Das Phänomen des "Reisekönigtums", des steten Umherziehens des Herrschers im "Reich ohne Hauptstadt", so der vielzitierte Satz von Wilhelm Berges, bedingt eine dieser speziellen Form der Herrschaftspraxis angepaßten geschichtswissenschaftlichen Zugriff, denn nicht unbedingt müssen Personen, Zeit oder Weg im Zentrum des Interesses stehen. Neben einem Forschungsansatz, der historische Landschaften – wie Reiche oder Regionen, Kirchenprovinzen oder einzelne Bistümer, Herzogtümer oder Grafschaften – in den Blick nimmt, ist die Behandlung einzelner Orte seit jeher eine der Landesgeschichte vertraute Thematik. Diese greift das "Repertorium der deutschen Königspfalzen" im Prinzip auf, jedoch beschränkt es sie einerseits und andererseits erweitert es sie, denn es werden nur die Stätten behandelt, die der Monarch zum Zweck der Herrschaftsausübung besucht hat. Dies hat eine Konzentration auf das Königtum zur Folge, die manchen Aspekt landeskundlicher Geschichtsforschung ausklammert. Jedoch wird mittels der dem Repertorium zugrundeliegenden Methode die Vergleichbarkeit der Orte untereinander möglich. Ziel des Vorhabens ist es, regional geordnet sämtliche Herrscheraufenthalte bis etwa 1250/54 im Gebiete der heutigen Bundesrepublik zu erfassen. Der Begriff "Königspfalzen" trägt der Tatsache Rechnung, daß die ostfränkisch/deutschen Herrscher stets als König, nicht immer aber als Kaiser tituliert werden können. Zudem legitimierten sie ihre Herrschaft im nordalpinen Reich über das Königtum, nicht über den Kaisertitel.
Walter Schlesinger, Merseburg – Versuch eines Modells künftiger Pfalzbearbeitungen. In: Adolf Gauert (Hg.), Deutsche Königspfalzen 1 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 11/1) Göttingen 1963, S. 158-206. Adolf Gauert, Zur Struktur und Topographie der Königspfalzen In: Ders. (Hg.), Deutsche Königspfalzen 2 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 11/2) Göttingen 1965, S. 1-60. Franz Staab (Hg.), Die Pfalz. Probleme einer Begriffsgeschichte vom Kaiserpalast auf dem Palatin bis zum heutigen Regierungsbezirk (Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 81) Speyer 1990. Lutz Fenske, In: Mitteilungen der Residenzenkommission, Jg. 1 (1991). Caspar Ehlers, Le Répertoire des palais royaux allemands. In: Mission Historique Française en Allemagne, Bulletin 34 (1998), S. 79-89. Ders. (Hg.), Orte der Herrschaft. Mittelalterliche Königspfalzen. Göttingen 2002. Thomas Zotz, Vorbemerkungen zum "Repertorium der deutschen Königspfalzen". In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 11 (1982), S. 177-203. Vgl. demnächst auch: Ders., Palais royaux, cours, résidences, im Sammelband zum Kolloquium des CNRS und des Max-Planck-Instituts für Geschichte: "Les tendances recentes de l'histoire du Moyen Âge en Allemagne", das im November 1997 in Shvres bei Paris stattfand.Mit der Gründung des Göttinger Max-Planck-Instituts für Geschichte im Jahre 1956 ist der Beginn der systematischen Pfalzenforschung verbunden. Wilhelm Berges und Walter Schlesinger planten 1956 am Rande des Historikertages in Ulm ein derartiges Forschungsvorhaben, das Hermann Heimpel, Direktor des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 1957/58 aufgriff. Schlesinger schuf in seinem 1963 veröffentlichten Aufsatz zu Merseburg die methodischen Grundlagen, indem er auf die mit dem Terminus "palatium" verbundenen terminologischen Unsicherheiten und Schwierigkeiten hinwies und Ansätze zu deren Lösung lieferte. Dieser Beitrag erschien in dem ersten von mittlerweile vier Sammelbänden zur Pfalzenforschung, deren das "Repertorium der deutschen Königspfalzen" vorbereitende Studien meist aus Kolloquien zu Einzelfragen des Projektes hervorgingen, aber auch die internationale Dimension der Pfalzen- und Itinerarforschung beleuchten. Josef Fleckenstein übernahm das Pfalzenprojekt als mediävistisches Forschungsvorhaben des Max-Planck-Instituts für Geschichte, wo es zunächst Adolf Gauert, dann Thomas Zotz, Lutz Fenske und mittlerweile Caspar Ehlers betreuen. Nach umfangreichen Vorarbeiten erschien 1983 die erste Lieferung des auf mehrere Bände angelegten Gesamtwerkes. Der Historiker kann das Schicksal eines Ortes von den ersten Spuren menschlicher Besiedlung über seine Funktion als königliche Aufenthaltsstätte hinaus bis zum Ende des Mittelalters verfolgen. Wie ein Querschnitt durch die aus einer gewissen Perspektive linear erscheinende Achse der Ereignisgeschichte treten so Könige und der sie umgebende Personenkreis in das Licht der Betrachtung und verlassen es wieder. Sie handeln nicht nur in einem historischen Kontext sondern auch in einem topographischen Umfeld, denn die Bedingungen des Ortes wirken gleichfalls auf ihr Tun. Spezielle Patrozinien beeinflussen die Wahl des Besuchstermins ebenso wie die Ausübung kultischer und ritueller Handlungen, etwa an den Gräbern der Vorfahren oder Vorgänger. Nicht immer also sind politische Motive ausschlaggebend für die Gestaltung des königlichen Reiseweges, wenn sie auch überwiegend das Itinerar bestimmt zu haben scheinen. Seit über einem Jahrhundert werden in der deutschsprachigen Mediävistik die "Regesta Imperii" bearbeitet und zu Rate gezogen, die beginnend mit der frühen Karolingerzeit die Handlungen und die (daraus resultierende) Reiseroute der Herrscher in chronologischer Folge dokumentieren. Im Gegensatz dazu beschreitet das "Repertorium" einen anderen Weg, wenn es nicht die Zeit, sondern den Ort zum Kriterium erhebt. Wird das mittelalterliche Reisekönigtum aus dem Blickwinkel der aufgesuchten Stätten betrachtet, lösen sich die Ereignisse aus ihrem geschichtlich-chronologischen Kontext und werden in einen Zusammenhang gebracht, der neue Perspektiven eröffnet. Es lassen sich spezielle Gewohnheiten einzelner Herrscher erkennen, etwa durch die Jahreszeiten oder das Kirchenjahr beeinflußte Aufenthaltsmuster, man denke nur an Pöhlde als "Weihnachtspfalz" Heinrichs II. (zehnmal feierte er das Geburtsfest Christi in der sächsischen Pfalz am Südrand des Harzes). Weniger deutlich zutage treten dynastische oder sogar individuelle Gepflogenheiten, etwa das überdurchschnittlich häufige Aufsuchen des Ortes an bestimmten Jahrtagen des Todes von Familienangehörigen (Heinrich IV. am 15. Februar, dem Todestag seiner Mutter, in Speyer) oder speziellen Heiligentagen. Im Repertorium werden jedoch nicht nur Königspfalzen im engeren Sinne bearbeitet, beispielsweise Goslar oder Gelnhausen, sondern auch Königshöfe (wie Thangelstedt in Thüringen) oder Herzogs- und Bischofspfalzen (etwa Braunschweig, Speyer) in denen der mittelalterliche Herrscher Aufenthalt genommen hat. Es wird die terminologische Vielfalt der mittelalterlichen Zeugnisse deutlich: vicus, villa, urbs, oppidum, civitas oder curtis für die Siedlung, villa, palatium, civitas, curtis oder curia auf den Ort des Aufenthaltes bezogen. Hinzu können kennzeichnende Beiworte treten: imperialis, regalis oder regni, episcopalis, (archi-)episcopi und dergleichen mehr. Nicht nur die Termini für denselben Ort können sich ändern oder je nach Eigenheiten der Quelle Schwankungen unterliegen, sondern auch die Bedeutungen ein und desselben Begriffs: "Palatium" kann neben dem palastartigen Gebäude durchaus die Institution, also den Hof des Königs meinen, ähnliches gilt für "Curia" als Bezeichnung einer Örtlichkeit (Königshof) oder einer Institution (Hoftag). Breiten Raum nimmt selbstverständlich die Untersuchung des Ortes und der Ereignisse der Herrscheraufenthalte ein: Topographie und Baugeschichte der Gebäude sowie deren Ausstattung stehen im Mittelpunkt dieses archäologisch sowie architektur- und kunsthistorisch orientierten Abschnittes. Die bauliche Beschaffenheit des Aufenthaltsortes erlaubt beispielsweise Rückschlüsse auf dessen Bedeutung, denn es muß stets im Sinn behalten werden, daß ein solcher Ort, sofern er nicht einer anderen Institution als dem König diente, nur dann in Gebrauch war, wenn sich der Herrscher dort aufgehalten hat. Dies bedeutet, daß auch in den Zeiten seiner Abwesenheit die Gebäude gepflegt und instandgehalten werden mußten, was einen finanziellen und personellen Aufwand erfordert hat, über den uns aus dem früheren Mittelalter wenig Quellen vorliegen. Das Verhältnis von Königtum und Pfalzort wird anhand der schriftlichen Überlieferung aufgezeigt. Jeder einzelne Aufenthalt wird dargestellt, indem Quellen über eine Anwesenheit des Königs oder Kaisers nicht nur angegeben sondern zitiert werden. So ist jeder nachweisbare Besuch umfassend dokumentiert und der Benutzer des Repertoriums verfügt über nahezu alle auf den Ort bezogenen, erzählenden wie normativen Quellen. Die Ereignisse werden in knapper Form zusammengefaßt und die in Berichten und Urkunden genannten Anwesenden aufgelistet. Letzteres erlaubt, den um den Regenten gescharten Personenkreis zu identifizieren und auszuwerten. Im Verlauf des Mittelalters sind Wandlungen in der Itinerarplanung zu beobachten. Abgesehen davon, daß es Kernlande der Königsherrschaft gab, die sich von Dynastie zu Dynastie, manchmal sogar von einem zum nächsten Herrscher aus dem selben Hause, verschieben konnten, änderten sich auch die Schauplätze der großen Versammlungen und kirchlichen Festfeiern. Waren die späten Karolinger bis hin zu Konrad I., dem ersten nichtkarolingischen König des ostfränkischen Reiches, zumeist im Westen unterwegs, so erhielt Sachsen den Status einer Kernlandschaft unter den Ottonen, was an deren Herkunft aus dieser Region lag. Die Salier versuchten hingegen, neben ihren rheinfränkischen Stammlanden (dem Gebiet um Speyer und Worms) auch den sächsischen Raum in ihr Reisekönigtum zu integrieren, was unter Heinrich III. in Goslar seinen bekanntesten Höhepunkt und unter Heinrich IV. mit den Sachsenaufständen im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts sein spektakuläres Ende fand. Den Staufern schließlich gelang es zunächst, auch den Norden einzubeziehen, doch sind die Konflikte zwischen Barbarossa und Heinrich dem Löwen ein Indikator für weiterhin schwelende Konflikte innerhalb des Reiches. Heinrich VI. und Friedrich II. schließlich waren nur noch sporadisch nördlich ihrer schwäbischen Stammlande anzutreffen, eine politische Schwerpunktverschiebung nach Süden bis nach Italien hatte ihr Itinerar entscheidend geprägt. In die staufische Zeit fiel auch die Entwicklung hin zur Hausmachtpolitik, die unter Rudolf von Habsburg, mit dessen Wahl 1272 das Interregnum zu Ende ging, ein entscheidender Faktor königlicher Politik wurde. Die Bedeutung des Pfalzortes innerhalb seiner Region wird selbstverständlich auch an Ereignissen in Abwesenheit des Königs deutlich. Daher sind in gleicher Weise wichtige Vorgänge zu dokumentieren, die ohne den Herrscher stattfanden und gleichwohl von historischer Bedeutung sind. Hierzu zählen Besuche von königlichen Familienmitgliedern, von Thronprätendenten oder Gegenkönigen, Fürstenversammlungen oder Landtage. Manche Königspfalz hatte neben einer Funktion für das Reich auch eine regionale inne. Hier ist die Pfalz Werla südlich von Braunschweig an der Oker zu nennen, die ein traditioneller Versammlungsort im östlichen Herzogtum Sachsen war. Königliche Grablegen finden sich meist in Orten, die im Itinerar eine Rolle spielen. Augenfällig natürlich, wenn sie in Domkirchen (wie Magdeburg, Bamberg oder Speyer) sind oder in der bedeutenden Pfalz Aachen (Karl der Große und Otto III.). Doch auch die Klöster mit Herrschergräbern (ostfränkische Karolinger in Lorsch, Konrad I. in Fulda, Damen der ottonischen und salischen Familien in Quedlinburg) haben Rang im Reiseweg und beeinflussen die königlichen Besuchsgewohnheiten, wie die Untersuchung des Itinerars auf Jahrtagsfeiern hin zeigt. Daher ist stets eine eventuelle Grablege und die eingerichtete geistliche Totensorge zu würdigen; in diesen Zusammenhang gehört auch die Untersuchung von kirchlichen Funktionen und Handlungen des Monarchen, wie etwa Gebetsverbrüderungen, Königskanonikat oder Memorialstiftungen. |