Selten erlebt man Dieter Bohlen sprachlos. An diesem Donnerstag aber ist der "Pop-Titan" auffallend still. Kein Wort von ihm ist in der Pressemitteilung zu finden, mit der RTL am Mittag die Öffentlichkeit darüber informierte, dass die beiden Show-Dauerbrenner "Deutschland sucht den Superstar" und "Das Supertalent" in Zukunft ohne ihren langjährigen Jury-Chef auskommen müssen. Selbst in "Dieters Tagesschau", mit der Bohlen seine Fans seit geraumer Zeit via Instagram auf dem Laufenden hält, wurde die Breaking News noch nicht vermeldet.
Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass Dieter Bohlen von der Entscheidung überrascht worden ist. Denn auch wenn das Publikumsinteresse an den beiden Castingshows über die Jahre hinweg spürbar nachgelassen hat, schien es noch immer, als fühle sich Bohlen unersetzlich. Noch vor einem Jahr, als sich RTL kurzerhand von Xavier Naidoo trennte, führte er vor laufenden Kameras über zwei Stunden hinweg ein lächerliches Schauspiel auf, nur um sich irgendwann doch noch gegen Hass und Hetze auszusprechen. Und auch sonst erweckte Bohlen in fast schon herrschaftlicher Manier nur allzu gerne den Eindruck, er sei nicht nur Chef der Jury, sondern der gesamten Show.
Lange ließen ihn RTL und die Produktionsfirma UFA Show & Factual gewähren – auch weil Dieter Bohlen über die Jahre hinweg zum Markenkern der beiden Castingshows geworden ist. Dass er zuletzt keineswegs der Alleinherrscher war, zeigte die – im Nachhinein unglückliche – Entscheidung von RTL, ihm Michael Wendler zur Seite zu stellen. Dabei hatte sich Bohlen, angesprochen auf einen möglichen Einstieg des "Egal"-Sängers, nur wenige Monate zuvor in seiner privaten "Tagesschau" zu einer hämischen Bemerkung hinreißen lassen: "Was soll der denn in der 'DSDS'-Jury?"
Die Wendler-Personalie, sie konnte als frühes Zeichen von Bohlens schwindendem Einfluss verstanden werden, die jetzt in der Ankündigung von RTL gipfelt, "frische Impulse" setzen zu wollen – und zwar ganz ohne den Lautsprecher aus Tötensen. Bezeichnend auch, was Ute Biernat mit Blick auf die Zukunft von "Deutschland sucht den Superstar" sagte: Es gebe jetzt "die einmalige Chance, das Format erwachsen werden zu lassen", erklärte die Produzentin. Ein 67-Jähriger muss also gehen, damit eine Fernsehshow erwachsen werden kann.
"Veränderung und Weiterentwicklung"
Über fast zwei Jahrzehnte hinweg war die Beziehung zwischen RTL und Dieter Bohlen eine scheinbar perfekte Symbiose. Mit seinen Sprüchen sorgte der Jury-Chef für die erwünschten Schlagzeilen und brachte dem Sender auf diese Weise zwar keine positiven Kritiken, dafür aber umso bessere Quoten und damit mittelbar hohe Werbeeinnahmen. Plötzlich musste sogar der einstige Samstagabend-König Thomas Gottschalk um seine Stellung zittern. Acht, zehn oder gar zwölf Millionen Zuschauer hingen Bohlen in Spitzenzeiten an den Lippen. Wer wollte ihm da widersprechen?
Nun, da das Interesse an "DSDS" und "Supertalent" angesichts hunderter Folgen spürbar nachgelassen hat, ist die Entscheidung, sich von Dieter Bohlen zu trennen, keine wirklich mutige mehr. Gleichwohl ist damit ein Risiko verbunden, denn dass seine Nachfolgerinnen und Nachfolger in der Lage sein werden, den Quoten-Trend umzukehren, muss erst noch bewiesen werden. Sender und Produzenten stehen deshalb vor der schwierigen Aufgabe, beide Shows mehr denn je neu zu erfinden. Oder wie Unterhaltungschef Kai Sturm es ausdrückt: "Nach fast zwei Jahrzehnten gemeinsamer Erfolge ist jetzt der richtige Zeitpunkt für Veränderung und Weiterentwicklung."
Beim "Supertalent" mit seinem breit angelegten Wundertüten-Charakter dürfte die Neuaufstellung womöglich etwas einfacher sein als bei "Deutschland sucht den Superstar", immerhin ist die Position einer ernsthaften Musikshow seit mehr als einem Jahrzehnt durch "The Voice of Germany" besetzt. Und was wird aus Dieter Bohlen? Kaum zu glauben, dass er dauerhaft so schweigsam sein wird wie an diesem Donnerstag – jenem Tag, an dem von RTL das Ende einer TV-Ära eingeläutet wurde.