften und Pläne auf dem Sektor der atomaren Bewaffnung angeht, eine Politik der kalkulierten
Geheimniskrämerei. Man versucht, die übrige Welt im dunkeln tappen zu lassen, läßt aber von Zeit zu Zeit Andeutungen über die eigene atomare Schlagkraft fallen oder rühmt sich gar derselben.
Die südafrikanische Führung faßte den Entschluß, sowohl eine starke konventionelle als auch eine atomare Militärmacht aufzubauen, zu Beginn der sechziger Jahre, unter dem Eindruck der rapiden Entkolonialisierungswelle in Schwarzafrika. An die Technik der Urananreicherung wagten die Südafrikaner sich in den sechziger Jahren heran; 1970 hatten sie sie im Griff. Die erste Ladung nuklearen Brennstoffs, mit der der israelische Dimona-Reaktor 1963 beschickt wurde, bestand aus 24 Tonnen angereicherten Urans. Davon stammten zehn aus »israelischer Eigenproduktion«, zehn aus Südafrika und nur vier Tonnen aus Frankreich.
Schon zu diesem Zeitpunkt spielte Südafrika also eine wichtige Rolle für das israelische Atomprogramm. Unbestätigten Angaben zufolge gingen erste südafrikanische Uranlieferungen schon 1957 nach Israel, angeblich als Gegenleistung für konventionelle Waffen.
Die nukleartechnische Grundlagenforschung, die in Israel betrieben wird, zeitigt Früchte. Zwei israelische Wissenschaftler erhielten 1973 in der Bundesrepublik Deutschland ein Patent auf ein neuartiges Verfahren der Urananreicherung mit Hilfe von Laserstrahlen. Die beiden Physiker, Yeshayahu Nebenzahl und Menachem Levin, stehen im Sold des israelischen Verteidigungsministeriums.
Südafrika profitiert von diesen Forschungen. Es wird angenommen, daß Israel selbstentwickelte Techniken wie die der Trennung von Uranisotopen mittels Laserstrahlen den Südafrikanern zur Verfügung gestellt hat, die sich dafür anscheinend 1977 bereit erklärt haben, in der Wüste Kalahari eine Bombe zu testen. Viele israelische Atomwissenschaftler und -techniker reisen ziemlich oft nach Südafrika.
Was Trägersysteme für Atomwaffen betrifft, so hat Südafrika von den Israelis Jericho-Raketen bezogen, die Atomsprengköpfe transportieren können. Ferner haben Israel und Südafrika in Zusammenarbeit mit Taiwan, wie es heißt, einen mit Atomsprengköpfen bestückbaren Marschflugkörper produziert. Marschflugkörper lassen sich von fahrbaren Lafetten oder von Sattelschleppern aus abschießen.
Seit 1977 sind drei Vorfälle bekanntgeworden, die möglicherweise mit südafrikanischen Atombombenversuchen zu tun hatten: im August 1977, im September 1979 und im Dezember 1980. In den beiden letzteren Fällen handelte es sich um mysteriöse, weithin wahrnehmbare Lichtblitze unweit der Küste Südafrikas.
Im August 1977 berichtete die Sowjet-Union über die Vorbereitung eines südafrikanischen Atombombentests in der Wüste Kalahari und forderte die USA auf, diesen Test zu verhindern. Die Nachrichtenagentur Tass sprach in einer Meldung vom 8. August von einer Zusammenarbeit zwischen Südafrika und Israel bei der Entwicklung von Atomwaffen. Washington übte auf das sowjetische Drängen hin tatsächlich Druck auf Südafrika aus, und der Test fand nicht statt.
Am 22. September 1979 registrierte ein US-amerikanischer Spionagesatellit an einem Punkt auf offener See unweit der Südspitze Südafrikas einen grellen Lichtblitz. Wenige Tage später traf eine israelische Delegation ein.
Experten vermuteten als Ursache des Lichtblitzes einen Atombombentest, konnten aber nicht mit Gewißheit sagen, wer ihn durchgeführt hatte. Die US-Fernsehgesellschaft CBS meldete in ihrer Nachrichtensendung vom 21. Februar 1980, der Lichtblitz von 1979 sei in der Tat das Ergebnis eines israelisch-südafrikanischen Atombombentests gewesen.
Die Spekulationen über den oder die Veranstalter dieses Bombentests erhielten neue Nahrung, als das israelische Staatsfernsehen am 21. Dezember 1980 kommentarlos eine britische Fernsehsendung ausstrahlte, die eine plausible Antwort auf die Frage lieferte. Die Sendung beschäftigte sich en detail mit der nukleartechnischen Zusammenarbeit zwischen Südafrika und Israel.
Der Lichtblitz von 1979 sei, so hieß es, durch die zu Testzwecken veranstaltete Unterwasser-Zündung einer im Rahmen jener Zusammenarbeit entwickelten neuartigen Atombombe verursacht worden. _(1976 vor der Klagemauer in Jerusalem. )
Die meisten Berichte und Spekulationen über israelische Atomwaffen kranken daran, daß sie in einem Vorstellungsmuster befangen sind, das von den bekannten nuklearen Waffensystemen anderer Staaten bestimmt wird und die spezifische Situation Israels nicht in Rechnung stellt. Israel hat bei seiner nuklearen Bewaffnung andere Bedürfnisse als etwa die USA, Frankreich oder China. Israelische Atomwaffen sind nur für den Einsatz im Nahen und Mittleren Osten bestimmt und müssen auf diesen Anwendungszweck zugeschnitten sein.
Israel hat daher keinen Bedarf an Wasserstoffbomben mit großer Sprengkraft, die, gegen die unmittelbaren Nachbarn eingesetzt, Teile des eigenen Territoriums gefährden könnten. Ein Blick auf die Landkarte macht das deutlich. Was Israel - und ebenso Südafrika - braucht, sind »kleine« Atomwaffen, ähnlich denen, die im Sprachgebrauch der Supermächte als »taktisch« (das heißt für den Einsatz auf dem atomaren Schlachtfeld bestimmt) bezeichnet werden. Diese Einsicht ist schon seit den sechziger Jahren bestimmend für die israelische Atomwaffenpolitik.
Die Außenwelt verbindet mit der nuklearen Rüstung Israels und Südafrikas die herkömmlichen, von der atomaren Strategie der »alten« Atommächte her vertrauten Vorstellungen über »die Bombe«. Einige brillante israelische Köpfe haben sich indes eine originär israelische Lösung für ein spezifisch israelisches Problem ausgedacht. Südafrika fungierte bei der Erarbeitung dieser Lösung als Partner und war und ist ihr Nutznießer.
Beide, Südafrika wie Israel, erkannten in den sechziger Jahren, daß sie taktische Atomwaffen brauchen. Diese Erkenntnis mündete in die Entwicklung einer atomaren Granate, die aus einer 155-Millimeter-Haubitze oder aus einer Schiffskanone abgefeuert werden kann. Das war sehr wahrscheinlich die Waffe, die 1979 getestet wurde. Diese Granate enthält einen »kleinen« atomaren Sprengsatz mit einer Sprengkraft von zwei Kilotonnen - die ideale Atomwaffe für die beiden Länder.
Eine so enge Zusammenarbeit zwischen zwei Ländern in einem so delikaten Bereich wie dem der Entwicklung atomarer Waffensysteme setzt ein äußerst hohes Maß an gegenseitigem Vertrauen voraus. Die meisten anderen Atommächte hüten die technischen und operativen Geheimnisse ihrer Waffensysteme wie ihren Augapfel, so daß Israel und Südafrika hier schon den Beweis für ein außergewöhnlich enges Vertrauensverhältnis liefern.
Eine nukleare Allianz ist heutzutage wohl die Krönung einer Beziehung zwischen zwei Staaten. Ein auf Plutonium gegründetes Bündnis ist eine Blutsbrüderschaft im furchtbarsten Sinne des Wortes und verdient es, sehr ernst genommen zu werden.
1976 vor der Klagemauer in Jerusalem.