Inschriftenkatalog: Stadt Worms
Katalogartikel in chronologischer Reihenfolge.
DI 29: Worms (1991)
Nr. 29† Dom, innen E.12. Jh.
Beschreibung
Stifterinschrift der Königin Constanze und Meisterinschrift des Nikolaus von Verdun auf einem Reliquienbehälter(?) mit Votivstatuen. 1660 noch in der Schatzkammer des Domes. Zwei Sitzstatuen, die zusammen mit ihrem Thron über zwei Fuß hoch waren, aus vergoldetem Silber, eine den Kirchenpatron Petrus, die andere die Königin Constanze darstellend, nämlich eine weibliche Sitzfigur mit ausgestreckter rechter Hand, die linke Hand vor die Brust gelegt; später wurde die Figur zu einer sitzenden Madonna, auf deren Knien der Christusknabe steht, umgearbeitet. Die Widmungsinschrift der Stifterin Constanze stand um den Thron herum (A), die Meisterinschrift auf einem Sockel (B).
Nach Hamann-Mac Lean aus Henschen und Papebroch.
Maße: H. über 60 cm.
Schriftart(en): Gotische Majuskel, früh?1)
- A
HOC REGINA TIBI CONSTANTIA CONFERO DONUM,IN COELIS UT TE VIDEAM NICOLAE PATRONUMET PIUS IN MISEROS, OLEI FOECUNDA FATETURa)HOC TUA TUMBA, DEUS PER TE MIHI PROPITIETUR.
- B
HOC OPUS FECIT NICOLAUS DE VERDA IMPERIO REGINAE CONSTANTIAE
Übersetzung:
Dieses Geschenk übergebe ich, Königin Constanze, dir, damit ich dich, Nikolaus, im Himmel als Fürsprecher sehe und Gott, der den Elenden wohl ist – das bezeugt dein reichlich Öl spendendes Grab –, durch dich mir versöhnlich gestimmt werde. – Dies Werk schuf Nikolaus von Verdun im Auftrag der Königin Constanze.2)
Textkritischer Apparat
- FERTETUR Arens.
Anmerkungen
- Bei Identifizierung des Meisters mit Nikolaus von Verdun, vgl. unten Anm. 4, aus dem Vergleich zu dessen Arbeiten etwa am Klosterneuburger Altar.
- Vornehmlich nach Hamann-Mac Lean.
- Hamann-Mac Lean 170ff. unter Hinweis auf andere auch nahezu lebensgroße Herrscherdarstellungen im Rhein-Maas-Gebiet.
- Ebd.; sowohl Verlesung aus VERDV mit in das V verlegtem Kürzungsstrich wie auch ein Schreibfehler sind möglich. Eine strenge Auslegung des Königintitels würde die Entstehungszeit auf 1186 bis 1190, also zwischen Heirat mit König Heinrich VI. und Kaiserkrönung einengen. Constanze von Aragon (1209-†1222), die Gattin Friedrichs II. und ein 1234 in Worms nachweisbarer Goldschmied namens Nikolaus, Boos UB II 724f. Nr. 172*, kommen nicht in Betracht.
- Schannat, Hist. ep. Worm. I 63.
- Das Umfeld der Inschrift und ihrer Entstehung vorzüglich von Hamann-Mac Lean aufbereitet.
Nachweise
- Gotfried Henschen und Daniel Papebroch, Tagebücher und Briefe (Originale im Besitz der Société des Bollandistes in Brüssel; Abschrift in Brüssel, Bibl. royale, Ms. 17671/72).
- Arens, Alte Reiseberichte 146 (aus unzulänglicher Abschrift).
- Brück, Nikolaus-Patrozinien 45.
- R. Hamann-Mac Lean, Über verschollene Goldschmiedearbeiten aus dem Wormser Domschatz im Lichte der neuesten Forschung über Nikolaus von Verdun, in: MZ 69 (1974) 169-179, bes. 169 (aus Originalberichten Henschen/Papebroch).
Zitierhinweis:
DI 29, Worms, Nr. 29† (Rüdiger Fuchs), in: www.inschriften.net, urn:nbn:de:0238-di029mz02k0002906.
Kommentar
Nach Aufzählung sonst bekannter und unbekannter Reliquien des Domes verzeichneten die beiden Jesuiten auffallend ausführlich und – so legen das die Korrekturen des Berichtes nahe – um höchste Genaugkeit bemüht ein Geschenk einer Königin Constanze, das aus zwei sitzenden Statuen bestand; die weibliche Figur stellte die Stifterin selbst dar und sollte in Form einer „Votivstatue“ und mit einer entsprechenden hexametrischen Spruchinschrift versehen die Heilsförderung des Reliquienschatzes, hier des hl. Nikolaus im besonderen, erwirken.3) Überzeugend wurde die zeitliche Einordnung an die Identifizierung der Personen mit Königin Constanze von Sizilien und dem Meister Nikolaus von Verdun, dessen Name sowohl verschrieben gewesen als auch verlesen sein konnte, geknüpft;4) nur in dieser Kombination sind mehrere Anforderungen zu erfüllen: Für das illustre Geschenk kam nur ein ausgewiesener Künstler in Frage; die Stifterin besaß über die Nikolaus-Verehrung im süditalienischen Bari und die Verbindung der Staufer zu Worms und insbesondere ihres Schwiegervaters Friedrich I. zur Nikolaus-Verehrung ebendort – man vergleiche seine Reverenz an den ölspendenden Finger des Heiligen 11635) – die erforderliche Prädisposition. Im übrigen ist der Renaissance des 12. Jahrhunderts die figürliche Darstellung eines lebenden Menschen auch in sakralem Umfeld zuzutrauen. Der Meister gehörte auch ausweislich seiner frühen Verwendung abgeschlossener, also gotisierender Buchstaben am Klosterneuburger Altar zu den innovationsfreudigen.
Die Kombination mit einer Petrusstatue drückte freilich nicht nur die Verehrung des Kirchenpatrons und damit Hausherrn der vermeintlichen Empfängerkirche aus, sie spielte vielleicht auch auf die sizilianische Lehensnahme vom Stuhle Petri an. Wenn man den Begriff TUMBA im engeren Sinne als Grab und nicht auch als Schrein versteht, liegt sogar die Möglichkeit nahe, daß das Kunstwerk ursprünglich für Bari geschaffen sein könnte, wie ja einzelne Kunstwerke des Rhein-Maas-Gebietes der Stauferzeit nach Italien gelangten.6)