30 Jahre Romanfabrik
Vor 30 Jahren gründeten der Ex-Meisterdieb Peter Zingler und die Autorin Doris Lerche im Ostend eine beispiellose Frankfurter Literatur-Institution: die Romanfabrik. Zum Jubiläum gibt es ein großes Programm.
Mit den Photographien an der Wand in der Küche lässt sich eine Zeitreise antreten. Zurück in die 80er Jahre. In Schwarz-Weiß und in Farbe. Da lacht ein junger Peter Zingler und hält eine jugendliche Doris Lerche im Arm. „1984 war ich schon Freigänger und durfte tagsüber aus dem Knast nach Frankfurt, da hab ich die Doris kennengelernt“, erinnert sich der heute 71-jährige Schriftsteller. Der Ex-Meisterdieb Zingler und die Cartoonistin und Autorin Lerche gründeten am 1. September 1985 im Ostend eine beispiellose Frankfurter Literatur-Institution: die Romanfabrik.
Zwölf Jahre seines Lebens hatte Zingler bis dahin im Gefängnis verbracht: Nach etwa 150 erfolgreichen „Brüchen“, immer nur Sachen vom Feinsten, Schmuck, Pelzmäntel, Luxusautos, vorzugsweise „teure Ami-Schlitten“. Im Knast hatte er zu schreiben begonnen, erotische Geschichten, die er erst an Mit-Häftlinge vertickte, dann aber an die Magazine verkaufte, die er kannte: „Playboy“ und „Penthouse“. Und die druckten sie. Es war der Beginn einer beispiellosen Karriere: Heute gehört der gebürtige Chemnitzer zu den erfolgreichsten deutschen Drehbuchautoren, 80 große Filme wurden nach seinem Skript gedreht, er ist Träger des renommierten Grimme-Preises.
1985 ahnte das noch keiner. Der Häftling wurde aus dem Knast entlassen, kam nach Frankfurt. Ein guter Freund, Dieter Engel, Besitzer des ältesten Frankfurter Bordells, des „Sudfass“ an der Oskar-von-Miller-Straße, sagte zu ihm: „Von diesem Schreiben kannst Du nicht leben – warum machst Du nicht ne Kneipe auf?“ Eines der Häuser, die Engel in der Stadt gehörten, war die Uhlandstraße 21, „sehr verfallen, eine halbe Ruine“ (Zingler).
Engel hatte sich der Stadt gegenüber verpflichten müssen, Wohnraum zu schaffen, weil er für das „Sudfass“ ein Wohngebäude zum Hotel umgenutzt hatte. So stellte er das Haus an der Uhlandstraße der Stadt zur Verfügung – und die wies Arme und Obdachlose ein. Im Keller dieses Gebäudes wurde eine Kneipe eingerichtet, die über eine winzige Bühne verfügte, gerade genug, um zwei Stühle und ein Mikrofon aufzubauen: Geboren war die „Romanfabrik“.
Unterstützung von Hilmar Hoffmann
In den ersten sechs Wochen, erinnert sich Zingler, besaß er keine Gaststätten-Konzession, so dass er für Speisen und Getränke kein Geld verlangen durfte: „Die Bude war jeden Abend gerammelt voll!“ Der erste Schriftsteller, der auf der Bühne saß und las, war Gerhard Zwerenz. Der linke Autor, der mit Büchern wie „Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond“ und scharfer Kritik am Kapitalismus für Aufsehen gesorgt hatte. Auch der junge Robert Gernhardt kam und präsentierte Gedichte. Bodo Kirchhoff stellte seine Kurzgeschichten aus dem Bahnhofsviertel vor.
Zur Eröffnung war auch Kulturdezernent Hilmar Hoffmann (SPD) erschienen. Zingler weiß noch, dass der Politiker zu ihm sagte: „Ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein.“ Schließlich wurde die „Romanfabrik“ von einem Bordell-Besitzer gefördert...
Tatsächlich wurde der Kulturdezernent Hoffmann zu einem entscheidenden Unterstützer der neuen Literatur-Institution. Er verschaffte der „Romanfabrik“ einen städtischen Zuschuss. Zingler: „Er rief mich an und sagte: Geh mal schnell zur Stadtkasse und hol das Geld!“ Der Autor tat, wie ihm geheißen, und bekam 8000 Mark ausgezahlt – das war damals eine beträchtliche Summe.
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Der Ruf des neuen Kulturtreffs im Ostend verbreitete sich rasch, auch über die Stadt hinaus. Zingler und Bordellbesitzer Engel kamen auf die Idee, einen „Fabrikschreiber“-Preis aus der Taufe zu heben. Der Schriftsteller: „Engel ließ einen Tausender Cash springen.“
Der erste Fabrik-Schreiber war der legendäre Chronist des täglichen Stadtlebens, Peter Kurzeck. Die Fabrik-Schreiber durften im einem kleinen Garten-Häuschen im Hof des Hauses an der Uhlandstraße wohnen. Ein junger Türke namens Kaya Yanar, der völlig unbekannt war, erprobte auf der Bühne eine neue Kunstgattung namens „Comedy“.
Im Jahr 1987 machte die Frankfurter Autorin Renate Chotjewitz-Häfner das Veranstaltungs-Team auf eine junge Schriftstellerin aufmerksam, die gerade die Erlaubnis bekommen hatte, aus Rumänien in die Bundesrepublik auszureisen. Zingler: „Die Renate sagte, die hat einen Roman geschrieben, darf die mal vorlesen?“
So kam Herta Müller in die „Romanfabrik.“ Die spätere Literatur-Nobelpreisträgerin las damals aus ihrem ersten Buch „Niederungen“, in dem sie die Menschen und die Atmosphäre ihres Heimatdorfes schilderte. Zingler: „Niemand kannte die.“ Einmal im Monat wurde die Bühne im Keller für alle geöffnet: „Jeder durfte in die Bütt und konnte fünf Minuten lesen!“ Es gab „Leute, die richtig gut waren“, und andere, die trotz mangelnden Talents ihre Zeit völlig überzogen und schließlich mit sanfter Gewalt vom Podium gedrängt werden mussten.
Nach zehn Jahren im Vorstand der „Romanfabrik“ zogen sich Peter Zingler und Doris Lerche zurück. Michael Hohmann, der heutige Betreiber, übernahm und zog 1999 an den Standort Hanauer Landstraße 186 um.
Bordellbesitzer Engel hat das „Sudfass“ verkauft, es wurde abgerissen; gerade entstehen dort, wenige Hundert Meter von der Europäischen Zentralbank entfernt, Luxuswohnungen. Das Ostend verändert sein Gesicht. Die preiswerten Wohnungen, die billigen Kneipen schwinden. Nur Peter Zingler wohnt noch immer im Haus an der Uhlandstraße. Und blickt von dort auf die Frankfurt School of Finance.