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michael hagemeister. florenskij rezeption

michael hagemeister

zur deutschsprachigen rezeption

pavel florenskijs

 

 

 

 

 

 

 

 


"Es gibt Menschen, deren Name von früh an von Legenden umgeben ist. Sie werden selbst zu einer Legende und gehen so in die Geschichte ein. Pavel Aleksandrovic Florenskij gehört zu ihnen." (Sergej Volkov)

Nähert man sich Pavel Florenskij und seinem Werk auf dem Weg der Sekundärliteratur, so trifft man allenthalben auf hymnische Preisungen und Superlative: ein "Universalgenie" sei er gewesen, ein "Pascal unserer Zeit", ein "russischer Leibniz", ein "Leonardo da Vinci des 20. Jahrhunderts"; Florenskijs vielfältige Begabungen und tiefgründende Gelehrtheit werden als "überwältigend" und "einschüchternd" beschrieben. Taja Gut nennt ihn gar einen "der lichtvollsten Repräsentanten des russischen Geisteslebens" und Stephen Cassedy "one of the most wide-ranging intellectuals of all time". Hinzu kommt der Nimbus eines "Märtyrers der orthodoxen Kirche", die Aufnahme in den Kanon der heiligen Neumärtyrer und Bekenner.
Worauf gründet sich diese kaum noch zu überbietende Hochschätzung? Beruht sie auf einer umfassenden und gründlichen Kenntnis? Wie ist es um die Verbreitung und Rezeption von Florenskijs Werken bestellt? Was ist unklar, strittig, wo gibt es Bedarf an Forschung und Diskussion? Beginnen möchte ich mit einem kurzen Rückblick auf die Rezeption Florenskijs im deutschsprachigen Raum.
Die Beschäftigung mit Florenskijs Werk fand in Deutschland in zwei Phasen statt. Die erste Phase ist kurz und beginnt in der Mitte der zwanziger Jahre. Damals gaben der Heidelberger Philosoph Nicolai von Bubnoff und sein Kollege, der protestantische Theologe Hans Ehrenberg, die zweibändige Anthologie "Östliches Christentum" heraus, deren zweiter 1925 erschienener Band "Philosophie" lange Auszüge aus allen 12 Briefen von Florenskijs "Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit" enthielt, insgesamt mehr als 160 Seiten. Im Jahr darauf erschienen erheblich erweiterte und kommentierte Auszüge aus dem 10. Brief ("Sophia") in der Übersetzung des Dichters Lev Kobylinskij-llis, der vom Marxismus über die Anthroposophie zu einem romantischen Katholizismus gelangt war. Es waren dies die ersten - und für ein halbes Jahrhundert einzigen - Übersetzungen aus Florenskijs theologischem opus magnum in eine andere Sprache.
Die Publikationen fielen in eine Zeit, da die deutsche Zivilisationskritik sehnsüchtig nach Rußland blickte und im russischen Seelenmenschen und seiner mystischen Spiritualität das Andere zum Westen zu erkennen glaubte. Bubnoff benennt denn auch dieses Andere, wenn er in seinem "Begleitwort" als "Grundmotive des russischen Denkens" hervorhebt: "Antirationalismus, Realismus (Ontologismus) und Drang nach Totalität". Bei Florenskij, so Bubnoff, komme "der antirationalistische (nicht irrationalistische) Zug des russischen Denkens" vor allem als Nachweis der "Antinomienhaftigkeit des religiösen Bewußtseins" zur Geltung. Kobylinskij-llis sieht Florenskijs Bedeutung vor allem darin, daß dieser aus der geheimnisvollen "Urquelle" jener "tief-esoterischen und visionär-kontemplativen Weisheit" schöpfe, "welche ihren pneumatischen und taumaturgischen Mittelpunkt" im "Starzentum" besitze.
Obwohl Florenskijs theologisches Hauptwerk bereits ein Jahrzehnt nach seinem Erscheinen in langen Auszügen auf deutsch vorlag, blieb es so gut wie unbeachtet. Dabei war das Interesse an russischem Denken in Deutschland stets lebendig. Bereits 1914 erschien der erste Band "Ausgewählter Werke" von Vladimir Solov'ëv und seit den zwanziger Jahren wurde Nikolaj Berdjaev kontinuierlich ins Deutsche übersetzt, darunter alle großen Arbeiten, ebenso die wichtigsten Werke von Lev ·estov. Hinzu kamen Übersetzungen von Sergij Bulgakov, Semen Frank, Nikolaj Losskij, Vasilij Rozanov und vielen anderen. Allein Florenskij war nie darunter.
Als Helmut Dahm 1979 eine fast 600-seitige, reich kommentierte Anthologie "Grundzüge russischen Denkens" vorlegte, erwähnte er Florenskij nur am Rande. Und noch 1984 hatte Wilhelm Goerdt von den 768 Seiten seines Buches "Russische Philosophie", das bis heute als Standardwerk gilt, nur knapp zwei Seiten für Florenskij übrig, auf denen man kaum mehr als ein paar dürre biographische Daten findet. Goerdt nannte allerdings auch den Grund für diese Zurückhaltung: Vom "Standpunkt und Erkenntnisstand heutiger westlicher Philosophie" wäre die Frage, ob Florenskij als "theologisch-spekulativer Denker ... in den Zusammenhang russischer Philosophie überhaupt einzuordnen" sei, "leicht zu beantworten - nämlich mit einem klaren 'Nein!'"
Eine Wende zeichnete sich erst um die Mitte der achtziger Jahre ab. Sie scheint zumindest teilweise durch den hundertsten Geburtstag Florenskijs ausgelöst worden zu sein. Dieser war auch in der Sowjetunion begangen worden und hatte in der kirchlichen Presse eine Reihe beachtlicher Veröffentlichungen zu Florenskijs Leben und Werk hervorgebracht. In Deutschland waren es zunächst ausschließlich Theologen, die auf Florenskij aufmerksam machten. 1982 wurden am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom zwei umfangreiche Studien vorgelegt: Michael Silberers Arbeit über Florenskijs Trinitätslehre und Robert Slesinskis bis heute unübertroffene Einführung in Florenskijs Philosophie und Theologie auf der Grundlage des "Pfeiler und Grundfeste der Wahrheit", die beide 1984 veröffentlicht wurden.
Die folgenden Jahre sahen dann geradezu einen 'Boom' an Florenskij-Publikationen, hervorgerufen vor allem durch die Perestrojka in der Sowjetunion. Sie ermöglichte und förderte die Wiederentdeckung und Rehabilitierung der russischen idealistischen und religiösen Philosophie und ihrer Vertreter und machte damit weite bis dahin tabuisierte Bereiche der Geschichte der "vaterländischen Philosophie" einer freien Erforschung und öffentlichen Diskussion zugänglich. Gleichzeitig riefen die in der Sowjetunion stattfindenden Reformen im Westen - und ganz besonders in Deutschland - ein gesteigertes Interesse für alles Russische hervor. Dies betraf nicht nur die Politik, sondern insbesondere auch das Geistesleben. Russische Spiritualität, verkörpert in Ikonen, geistlichen Gesängen und Heiligenleben, wurde ebenso (wieder)entdeckt wie die russische religiöse Philosophie, um deren Einführung in den "europäischen Dialog" sich zahlreiche Tagungen bemühten. Herausragend war hier das Internationale Symposium über Florenskij und die Kultur seiner Zeit, das im Januar 1988 auf Initiative von Nina Kauchtschischwili in Bergamo erstmals westliche und russische Forscher versammelte.
Die weiteren Forschungen und Publikationen fielen dann mit der durch die Perestrojka ermöglichten (und mit kleineren Texten lange vorbereiteten) Freigabe des Werkes in Rußland zusammen. Seit 1988 sind mehrere Werke Florenskijs vollständig auf deutsch erschienen, darunter "Meinen Kindern", die Erinnerungen an die Kindheit und Jugend im Kaukasus, Aufsätze zur Kunst, einmal unter dem Titel "Die umgekehrte Perspektive", sowie die einflußreiche Untersuchung zur Theologie der Ikone "Die Ikonostase", "Das Salz der Erde", einer Sammlung mit theologischen Arbeiten und eine zweibändige Biographie in Form von Selbstzeugnissen und Bilddokumenten "Leben und Denken". Hinzu kommen schließlich das Lesebuch "An den Wasserscheiden des Denkens", sowie die ersten Bände einer auf zehn thematische Lieferungen angelegten repräsentativen Werkauswahl (s. Editionsplan). Aus dem umfangreichen Briefwechsel liegt bisher die Korrespondenz mit Andrej Belyj vor.
Somit liegt ein Gutteil des Werkes von Pavel Florenskij inzwischen in deutschen Übersetzungen vor, von denen die meisten sich dem Engagement von Fritz und Sieglinde Mierau verdanken, und bieten, mit den Worten von Wolfgang Schlott, alle Voraussetzungen dafür, daß "nun endlich die komplexe Auseinandersetzung mit einem großen Denker und Metaphysiker beginnen kann." Wie aber steht es darum?
Von einer breiten Rezeption Florenskijs oder gar einer "komplexe[n] Auseinandersetzung" kann allen Voraussetzungen und Erwartungen zum Trotz keine Rede sein. Florenskijs Werke erscheinen in kleinen Verlagen, unterstützt von einer Schar hingebungsvoller Enthusiasten, bei denen, so der Slavist Felix Philipp Ingold, der russische Denker den "Status einer vom doppelten Nimbus des Märtyrers und des Genies geadelten ,Kultfigur'" genieße. Der Philosoph Peter Ehlen, einer der wenigen profunden Kenner der russischen Geistesgeschichte, zeigte sich denn auch "ein wenig erstaunt" über das Interesse, das Florenskij seit einigen Jahren in Deutschland entgegengebracht werde und äußerte die Vermutung, daß der Grund dafür nicht zuletzt in seiner Persönlichkeit und seinem tragischen Schicksal liege. Die Rezensenten in der Tagespresse heben - oftmals irritiert - vor allem das Erratische, Unzeitgemäße, Archaisierende, bisweilen auch Skurrile an Florenskij hervor: Immer wieder ist die Rede von "grandioser Weltfremdheit", von einer "befremdenden, andersartigen Sichtweise der Dinge", von "abenteuerlichen Spekulationen" oder von der "Wasserscheide zwischen östlichem und westlichem Denken". Mal ist Florenskij ein Traditionalist, mal ein "Postmoderner avant la lettre", mal ein "russischer Don Camillo"; ein Rezensent sah auf einem Photo Florenskijs gar "einen in eine Kutte gehüllten Neandertaler". Zwar gibt es mittlerweile eine - freilich kleine - Anzahl solider wissenschaftlicher Studien zu einzelnen Aspekten von Florenskijs Werk - zur Ästhetik, zur Sprachtheorie, zur Rationalitätsauffassung und zur (offensichtlich weit überschätzten) geistigen Verwandtschaft mit Goethe -, doch können diese nicht verdecken, daß Florenskijs Ideen in der wissenschaftlichen Welt so gut wie keine Resonanz gefunden haben.
Welches könnten die Gründe sein, die einer breiten Rezeption Florenskijs in Deutschland oder auch im Westen entgegenstehen? Ich denke, es ist seine im höchsten Maße fremdartige Weltanschauung, seine dezidiert antimoderne - und das heißt für Florenskij wie für seine Nachfolger - dezidiert antiwestliche Haltung. Gerade dies fasziniert seine Anhänger, steht aber zugleich seiner Aufnahme in die gänzlich anders geprägten westlichen Wissenschaftsdiskurse entgegen.
Florenskij charakterisierte sich selbst als einen mittelalterlichen Menschen: Er bewunderte das geschlossene und hierarchische Weltbild des Mittelalters und bekannte sich ausdrücklich zu ihm. Den Typus der mittelalterlichen Kultur sah Florenskij gekennzeichnet durch Objektivität, Kollektivismus, Konkretheit, Ganzheitlichkeit, synthetische Schau und Realismus. Im Gegensatz dazu stehe der Typus der westlichen Renaissance-Kultur. Seine Merkmale seien Subjektivität, Individualismus, Abstraktheit, Analytik, Sensualismus und Illusionismus, Zersplitterung, Atomisierung und schließlich Nihilismus und Selbstzerstörung. Renaissance und Humanismus markieren für Florenskij den Zerfall der göttlichen Ordnung des Universums und damit den Sündenfall der abendländischen Kultur.
Das "Weltempfinden der Renaissance" stelle, so Florenskij, den Menschen "in eine ontologische Leere" und verurteile ihn damit zu Passivität: "... in dieser Passivität zersetzt sich das Bild der Welt ebenso wie der Mensch selbst, sie zerfallen in sich ausschließende Augenblicks-Punkte. Das ist die eigentliche Wirkung dieses Weltempfindens." Florenskij war indessen überzeugt, daß die "entseelte Zivilisation" der Neuzeit sich erschöpft habe und der Tag nahe sei, da der versklavte Mensch "das Joch der Renaissancezivilisation abwerfen" und ein neues Mittelalter, d.h. eine neue ganzheitliche Kultur, anbrechen werde. Ein Vorbild dieser "Kultur des anderen Typus", deren "erste Keime" bereits "zu beobachten" seien, werde Rußland sein; er aber, so Florenskij, sehe "seine Lebensaufgabe darin, Wege zu bahnen zu einer künftigen ganzheitlichen Weltanschauung".
Der Gegensatz zwischen einer ganzheitlich-objektiven Weltauffassung und der für den Westen seit der Renaissance charakteristischen subjektiv-partikularen und analytischen Weltsicht findet seinen exemplarischen Ausdruck in den Lehren Platons und Kants. Florenskij war Platoniker und ein leidenschaftlicher Kritiker Kants. Platons Philosophie, die noch in einem magisch-religiösen Weltverständnis wurzele, bezeichnete Florenskij als Realismus, da sie dem Menschen zeige, wie er am Sein der Ideen als dem eigentlich Realen teilhaben könne. Kant hingegen, den Florenskij als "Pfeiler der widergöttlichen Bosheit" schmäht, stelle die autonome Vernunft des Menschen in den Mittelpunkt, indem er verkünde, daß "nicht die Wahrheit unser Bewußtsein, sondern das Bewußtsein die Wahrheit bestimmt". Heftige Ausfälle gegen Kant durchziehen Florenskijs gesamtes philosophisches Werk. So heißt es in einer Vorlesung über "Kult und Philosophie" im Mai 1918: "Es gibt kein System, das mehr von hinterlistiger Glätte wäre, ,heuchlerischer' und ,verschlagener' als die Philosophie Kants. ... Sie ist ganz und gar gesponnen ... aus geheimnisvollem Lächeln und doppeldeutigen Windungen zwischen ja und nein. Kein einziger Begriff gibt ihr einen klaren Ton, sondern alles ist Geheul. Das Kantsche System ist in der Tat genial, sogar das genialste, das es je gab, gibt und geben wird ... in bezug auf die Hinterlist. Kant ist ein Ausbund an Verschlagenheit."
1922 veröffentlichte Florenskij sein Buch "Imaginäre Größen in der Geometrie". Darin unternahm er - anscheinend allen Ernstes - den Versuch, die geozentrische Weltsicht des Mittelalters, wie Dante sie in der "Göttlichen Komödie" zeichnet, mit Hilfe der Relativitätstheorie zu rehabilitieren. Das Relativitätsprinzip zeige, so Florenskij, daß die ptolemäische Weltsicht, welche die Erde in den Mittelpunkt des Weltalls stellt, wahr sei, das kopernikanische System der Neuzeit dagegen falsch. "Ptolemäisch" ist auch die "natürliche" Weltsicht der Kinder. Sie eröffne, so Florenskij, den Weg zu objektiver Erkenntnis. Dank ihrer unmittelbaren Empfänglichkeit könne die "kindliche Wahrnehmung die Zersplitterung der Welt von innen her überwinden". Alle Forschung und Theorie werde unaufhörlich gespeist aus den Intuitionen der Kindheit. Kein Schritt sei gedeihlich ohne die Rückannäherung an die ewig lebendige Kindheit, an die objektive Wahrnehmung der Welt. Er habe, schreibt Florenskij, das Relativitätsprinzip sofort akzeptiert, ohne eingehendes Studium, "einfach deshalb, weil es der schwache Versuch war, ein anderes Weltverständnis auf den Begriff zu bringen. Das allgemeine Relativitätsprinzip ist gewissermaßen mein Märchen von der Welt, wenn auch verkürzt und vereinfacht." Die "Grenze zwischen Himmel und Erde" lasse sich, so Florenskij, genau berechnen: Sie liege zwischen den Umlaufbahnen von Uranos und Neptun. Ein "verblüffendes Ergebnis", wie er selbst sagt, denn es beweise, daß die Grenze der Welt genau dort verlaufe, wo man sie schon im tiefsten Altertum angesetzt habe. Schließlich präsentiert Florenskij noch einen mathematisch-physikalischen "Nachweis" der platonischen Ideen: An der Grenze zwischen Himmel und Erde erreiche die Bewegung eines Körpers Lichtgeschwindigkeit. Gemäß der 1. Lorentzschen Gleichung werde seine Ausdehnung gleich Null, seine Masse und die von außen beobachtete Zeit hingegen unendlich; der Körper verliere somit die Attribute seiner irdischen Existenz, er gehe in die Ewigkeit über und gewinne absolute Stabilität - das aber seien die Merkmale der platonischen Ideen.
Nichts ist wohl besser geeignet, Florenskijs Kritik am Weltbild der Renaissance zu illustrieren, als seine Ausführungen zur Sakralmalerei. Mit besonderer Vehemenz verdammt Florenskij die Zentralperspektive, wie sie seit der Renaissance in der westlichen Kunst vorherrscht. Ihr stellt Florenskij die Kunst des Mittelalters gegenüber, die die illusionistische Darstellung keineswegs aus Naivität verschmäht habe, sondern weil man in einem platonischen Sinn eine "wahre Wirklichkeit", die "ideale Welt", habe zum Ausdruck bringen wollen.
Nach alldem ist es nur konsequent, daß Florenskij in seiner Sprachphilosophie einen radikalen Realismus vertritt und den neuzeitlichen Nominalismus scharf bekämpft. Florenskijs Arbeiten zur Mystik und Magie des Wortes hängen eng mit dem "imjaslavie" zusammen, wie die Bestimmung des Verhältnisses von Namen, Wesen und Wirken zeigt: Worte, Namen sind nicht - wie der Nominalismus annimmt - bloße konventionelle Bezeichnungen, sondern sie sind Symbole, Offenbarungen der höheren, verdichteten Realität des Wesens - wodurch sie mystische Erfahrungen ermöglichen -, und Ausdruck seiner Wirkkraft. Im Namen wirkt das Genannte selber, sofern dessen Energie in ihm vorhanden ist; das "wirkende Wort" besitzt magische Kraft (man denke etwa an die Wirkung von Beschwörungsformeln und Zaubersprüchen oder an die Vorstellung eines "Gotteszwangs"). Florenskij war auch überzeugt, daß die im Vornamen eines Menschen enthaltenen allgemeinen Wesensmerkmale ihren Träger prägen.
Florenskij betrachtete die Geschichte im eschatologischen Horizont als Kampf zwischen Logos und Chaos oder, wie Abt Andronik (Trubaev) erläutert, als "Kampf zwischen Christus und dem Antichrist". Kultur, definiert Florenskij, sei "der bewußte Kampf gegen die weltweite Nivellierung", gegen Gleichheit und Tod. Wer aber sind die Kräfte des Chaos, der Nivellierung, der Gleichheit und des Todes, wer sind die Verbündeten des Antichrist? Es sind jene, die sich gegen die göttliche Ordnung und ihren Garanten auf Erden, den Selbstherrscher, auflehnen, indem sie die Autonomie des Einzelnen und die Gleichheit aller predigen und Demokratie und Menschenrechte an die Stelle von Gottesgnadentum und Gehorsam setzen. Und sie haben einen Namen: Es sind die Juden. Der historische Agent des Antichrist ist das Judentum. Wurzellos, materialistisch und diesseitsorientiert, verführt es die Menschen durch seinen Anspruch auf Selbsterlösung und Selbstvergottung. Renaissance, Humanismus, Aufklärung und Liberalismus markieren die Etappen seines Fortschreitens in der Geschichte.
Doch zeichnet sich bereits eine neue ganzheitliche Kultur ab. Ihre Züge entwirft Florenskij in seiner Schrift "Mutmaßlicher Staatsaufbau in der Zukunft", einer etatistischen, antiindividualistischen Sozialutopie, die in der autoritären Utopietradition von Platons "Politeia" und Thomas Campanellas "Sonnenstaat" steht. Obwohl im März 1933, also nach seiner Verhaftung, verfaßt, wurde die Authentizität der darin geäußerten Ansichten von den Kennern des Florenskijschen Werks nicht in Zweifel gezogen. Der ideale "Staat der Zukunft", wie ihn Florenskij sieht, wird eine perfekt organisierte und kontrollierte, nach Außen abgeschottete totalitäre Diktatur sein. Er wird von seinen Untertanen Ergebenheit, Unterordnung und den Dienst am "Ganzen" fordern und dafür sorgen, daß die Bestrebungen und Bedürfnisse des "neuen Menschen" mit denen der Gesamtheit übereinstimmen. Individuelle Grund- und Menschenrechte werden damit obsolet. An der Spitze des Staates wird ein Führer stehen, den Florenskij als genialen und charismatischen, nur sich selbst verantwortlichen Willensmenschen zeichnet.
Florenkijs 'mittelalterliches' Weltbild ist skurril - wenn er das geozentrische Weltbild verteidigt oder die Grenze zwischen Himmel und Erde berechnet; es ist ärgerlich - wenn er die westliche Malerei oder die Philosophie Kants schmäht; und es ist gefährlich - wenn er den universellen Feind bestimmt und eine totalitäre Gesellschaftsordnung entwirft. Wie recht hatte doch Nikolaj Berdjaev, der schrieb: "Florenskij und seine geistige Struktur hatten etwas Treibhausartiges, Stickiges, es fehlte die frische Luft." Taja Gut nannte Florenskij einen "der lichtvollsten Repräsentanten des russischen Geisteslebens" - ich halte ihn für einen Obskuranten.

 

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