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"Es
gibt Menschen, deren Name von früh an von Legenden umgeben
ist. Sie werden selbst zu einer Legende und gehen so in die Geschichte
ein. Pavel Aleksandrovic Florenskij gehört zu ihnen."
(Sergej Volkov)
Nähert
man sich Pavel Florenskij und seinem Werk auf dem Weg der Sekundärliteratur,
so trifft man allenthalben auf hymnische Preisungen und Superlative:
ein "Universalgenie" sei er gewesen, ein "Pascal
unserer Zeit", ein "russischer Leibniz", ein "Leonardo
da Vinci des 20. Jahrhunderts"; Florenskijs vielfältige
Begabungen und tiefgründende Gelehrtheit werden als "überwältigend"
und "einschüchternd" beschrieben. Taja Gut nennt
ihn gar einen "der lichtvollsten Repräsentanten des
russischen Geisteslebens" und Stephen Cassedy "one
of the most wide-ranging intellectuals of all time". Hinzu
kommt der Nimbus eines "Märtyrers der orthodoxen Kirche",
die Aufnahme in den Kanon der heiligen Neumärtyrer und Bekenner.
Worauf gründet sich diese kaum noch zu überbietende
Hochschätzung? Beruht sie auf einer umfassenden und gründlichen
Kenntnis? Wie ist es um die Verbreitung und Rezeption von Florenskijs
Werken bestellt? Was ist unklar, strittig, wo gibt es Bedarf
an Forschung und Diskussion? Beginnen möchte ich mit einem
kurzen Rückblick auf die Rezeption Florenskijs im deutschsprachigen
Raum.
Die Beschäftigung mit Florenskijs Werk fand in Deutschland
in zwei Phasen statt. Die erste Phase ist kurz und beginnt in
der Mitte der zwanziger Jahre. Damals gaben der Heidelberger
Philosoph Nicolai von Bubnoff und sein Kollege, der protestantische
Theologe Hans Ehrenberg, die zweibändige Anthologie "Östliches
Christentum" heraus, deren zweiter 1925 erschienener Band
"Philosophie" lange Auszüge aus allen 12 Briefen
von Florenskijs "Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit"
enthielt, insgesamt mehr als 160 Seiten. Im Jahr darauf erschienen
erheblich erweiterte und kommentierte Auszüge aus dem 10.
Brief ("Sophia") in der Übersetzung des Dichters
Lev Kobylinskij-llis, der vom Marxismus über die Anthroposophie
zu einem romantischen Katholizismus gelangt war. Es waren dies
die ersten - und für ein halbes Jahrhundert einzigen - Übersetzungen
aus Florenskijs theologischem opus magnum in eine andere Sprache.
Die Publikationen fielen in eine Zeit, da die deutsche Zivilisationskritik
sehnsüchtig nach Rußland blickte und im russischen
Seelenmenschen und seiner mystischen Spiritualität das Andere
zum Westen zu erkennen glaubte. Bubnoff benennt denn auch dieses
Andere, wenn er in seinem "Begleitwort" als "Grundmotive
des russischen Denkens" hervorhebt: "Antirationalismus,
Realismus (Ontologismus) und Drang nach Totalität".
Bei Florenskij, so Bubnoff, komme "der antirationalistische
(nicht irrationalistische) Zug des russischen Denkens" vor
allem als Nachweis der "Antinomienhaftigkeit des religiösen
Bewußtseins" zur Geltung. Kobylinskij-llis sieht Florenskijs
Bedeutung vor allem darin, daß dieser aus der geheimnisvollen
"Urquelle" jener "tief-esoterischen und visionär-kontemplativen
Weisheit" schöpfe, "welche ihren pneumatischen
und taumaturgischen Mittelpunkt" im "Starzentum"
besitze.
Obwohl Florenskijs theologisches Hauptwerk bereits ein Jahrzehnt
nach seinem Erscheinen in langen Auszügen auf deutsch vorlag,
blieb es so gut wie unbeachtet. Dabei war das Interesse an russischem
Denken in Deutschland stets lebendig. Bereits 1914 erschien der
erste Band "Ausgewählter Werke" von Vladimir Solov'ëv
und seit den zwanziger Jahren wurde Nikolaj Berdjaev kontinuierlich
ins Deutsche übersetzt, darunter alle großen Arbeiten,
ebenso die wichtigsten Werke von Lev ·estov. Hinzu kamen
Übersetzungen von Sergij Bulgakov, Semen Frank, Nikolaj
Losskij, Vasilij Rozanov und vielen anderen. Allein Florenskij
war nie darunter.
Als Helmut Dahm 1979 eine fast 600-seitige, reich kommentierte
Anthologie "Grundzüge russischen Denkens" vorlegte,
erwähnte er Florenskij nur am Rande. Und noch 1984 hatte
Wilhelm Goerdt von den 768 Seiten seines Buches "Russische
Philosophie", das bis heute als Standardwerk gilt, nur knapp
zwei Seiten für Florenskij übrig, auf denen man kaum
mehr als ein paar dürre biographische Daten findet. Goerdt
nannte allerdings auch den Grund für diese Zurückhaltung:
Vom "Standpunkt und Erkenntnisstand heutiger westlicher
Philosophie" wäre die Frage, ob Florenskij als "theologisch-spekulativer
Denker ... in den Zusammenhang russischer Philosophie überhaupt
einzuordnen" sei, "leicht zu beantworten - nämlich
mit einem klaren 'Nein!'"
Eine Wende zeichnete sich erst um die Mitte der achtziger Jahre
ab. Sie scheint zumindest teilweise durch den hundertsten Geburtstag
Florenskijs ausgelöst worden zu sein. Dieser war auch in
der Sowjetunion begangen worden und hatte in der kirchlichen
Presse eine Reihe beachtlicher Veröffentlichungen zu Florenskijs
Leben und Werk hervorgebracht. In Deutschland waren es zunächst
ausschließlich Theologen, die auf Florenskij aufmerksam
machten. 1982 wurden am Päpstlichen Orientalischen Institut
in Rom zwei umfangreiche Studien vorgelegt: Michael Silberers
Arbeit über Florenskijs Trinitätslehre und Robert Slesinskis
bis heute unübertroffene Einführung in Florenskijs
Philosophie und Theologie auf der Grundlage des "Pfeiler
und Grundfeste der Wahrheit", die beide 1984 veröffentlicht
wurden.
Die folgenden Jahre sahen dann geradezu einen 'Boom' an Florenskij-Publikationen,
hervorgerufen vor allem durch die Perestrojka in der Sowjetunion.
Sie ermöglichte und förderte die Wiederentdeckung und
Rehabilitierung der russischen idealistischen und religiösen
Philosophie und ihrer Vertreter und machte damit weite bis dahin
tabuisierte Bereiche der Geschichte der "vaterländischen
Philosophie" einer freien Erforschung und öffentlichen
Diskussion zugänglich. Gleichzeitig riefen die in der Sowjetunion
stattfindenden Reformen im Westen - und ganz besonders in Deutschland
- ein gesteigertes Interesse für alles Russische hervor.
Dies betraf nicht nur die Politik, sondern insbesondere auch
das Geistesleben. Russische Spiritualität, verkörpert
in Ikonen, geistlichen Gesängen und Heiligenleben, wurde
ebenso (wieder)entdeckt wie die russische religiöse Philosophie,
um deren Einführung in den "europäischen Dialog"
sich zahlreiche Tagungen bemühten. Herausragend war hier
das Internationale Symposium über Florenskij und die Kultur
seiner Zeit, das im Januar 1988 auf Initiative von Nina Kauchtschischwili
in Bergamo erstmals westliche und russische Forscher versammelte.
Die weiteren Forschungen und Publikationen fielen dann mit der
durch die Perestrojka ermöglichten (und mit kleineren Texten
lange vorbereiteten) Freigabe des Werkes in Rußland zusammen.
Seit 1988 sind mehrere Werke Florenskijs vollständig auf
deutsch erschienen, darunter "Meinen Kindern", die
Erinnerungen an die Kindheit und Jugend im Kaukasus, Aufsätze
zur Kunst, einmal unter dem Titel "Die umgekehrte Perspektive",
sowie die einflußreiche Untersuchung zur Theologie der
Ikone "Die Ikonostase", "Das Salz der Erde",
einer Sammlung mit theologischen Arbeiten und eine zweibändige
Biographie in Form von Selbstzeugnissen und Bilddokumenten "Leben
und Denken". Hinzu kommen schließlich das Lesebuch
"An den Wasserscheiden des Denkens", sowie die ersten
Bände einer auf zehn thematische Lieferungen angelegten
repräsentativen Werkauswahl (s. Editionsplan). Aus dem umfangreichen
Briefwechsel liegt bisher die Korrespondenz mit Andrej Belyj
vor.
Somit liegt ein Gutteil des Werkes von Pavel Florenskij inzwischen
in deutschen Übersetzungen vor, von denen die meisten sich
dem Engagement von Fritz und Sieglinde Mierau verdanken, und
bieten, mit den Worten von Wolfgang Schlott, alle Voraussetzungen
dafür, daß "nun endlich die komplexe Auseinandersetzung
mit einem großen Denker und Metaphysiker beginnen kann."
Wie aber steht es darum?
Von einer breiten Rezeption Florenskijs oder gar einer "komplexe[n]
Auseinandersetzung" kann allen Voraussetzungen und Erwartungen
zum Trotz keine Rede sein. Florenskijs Werke erscheinen in kleinen
Verlagen, unterstützt von einer Schar hingebungsvoller Enthusiasten,
bei denen, so der Slavist Felix Philipp Ingold, der russische
Denker den "Status einer vom doppelten Nimbus des Märtyrers
und des Genies geadelten ,Kultfigur'" genieße. Der
Philosoph Peter Ehlen, einer der wenigen profunden Kenner der
russischen Geistesgeschichte, zeigte sich denn auch "ein
wenig erstaunt" über das Interesse, das Florenskij
seit einigen Jahren in Deutschland entgegengebracht werde und
äußerte die Vermutung, daß der Grund dafür
nicht zuletzt in seiner Persönlichkeit und seinem tragischen
Schicksal liege. Die Rezensenten in der Tagespresse heben - oftmals
irritiert - vor allem das Erratische, Unzeitgemäße,
Archaisierende, bisweilen auch Skurrile an Florenskij hervor:
Immer wieder ist die Rede von "grandioser Weltfremdheit",
von einer "befremdenden, andersartigen Sichtweise der Dinge",
von "abenteuerlichen Spekulationen" oder von der "Wasserscheide
zwischen östlichem und westlichem Denken". Mal ist
Florenskij ein Traditionalist, mal ein "Postmoderner avant
la lettre", mal ein "russischer Don Camillo";
ein Rezensent sah auf einem Photo Florenskijs gar "einen
in eine Kutte gehüllten Neandertaler". Zwar gibt es
mittlerweile eine - freilich kleine - Anzahl solider wissenschaftlicher
Studien zu einzelnen Aspekten von Florenskijs Werk - zur Ästhetik,
zur Sprachtheorie, zur Rationalitätsauffassung und zur (offensichtlich
weit überschätzten) geistigen Verwandtschaft mit Goethe
-, doch können diese nicht verdecken, daß Florenskijs
Ideen in der wissenschaftlichen Welt so gut wie keine Resonanz
gefunden haben.
Welches könnten die Gründe sein, die einer breiten
Rezeption Florenskijs in Deutschland oder auch im Westen entgegenstehen?
Ich denke, es ist seine im höchsten Maße fremdartige
Weltanschauung, seine dezidiert antimoderne - und das heißt
für Florenskij wie für seine Nachfolger - dezidiert
antiwestliche Haltung. Gerade dies fasziniert seine Anhänger,
steht aber zugleich seiner Aufnahme in die gänzlich anders
geprägten westlichen Wissenschaftsdiskurse entgegen.
Florenskij charakterisierte sich selbst als einen mittelalterlichen
Menschen: Er bewunderte das geschlossene und hierarchische Weltbild
des Mittelalters und bekannte sich ausdrücklich zu ihm.
Den Typus der mittelalterlichen Kultur sah Florenskij gekennzeichnet
durch Objektivität, Kollektivismus, Konkretheit, Ganzheitlichkeit,
synthetische Schau und Realismus. Im Gegensatz dazu stehe der
Typus der westlichen Renaissance-Kultur. Seine Merkmale seien
Subjektivität, Individualismus, Abstraktheit, Analytik,
Sensualismus und Illusionismus, Zersplitterung, Atomisierung
und schließlich Nihilismus und Selbstzerstörung. Renaissance
und Humanismus markieren für Florenskij den Zerfall der
göttlichen Ordnung des Universums und damit den Sündenfall
der abendländischen Kultur.
Das "Weltempfinden der Renaissance" stelle, so Florenskij,
den Menschen "in eine ontologische Leere" und verurteile
ihn damit zu Passivität: "... in dieser Passivität
zersetzt sich das Bild der Welt ebenso wie der Mensch selbst,
sie zerfallen in sich ausschließende Augenblicks-Punkte.
Das ist die eigentliche Wirkung dieses Weltempfindens."
Florenskij war indessen überzeugt, daß die "entseelte
Zivilisation" der Neuzeit sich erschöpft habe und der
Tag nahe sei, da der versklavte Mensch "das Joch der Renaissancezivilisation
abwerfen" und ein neues Mittelalter, d.h. eine neue ganzheitliche
Kultur, anbrechen werde. Ein Vorbild dieser "Kultur des
anderen Typus", deren "erste Keime" bereits "zu
beobachten" seien, werde Rußland sein; er aber, so
Florenskij, sehe "seine Lebensaufgabe darin, Wege zu bahnen
zu einer künftigen ganzheitlichen Weltanschauung".
Der Gegensatz zwischen einer ganzheitlich-objektiven Weltauffassung
und der für den Westen seit der Renaissance charakteristischen
subjektiv-partikularen und analytischen Weltsicht findet seinen
exemplarischen Ausdruck in den Lehren Platons und Kants. Florenskij
war Platoniker und ein leidenschaftlicher Kritiker Kants. Platons
Philosophie, die noch in einem magisch-religiösen Weltverständnis
wurzele, bezeichnete Florenskij als Realismus, da sie dem Menschen
zeige, wie er am Sein der Ideen als dem eigentlich Realen teilhaben
könne. Kant hingegen, den Florenskij als "Pfeiler der
widergöttlichen Bosheit" schmäht, stelle die autonome
Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt, indem er verkünde,
daß "nicht die Wahrheit unser Bewußtsein, sondern
das Bewußtsein die Wahrheit bestimmt". Heftige Ausfälle
gegen Kant durchziehen Florenskijs gesamtes philosophisches Werk.
So heißt es in einer Vorlesung über "Kult und
Philosophie" im Mai 1918: "Es gibt kein System, das
mehr von hinterlistiger Glätte wäre, ,heuchlerischer'
und ,verschlagener' als die Philosophie Kants. ... Sie ist ganz
und gar gesponnen ... aus geheimnisvollem Lächeln und doppeldeutigen
Windungen zwischen ja und nein. Kein einziger Begriff gibt ihr
einen klaren Ton, sondern alles ist Geheul. Das Kantsche System
ist in der Tat genial, sogar das genialste, das es je gab, gibt
und geben wird ... in bezug auf die Hinterlist. Kant ist ein
Ausbund an Verschlagenheit."
1922 veröffentlichte Florenskij sein Buch "Imaginäre
Größen in der Geometrie". Darin unternahm er
- anscheinend allen Ernstes - den Versuch, die geozentrische
Weltsicht des Mittelalters, wie Dante sie in der "Göttlichen
Komödie" zeichnet, mit Hilfe der Relativitätstheorie
zu rehabilitieren. Das Relativitätsprinzip zeige, so Florenskij,
daß die ptolemäische Weltsicht, welche die Erde in
den Mittelpunkt des Weltalls stellt, wahr sei, das kopernikanische
System der Neuzeit dagegen falsch. "Ptolemäisch"
ist auch die "natürliche" Weltsicht der Kinder.
Sie eröffne, so Florenskij, den Weg zu objektiver Erkenntnis.
Dank ihrer unmittelbaren Empfänglichkeit könne die
"kindliche Wahrnehmung die Zersplitterung der Welt von innen
her überwinden". Alle Forschung und Theorie werde unaufhörlich
gespeist aus den Intuitionen der Kindheit. Kein Schritt sei gedeihlich
ohne die Rückannäherung an die ewig lebendige Kindheit,
an die objektive Wahrnehmung der Welt. Er habe, schreibt Florenskij,
das Relativitätsprinzip sofort akzeptiert, ohne eingehendes
Studium, "einfach deshalb, weil es der schwache Versuch
war, ein anderes Weltverständnis auf den Begriff zu bringen.
Das allgemeine Relativitätsprinzip ist gewissermaßen
mein Märchen von der Welt, wenn auch verkürzt und vereinfacht."
Die "Grenze zwischen Himmel und Erde" lasse sich, so
Florenskij, genau berechnen: Sie liege zwischen den Umlaufbahnen
von Uranos und Neptun. Ein "verblüffendes Ergebnis",
wie er selbst sagt, denn es beweise, daß die Grenze der
Welt genau dort verlaufe, wo man sie schon im tiefsten Altertum
angesetzt habe. Schließlich präsentiert Florenskij
noch einen mathematisch-physikalischen "Nachweis" der
platonischen Ideen: An der Grenze zwischen Himmel und Erde erreiche
die Bewegung eines Körpers Lichtgeschwindigkeit. Gemäß
der 1. Lorentzschen Gleichung werde seine Ausdehnung gleich Null,
seine Masse und die von außen beobachtete Zeit hingegen
unendlich; der Körper verliere somit die Attribute seiner
irdischen Existenz, er gehe in die Ewigkeit über und gewinne
absolute Stabilität - das aber seien die Merkmale der platonischen
Ideen.
Nichts ist wohl besser geeignet, Florenskijs Kritik am Weltbild
der Renaissance zu illustrieren, als seine Ausführungen
zur Sakralmalerei. Mit besonderer Vehemenz verdammt Florenskij
die Zentralperspektive, wie sie seit der Renaissance in der westlichen
Kunst vorherrscht. Ihr stellt Florenskij die Kunst des Mittelalters
gegenüber, die die illusionistische Darstellung keineswegs
aus Naivität verschmäht habe, sondern weil man in einem
platonischen Sinn eine "wahre Wirklichkeit", die "ideale
Welt", habe zum Ausdruck bringen wollen.
Nach alldem ist es nur konsequent, daß Florenskij in seiner
Sprachphilosophie einen radikalen Realismus vertritt und den
neuzeitlichen Nominalismus scharf bekämpft. Florenskijs
Arbeiten zur Mystik und Magie des Wortes hängen eng mit
dem "imjaslavie" zusammen, wie die Bestimmung des Verhältnisses
von Namen, Wesen und Wirken zeigt: Worte, Namen sind nicht -
wie der Nominalismus annimmt - bloße konventionelle Bezeichnungen,
sondern sie sind Symbole, Offenbarungen der höheren, verdichteten
Realität des Wesens - wodurch sie mystische Erfahrungen
ermöglichen -, und Ausdruck seiner Wirkkraft. Im Namen wirkt
das Genannte selber, sofern dessen Energie in ihm vorhanden ist;
das "wirkende Wort" besitzt magische Kraft (man denke
etwa an die Wirkung von Beschwörungsformeln und Zaubersprüchen
oder an die Vorstellung eines "Gotteszwangs"). Florenskij
war auch überzeugt, daß die im Vornamen eines Menschen
enthaltenen allgemeinen Wesensmerkmale ihren Träger prägen.
Florenskij betrachtete die Geschichte im eschatologischen Horizont
als Kampf zwischen Logos und Chaos oder, wie Abt Andronik (Trubaev)
erläutert, als "Kampf zwischen Christus und dem Antichrist".
Kultur, definiert Florenskij, sei "der bewußte Kampf
gegen die weltweite Nivellierung", gegen Gleichheit und
Tod. Wer aber sind die Kräfte des Chaos, der Nivellierung,
der Gleichheit und des Todes, wer sind die Verbündeten des
Antichrist? Es sind jene, die sich gegen die göttliche Ordnung
und ihren Garanten auf Erden, den Selbstherrscher, auflehnen,
indem sie die Autonomie des Einzelnen und die Gleichheit aller
predigen und Demokratie und Menschenrechte an die Stelle von
Gottesgnadentum und Gehorsam setzen. Und sie haben einen Namen:
Es sind die Juden. Der historische Agent des Antichrist ist das
Judentum. Wurzellos, materialistisch und diesseitsorientiert,
verführt es die Menschen durch seinen Anspruch auf Selbsterlösung
und Selbstvergottung. Renaissance, Humanismus, Aufklärung
und Liberalismus markieren die Etappen seines Fortschreitens
in der Geschichte.
Doch zeichnet sich bereits eine neue ganzheitliche Kultur ab.
Ihre Züge entwirft Florenskij in seiner Schrift "Mutmaßlicher
Staatsaufbau in der Zukunft", einer etatistischen, antiindividualistischen
Sozialutopie, die in der autoritären Utopietradition von
Platons "Politeia" und Thomas Campanellas "Sonnenstaat"
steht. Obwohl im März 1933, also nach seiner Verhaftung,
verfaßt, wurde die Authentizität der darin geäußerten
Ansichten von den Kennern des Florenskijschen Werks nicht in
Zweifel gezogen. Der ideale "Staat der Zukunft", wie
ihn Florenskij sieht, wird eine perfekt organisierte und kontrollierte,
nach Außen abgeschottete totalitäre Diktatur sein.
Er wird von seinen Untertanen Ergebenheit, Unterordnung und den
Dienst am "Ganzen" fordern und dafür sorgen, daß
die Bestrebungen und Bedürfnisse des "neuen Menschen"
mit denen der Gesamtheit übereinstimmen. Individuelle Grund-
und Menschenrechte werden damit obsolet. An der Spitze des Staates
wird ein Führer stehen, den Florenskij als genialen und
charismatischen, nur sich selbst verantwortlichen Willensmenschen
zeichnet.
Florenkijs 'mittelalterliches' Weltbild ist skurril - wenn er
das geozentrische Weltbild verteidigt oder die Grenze zwischen
Himmel und Erde berechnet; es ist ärgerlich - wenn er die
westliche Malerei oder die Philosophie Kants schmäht; und
es ist gefährlich - wenn er den universellen Feind bestimmt
und eine totalitäre Gesellschaftsordnung entwirft. Wie recht
hatte doch Nikolaj Berdjaev, der schrieb: "Florenskij und
seine geistige Struktur hatten etwas Treibhausartiges, Stickiges,
es fehlte die frische Luft." Taja Gut nannte Florenskij
einen "der lichtvollsten Repräsentanten des russischen
Geisteslebens" - ich halte ihn für einen Obskuranten.
editionen
texte zu florenskij
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