Abgehört Die wichtigsten CDs der Woche
Robbie Williams - "Rudebox"
(Chrysalis/EMI)
Es heißt ja jetzt oft, "Rudebox" sei das erste wirklich schlechte Album von Robbie Williams, aber das stimmt natürlich nicht: "Intensive Care", seine leider noch nicht vergessene letzte CD, die er zusammen mit dem grandios überschätzten Songwriter Stephen Duffy aufgenommen hat, ist nach wie vor das an üblem Pomp und Geschmacklosigkeit nicht zu überbietende Machwerk in der Solo-Karriere des ehemaligen Take-That-Mitglieds. Dass es vor Jahresfrist mit seinem bisherigen Kommerz-Höhepunkt zusammenfiel, spricht Bände. Insofern kommt das kollektive Aufheulen anlässlich "Rudebox" ein bisschen spät: Der künstlerische Zenit war bereits überschritten, als das dritte Album mit Guy-Chambers-Beteiligung herauskam, so dass sich sämtliche Empörung ohnehin in einem diffusen Gefühl von "Früher war alles besser" verliert. Dabei ist heute alles besser: Man weiß jetzt in Sachen Talent zumindest, woran man ist bei Robbie Williams. Er hat da arge Defizite - und versucht, möglichst schnell und ohne große Anstrengung seinen Vertrag mit EMI zu erfüllen.
"Rudebox", offensichtlich hastig zusammengeschludert, ist nicht einfach nur schlecht, das Album ist eine Zumutung: eine mit fünf mehr oder minder überflüssigen Coverversionen angereicherte und auf 74 Minuten aufgeblasene Sammlung kruder Demobänder, die andere Leute noch nicht einmal als B-Seiten veröffentlichen würden. Bitter genug: Wir reden hier über einen der derzeit erfolgreichsten Popstars der westlichen Welt. Den Verkäufen dieses durchaus eingängigen Albums wird es also noch nicht einmal schaden, dass kein Song zum anderen passt. Oder dass sich ungefähr fünf verschiedene Produzenten und nochmal so viele Songschreiber mit ihren Stilen auf der Platte verewigt haben. Oder dass sich sogar die Pet Shop Boys für zwei Songs hergegeben haben, von denen einer ("We're the Pet Shop Boys") wiederum die Coverversion eines Indie-Hits von My Robot Friend ist. Originalität? Fehlanzeige.
Nach zappeligem Elektropop, der wahlweise an Snap anno 1991 oder Madonnas wildeste Verirrungen erinnert ("Rudebox"), kommt die geballte Packung Pathos ("She's Madonna", "Kiss Me") und das erbärmliche Manu-Chao-Cover "Bongo Bong". Erst am Ende blitzt kurz der echte, immer noch kindliche Robbie Williams auf. Zwei Songs, schlicht "The 80's" und "The 90's" betitelt, lassen erahnen, was Williams im Sinn gehabt haben könnte, als er einst seine bisher persönlichste Platte ankündigte, die ursprünglich mal "1974" heißen sollte. In Streets-Manier rappt er hier ganz offen über seine Jugend in den Achtzigern und die verkorkste Boyband-Phase Anfang der Neunziger - eine seltsam naive, ganz unbehauen sympathische Art Autobiographie, der man gebannt und fast schon gerührt zuhört. Nur, dass man sich leider vorher durch eine Stunde groben Unfug kämpfen musste. Mitleidspunkte gibt es für die zweite Single "Lovelight", und das lustige Trinkgelage-Lied "Good Doctor". Drei Alben hat Williams schon abgeliefert, um seinen hochdotierten Vertrag zu erfüllen. Eines müssen wir noch ertragen, vielleicht geht es danach wieder aufwärts. (2) Andreas Borcholte
Sean Lennon "Friendly Fire"
(Capitol/EMI)
Wen Sean Lennon qua Geburt und großem Namen so alles kennt, lassen nicht nur die Credits zu "Friendly Fire" erahnen, in denen der Songschreiber Yoko Ono, Elizabeth Jagger, Vincent Gallo, John Frusciante, Val Kilmer oder auch Pete Townshend dankt, sondern auch dem beiliegenden Film, der alle zehn Stücke noch einmal untermalt und visuell verstärkt: Lindsey Lohan, Asia Argento und Carrie Fisher treten gemeinsam mit Lennon mal in Großstadtwohnungen, mal in "Barry Lyndon"-artigen Kulissen auf. Schmerzvoll entspinnt sich die Geschichte, die "Friendly Fire" zugrunde liegt: Lennons Freundin betrog Sean mit dessen bestem Freund eine bleierne, kaum zu steigernde Kränkung, die nun zu bedrückenden Songs wie "Parachute", "Dead Meat", "Spectacle" und "Falling Out Of Love" geführt hat. Die Liebe als Flugzeug, in das man unverletzt einsteigt und dann nur noch hoffen kann, so lange wie möglich in der Luft zu bleiben, und der Schwebezustand, in dem Zuversicht und Ergebenheit miteinander ringen: Lennon hat darüber Lieder geschrieben, die an Elliott Smith gemahnen und tiefer gehen als vieles auf seinem nun auch schon acht Jahre zurückliegendem Debüt "Into The Sun". Man darf getrost davor warnen, "Friendly Fire" aufgrund seiner Homogenität und scheinbaren Gleichförmigkeit als bloß gefällig zu unterschätzen: Unter der Oberfläche brodelt es noch. (8) Jan Wigger
Sophia "Technology Wont Save Us"
(City Slang/Rough Trade, 27. Oktober)
Leute, die Robin Proper-Sheppards Langzeit-Projekt Sophia erst mit "People Are Like Seasons" aus dem Jahr 2003 kennengelernt haben, fällt es manchmal schwer, zu glauben, dass nur ein paar Jahre früher alles noch besser, noch tragischer, noch zauberhafter war: Bis heute sind die beiden ersten Sophia-Alben "Fixed Water" (1996) und "The Infinite Circle" (1998) die zwar kargsten, aber auch die bestechendsten Arbeiten jenes Mannes geblieben, der sein Debüt vor zehn Jahren dem Tod seines Freundes Jimmy Fernandez widmete, Bassist der Band God Machine. Das neue Werk dreht sich wiederum um den Tod, diesmal verarbeitet Proper-Sheppard den Tod seiner Mutter, die schwer erkrankt im Hospital alle lebensverlängernden Geräte ausschalten ließ. Der eröffnende Titelsong dürfte in all seiner Schönheit und Größe endgültig widerlegen, dass Instrumental-Tracks nicht genauso viel Emotionen transportieren können wie Stücke mit Gesang. Auch "Where Are You Now" und "Lost (She Believed In Angels)" halten das gewohnt hohe Niveau. Robin Proper-Sheppard transzendiert seine Trauer und ist damit den meisten Menschen um einen alles entscheidenden Schritt voraus. (7) Jan Wigger
Bernd Begemann "Ich werde sie finden"
(Begafon/Indigo)
Anlässlich der nunmehr fünfzehnten Bernd-Begemann-Platte kann man das bislang wohl gehütete Geheimnis ja endlich einmal lüften: Einer ziemlich repräsentativen Umfrage unter sexuell frustrierten Medientypen Anfang 30 zufolge möchten knapp über 60 Prozent der Befragten gerne ab sofort Bernd Begemann sein. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Begemann hat zwar die 40 längst überschritten, ist aber bei den zwanzig Jahre jüngeren Indie-Mädchen noch immer erfolgreich. Begemann ist zudem Großmeister an der Spielkonsole XBox, leitet den unbedingt erwähnenswerten Cineasten-Podcast "Ohrensessel", spielt auf Live-Konzerten länger als Bruce Springsteen und hat vor Jahren mit der in seiner damaligen Wohnung in Hamburg-Rothenburgsort aufgezeichneten, unvergessenen Sendung "Bernd im Bademantel" unbemerkt Fernsehgeschichte geschrieben. "Ich werde sie finden" (Untertitel: "Ein Pop-Singspiel in vier Aufzügen") ist die wahrscheinlich ambitionierteste, gewagteste, theatralischste, aber auch wahrhaftigste Platte, die der Liedermacher je gemacht hat - und sie scheitert ("(Wir sind alle in der) Ikea-Falle") fast genau so oft, wie sie triumphiert ("Wir sind fünfzehn"). Gut, dass Peter Hahne und Reinhold "Ich steh' auf Rock" Beckmann diese Platte mit dem wunderbaren Titel niemals hören werden: Sie würden sie höchstwahrscheinlich "ehrlich" nennen. (6) Jan Wigger
Barbara Carlotti - "Les lys brisés"
(4AD/Beggars/Indigo)
Eine welke Lilie, wie der Titel ihrer ersten Platte suggerieren könnte, ist die junge Sängerin Barbara Carlotti sicher nicht. Vielmehr steht sie gerade in voller Blüte, glaubt man den Jubelmeldungen aus Frankreich, wo "Les lys brisés" bereits mit zahlreichen Preisen dekoriert wurde und sich jenseits der Alpen derzeit fast so gut verkauft wie hierzulande Yvonne Catterfeld. Halt, stop, völlig unzulässiger Vergleich! Mademoiselle Carlotti hat mit Frau Catterfelds Popcorn-Soul so wenig zu tun wie Tokio Hotel mit guter Musik, also bitte nicht auf falsche Gedanken kommen. Die Zeitschrift "Figaro" schwärmt von einer der "vielversprechendsten Stimmen dieser Tage", andere Blätter bezeichnen Barbara Carlotti gar als "französische Nico". Tatsächlich erinnert ihre herbe Stimme zuweilen an die Velvet-Underground-Muse. Und ab und zu geistert auch die junge Françoise Hardy durch die Neo-Chansons Carlottis, die es ohne weiteres mit den Kompositionen eines Benjamin Biolay oder einer Françoiz Breut aufnehmen können. Besonders im Opener "Tunis", im Titelsong und in der Ballade "La verité des astres" zeigt sie jedoch noch viel mehr Popgefühl als ihre auch hierzulande bekannten Kollegen. Wenn das kein Kaufanreiz ist! (7) Andreas Borcholte
Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)