Strabon

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Strabon (griechisch Στράβων Strábōn, deutsch ‚der Schielende‘, lateinisch Strabo; * etwa 63 v. Chr. in Amaseia in Pontos; † nach 23 n. Chr.) war ein antiker griechischer Geschichtsschreiber und Geograph.

Über Strabons Leben, das in den Übergang vom Hellenismus zur Kaiserzeit fiel, ist wenig bekannt. Seine Familie lebte in Amaseia, welches nach den Niederlagen des Mithridates VI. zuerst gegen Lucullus und später Pompeius (und dem anschließenden Selbstmord des Mithridates) als Hauptstadt der als Provinz Bithynia et Pontus neu in das römische Reich eingegliederten Gebiete in Kleinasien bestimmt worden war.

Strabon selbst berichtet, er habe bei einem gewissen Aristodemos, Privatlehrer der Kinder eines Römers namens Pompeius, in Karien studiert. Danach ging er als 18-jähriger (also etwa 45 v. Chr.) nach Rom und setzte seine Studien unter dem Geographen Tyrannion fort. 25 oder 24 v. Chr. bereiste er Ägypten im Gefolge des neuen römischen Präfekten Aelius Gallus und unternahm mit diesem gemeinsam eine Nilfahrt.

Nach zahlreichen weiteren Reisen kehrte er nach Amaseia zurück, wo er die umfangreichen Geschichtlichen Anmerkungen verfasste (Ἱστορικὰ Ὑπομνήματα Historiká Hypomnếmata, 43 Bücher), die als Fortsetzung des Werkes des Polybios gedacht waren und uns nur in wenigen Bruchstücken erhalten sind. Danach verfasste er eine als ergänzend zum Geschichtswerk konzipierte 17-bändige Geographie (im Deutschen gemäß ihrem griechischen Titel τὰ Γεωγραφικά tá Geôgraphiká auch als Geographika bezeichnet[1]), die bis auf einige fehlende Teile des Buches VII vollständig überliefert ist. Sein Ziel war es dabei erklärtermaßen, ein für einen möglichst weiten, gebildeten Leserkreis leicht verständliches und angenehm lesbares, nichtsdestoweniger aber informatives Werk zu schaffen, das geographische, ethnographische und historische Angaben bieten sollte.

Die Geographie (Geographika, Geographiae libri XVII)

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Die Geographie in der 1321 geschriebenen Handschrift Venedig, Biblioteca Marciana, Gr. XI,6, fol. 244v
Weltkarte Strabons
  • Bücher I und II: Lange Einleitung, in der Strabon zu beweisen versucht, dass Eratosthenes in seiner Geographie irre, wenn er die Zuverlässigkeit der geographischen Informationen bei Homer negiere.
  • Bücher III bis X: Europa, vor allem Griechenland (Bücher VIII bis X).
  • Bücher XI bis XIV: Kleinasien.
  • Bücher XV bis XVI: „Orient“.
  • Buch XVII: Africa (Ägypten und Libyen).

Strabon vertritt in diesem seinem Werk die Ansicht, dass der Reichtum Griechenlands zumindest teilweise auf seine günstige maritime Lage zurückzuführen sei. Er skizziert eine Korrelation zwischen dem zivilisatorischen Fortschritt einer Gesellschaft und ihrem Zugang zum Meer. Die geographische Situation allein reiche aber nicht zur Erklärung der historischen Größe eines Volkes. So basiere die griechische Zivilisation auf dem Interesse der Hellenen an Kunst und Politik.

Da er für sein Werk auch verschiedene frühere Texte (teils aus mehreren Jahrhunderten) verwendet und eingehende Kenntnisse über die römischen Rechtssysteme in verschiedenen Städten und Gebieten besitzt, gilt Strabon auch als wertvolle Quelle hinsichtlich des Beginns und Verlaufs der allmählichen Romanisierung Galliens und der Iberischen Halbinsel. So berichtet er vor allem in den Büchern III und IV von der im Gefolge der Akkulturation einzelner Gesellschaftsschichten erfolgten Herausbildung einer neuen Lebenskultur in diesen Gebieten. Darüber hinaus gelten die Geographika auch als bedeutende Quelle für die Geschichte Griechenlands im späten Hellenismus.

Strabon beschreibt auch die sieben Weltwunder der Antike sowie Babylon.

Phantasieporträt Strabons von André Thevet in Les vrais pourtraits et vies des hommes, Paris 1584

In der römischen Kaiserzeit bleibt das Werk Strabons offenbar insgesamt relativ unbekannt; er wird erst ab dem 5. Jahrhundert wiederentdeckt und verstärkt zitiert; ab etwa diesem Zeitpunkt entwickelt sich Strabon dann allerdings im europäischen Geistesleben geradezu zum Prototyp des Geographen. Im 15. Jahrhundert übersetzt der italienische Gelehrte Guarino da Verona das gesamte erhaltene Werk Strabons, was zur sich verstärkenden Bedeutung Strabons beiträgt, später entdecken Forscher wie Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff ihre Vorliebe auch für die literarischen Qualitäten des Werkes. Von Strabon wird damals gesagt, dass er manche Orte, die er nicht bereist habe, besser beschreibe als Pausanias, der selbst dort gewesen sei.

Strabon hat mit seiner Geographie eines der historisch bedeutsamsten Werke verfasst, die aus den Jahren um die Zeitenwende erhalten geblieben sind. Durch seine Reisen in viele der vom damaligen Römischen Reich beherrschten Länder und Gebiete liefert er heutigen Historikern wertvolle Informationen über Orte, Menschen und Kulturen seiner Zeit. Als vornehmer Grieche mit Studium in Rom hat er dabei nach eigener Aussage die wichtigsten in seiner Zeit zugänglichen Bücher und zahlreiche Berichte von Zeitgenossen verarbeitet (unter anderem Demetrios von Kallatis und Theophanes von Mytilene, wie die erhaltenen Fragmente aus dessen Geschichtswerk nahelegen). Er betonte dabei verschiedentlich, dass die Informationen teilweise subjektiv, veraltet oder gar erfunden sein könnten, und bemühte sich, Zweifel auszuräumen sowie Dinge zu kennzeichnen, die ihm widersprüchlich erschienen. Nicht zuletzt diese kritische, eher für die antike Historiographie kennzeichnende Haltung ist es, die sein Werk als Quelle bedeutsam macht.

Eine erste lateinische Übersetzung der Geographie erschien etwa 1469, die editio princeps des griechischen Textes 1516 in Venedig. Die kritische Ausgabe von Isaac Casaubon, deren Seitenzählung heute noch bei Verweisen verwendet wird, erschien 1587.

Nach den großen kritischen Ausgaben von Gustav Kramer (1844–1852) und August Meineke (1852–1853) hat Stefan Radt (1927–2017) eine auf zehn Bände angelegte Ausgabe Strabons vorgelegt. Diese Edition bietet einen neuen Text samt umfangreichem Testimonien- und kritischem Apparat, dazu eine Übertragung (Bände 1–4) und einen textkritisch-philologisch ausgerichteten Kommentar (in den Bänden 5–8), ferner eine Edition der mittelalterlichen Strabon-Epitome und Chrestomathie (Band 9) und ein Register (Band 10).

Nach ihm sind der Mondkrater Strabo und der Asteroid (4876) Strabo benannt.

Ausgaben und Übersetzungen

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  • Stefan Radt (Hrsg.): Strabons Geographika. 10 Bände. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen (maßgebliche Ausgabe mit Übersetzung)
  • Germaine Aujac u. a. (Hrsg.): Strabon: Géographie. Les Belles Lettres, Paris 1966 ff. (kritische Edition mit französischer Übersetzung).
    • Bd. 1/1: Introduction générale. Livre I. 1969.
    • Bd. 1/2: Livre II. 1969.
    • Bd. 2: Livres III et IV. 1966.
    • Bd. 3: Livres V et VI. 1967.
    • Bd. 4: Livre VII. 1989, ISBN 2-251-00314-2.
    • Bd. 5: Livre VIII. 1978.
    • Bd. 6: Livre IX. 1996, ISBN 2-251-00450-5.
    • Bd. 7: Livre X. 1971.
    • Bd. 8: Livre XI. 1975.
    • Bd. 9: Livre XII. 1981, ISBN 2-251-00319-3.
    • Bd. 15: Livre XVII, 2e partie, 2014, ISBN 978-2-251-00588-1.
  • Francesco Sbordone, Silvio M. Medaglia (Hrsg.): Strabonis Geographica. Istituto Poligrafico, Rom 1963 ff. (kritische Ausgabe).
    • Bd. 1: Libri I–II. 1963.
    • Bd. 2: Libri III–VI. 1970.
    • Bd. 3: Libri VII–IX. 2000, ISBN 88-240-3621-X.
  • Horace Leonard Jones (Hrsg.): The Geography of Strabo. (= The Loeb Classical Library). 8 Bände. Heinemann, London 1917–1932 (griechischer Text und englische Übersetzung).
  • Duane W. Roller (Hrsg.): The Geography of Strabo. Cambridge University Press, Cambridge 2014 (aktuelle englische Übersetzung).

Übersichtsdarstellungen

  • Janick Auberger: Strabon d’Amasée. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Band 6, CNRS Éditions, Paris 2016, ISBN 978-2-271-08989-2, S. 602–612.
  • Eckart Olshausen: Strabon von Amaseia (= Studienbücher Antike. Band 18). Olms Verlag, Hildesheim 2022, ISBN 978-3-487-16269-0 (online).
  • Stefan Radt: Strabon. In: Der Neue Pauly (DNP). Band 11, Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-01481-9, Sp. 1021–1025.

Untersuchungen

  • Wolfgang Aly: Strabon von Amaseia. Untersuchungen über Text, Aufbau und Quellen der Geographika (= Antiquitas I 4). Habelt, Bonn 1957.
  • Germaine Aujac: Strabon et la science de son temps. Les Belles Lettres, Paris 1966.
  • Germaine Aujac: Strabon et son temps. In: W. Hübner (Hrsg.): Geographie und verwandte Wissenschaften. Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften in der Antike. Band 2. Stuttgart 2000, S. 103–139. Online (Memento vom 12. Februar 2010 im Internet Archive)
  • Anna Maria Biraschi, Giovanni Salmeri (Hrsg.): Strabone e l’Asia Minore (= Incontri Perugini 10). Edizioni scientifiche italiane, Neapel 2000, ISBN 88-495-0151-X.
  • Johannes Engels: Die strabonische Kulturgeographie in der Tradition der antiken geographischen Schriften und ihre Bedeutung für die antike Kartographie. In: Orbis Terrarum 4, 1998, S. 63–114.
  • Johannes Engels: Augusteische Oikumenegeographie und Universalhistorie im Werk Strabons von Amaseia (= Geographica Historica 12). Franz Steiner, Stuttgart 1999, ISBN 3-515-07459-7.
  • Johannes Engels: Die Raumauffassung des augusteischen Oikumenereiches in den Geographika Strabons. In: Michael Rathmann (Hrsg.): Wahrnehmung und Erfassung geographischer Räume in der Antike. Von Zabern, Mainz 2007, ISBN 3-8053-3749-3. S. 123–134.
  • Francesco Prontera (Hrsg.): Strabone. Contributi allo studio della personalitá e dell’opera. 2 Teile. Perugia 1984 und 1986.
  • Duane W. Roller: A Historical and Topographical Guide to the Geography of Strabo. Cambridge University Press, Cambridge 2018, ISBN 978-1-107-18065-9.
  • Ingeborg Weiss: Die Italienbücher des Strabon von Amaseia (= Prismata. Beiträge zur Altertumswissenschaft. Band 2). Peter Lang, Frankfurt am Main 1991, ISBN 3-631-43281-X.
Commons: Strabon – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Strabon – Quellen und Volltexte
Wikisource: Strabon – Quellen und Volltexte (griechisch)
  1. „Geographika“: so auch im Titel der heute als Standardwerk geltenden deutschen Übersetzung von Stefan Radt (erschienen 2002–2011)