Von Werner Theurich
Wer Käse liebt, kennt Kummer. Allerdings nur, wenn er auf Besonderes aus ist. Zwei Beispiele aus dem Burgund zeigen Milchprodukte, die Ausdauer und ein gutes Auge verlangen. Aber der Geschmack kann Mühe und Kosten lohnen.
Natürlich ist das kulinarische Leben für Sie einfacher, wenn Ihre Käsewonnen irgendwo zwischen den Begriffen "junger Gouda", Edamer in Scheiben (fertig in Plastik verpackt) und sahnig-mildem Schmelzkäse stattfinden. In nahezu jedem Supermarkt weltweit dürften Sie fündig werden, denn dieses Geschmacksideal eint viele Menschen: dezent, etwas buttrig, gleichbleibend und - das allumfassend als positiv angesehene - "mild". Wenn Ihnen allerdings "milder" Käse einfach zu langweilig ist, fangen die Probleme an. Zum Beispiel, wenn Sie statt der unkomplizierten und robusteren Hartkäse die launischen Weichkäse lieben, die oft nur zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt den vollen Genuss bieten.
Ein Käse bekommt seinen unverwechselbaren und manchmal aufregenden Geschmack, wenn er, meist recht langsam, vor sich hin reift. In den üblichen "feuchten Käsekellern" je nach Herkunft, aber dann auch notgedrungen in den Lagerräumen der großen Kaufhäuser und kleinen Fachgeschäfte. Zwei Käse-Spezialitäten aus dem Burgund sind beste Beispiele von Lust und Frust, die mit der Reife zusammenhängen.
Epoisses und Langres sind beide rötliche Weichkäse aus Rohmilch, müssen zwei Monate in besagter feuchter Umgebung reifen, wo sie mit schwacher Salzlösung regelmäßig abgerieben werden. Der etwas markantere Epoisses - der Überlieferung nach schon von Ludwig XIV. und Napoleon Bonaparte besonders geschätzt - kann in einer kleineren Version fürs pikante Finish dazu noch ein Bad im Weinschnaps Marc de Bourgogne erhalten. Beide Käse sind auf dem Höhepunkt ihrer Reife ein unvergleichlicher Genuss: kräftig, intensiv duftend, komplex und sehr individuell. Nichts für "Light"-Füße, denn mit mindestens 45 Prozent Fettanteil in der Trockenmasse muss gerechnet werden. Aber was soll's: Fett ist eben Geschmacksträger, ohne Fett kaum Finesse.
Fließen oder Nichtfließen
Aber dieser angestrebte optimale Reifegrad ist eben die Krux dieser Käse-Preziosen: Davor und danach schmecken sie eher banal und oft enttäuschend. Um ein reifes Exemplar dieser Leckereien zu erkennen, kann ein scharfer Blick genügen: Der optimale Epoisses ist unter der schmalen Rinde gleichmäßig bis ins Dunkelgelbe gefärbt, durchaus noch fest, aber nicht mehr krümelig. Die Oberfläche sollte schön feucht glänzen, der ganze Käse keinesfalls "laufen". Es ist ein ewiger Streit, ob der Epoisses mit seiner beginnenden Verflüssigung am besten schmeckt oder kurz davor - ich bin für kurz davor, denn mit dem Fließen bekommt er schnell einen säuerlichen Geschmack, und der mindert die Würze und subtile Kraft erheblich.
Der Langres ist, wie erwähnt, keine ganz so heikle Diva, reife Exemplare sind wesentlich häufiger zu finden: Er darf an der Oberfläche trocken, aber keineswegs hart sein, sollte nicht mehr quarkig-krümelig und nicht allzu weiß aussehen und darf auch dicht unter der oberen Rinde ganz leicht beginnen zu fließen. Ideal ist aber auch hier eine homogene, ins leicht gelbe gehende Fläche. Der Langres riecht nicht so stark wie der Epoisses, aber sein Geschmack ist im günstigsten Falle ähnlich intensiv und wunderbar vielschichtig. Vorsicht: Der Genuss bei perfekter Reife ist extrem suchtbildend.
Nie kann es schaden, die gewünschten Käse zu probieren, doch im Käseladen sind die ausgestellten Stücke oft schlicht zu kalt - direkt aus dem Kühlschrank schmeckt bekanntlich kaum ein Käse, wie er sollte. Lassen sie ihn im Zweifel bezüglich der Reife lieber stehen: Beide Käse sind, gemessen an den meisten Konkurrenten, nicht billig (ca. 3 Euro für 100 Gramm), und sie kosten immer gleich viel, egal ob reif oder nicht. Seien sie skeptisch, wenn an der Käsetheke schon viele Stücke portionsweise abgepackt und in Folie verschweißt sind: Reifegrad und Beschaffenheit können so nicht mehr sehr gut festgestellt werden, und es sieht einfach nicht schön aus. Ein runder Käseleib, frisch im Anschnitt, bietet besten Einblick in die Beschaffenheit. Kleine "Käseboutiquen" können besser sein, müssen aber nicht. Viele Großstadtkaufhäuser pflegen in den Lebensmittelabteilungen ein ganz ausgezeichnetes Käseangebot. Man muss eben suchen und genau hinsehen.
Noch ein Hinweis: Wenn sie einen duftenden roten Rohmilchkäse von der Statur dieser beiden Kraftpakete vor sich haben, parieren Sie die Wucht eher mit einem Port oder Sauternes, statt mit einem vermeintlich nahe liegenden Burgunder. Was übrigens auch beim ebenso machtvollen Blauschimmel-Kollegen Roquefort zu empfehlen ist.
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