Neues Palais (Darmstadt)
Das Neue Palais (auch Prinz-Ludwig-Palais) war die letzte große Stadtresidenz des Hauses Hessen in Darmstadt. Sie wurde in zentraler Lage der Stadt am damaligen Wilhelminenplatz errichtet. Westlich schloss sich der zugehörige Schlosspark, Palaisgarten genannt, an, der bis zum Marienplatz reichte. Bei einem Luftangriff im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurde die Ruine 1955 abgerissen, um Platz für eine Neubebauung der Darmstädter Innenstadt zu schaffen.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Neue Palais in Darmstadt entstand in den Jahren 1864/65 im Stil der Neorenaissance auf dem damaligen Gelände des botanischen Gartens. Die Stadtresidenz entwarf der Mainzer Architekt Konrad Kraus im Auftrag der englischen Königin Victoria für deren Tochter Alice, die 1862 den späteren Großherzog Ludwig IV. geheiratet hatte.[1] Später war das Palais der Wohnsitz des Sohnes und Nachfolgers Ernst Ludwig von Hessen und bei Rhein. Der erhob das Neue Palais durch sein reges Interesse an der aufblühenden neuen Kunstrichtung zur Wiege des Darmstädter Jugendstils. Er lud noch vor der Gründung der Künstlerkolonie bedeutende Künstler ein, Räume im Neuen Palais in diesem „modernen Geschmack“ auszugestalten.[2] Bereits davor gab es immer wieder Neuausstattungen der Räume, so in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts die Ausstattung des „Grünen Salons“.
Im Jahr 1895 wurde im Neuen Palais Ernst Ludwigs Tochter Elisabeth, das „Prinzesschen“, geboren, die bereits 1903 verstarb. Ihr bekanntes Grabmal liegt auf der Rosenhöhe.
Im Jahr 1919 vereinbarten der Volksstaat Hessen und Großherzog Ernst Ludwig, dass das Neue Palais als Schatullgut Privateigentum Ernst Ludwigs wurde.[3] Dessen Hofmarschall Kuno Ferdinand Graf von Hardenberg bezog darin eine Dienstwohnung.[4]
Das Neue Palais war von 1940 bis zum 11. September 1944 Sitz der Geheimen Staatspolizei. Nach der Brandnacht verlegte die Gestapo ihre Dienststelle in die Kleinstadt Bensheim an der Bergstraße.[5]
Das Gebäude bildete fast ein Jahrhundert lang den westlichen Abschluss des Wilhelminenplatzes, bis es in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 bei einem Luftangriff der Royal Air Force zerstört wurde. Wiederaufbaupläne scheiterten, z. B. der Bau eines Konzerthauses nach Plänen des Architekten Paul Bonatz. Die Ruine wurde 1955 abgerissen.
Das Gelände des Neuen Palais ist heute als Georg-Büchner-Platz mit der Tiefgarage des Staatstheaters Darmstadt bebaut. Auf dem Gelände des ehemaligen Palaisgartens steht seit 1972 der Neubau des Staatstheaters. Das Palais war weitgehend in Vergessenheit geraten. Erst 2024 mit dem Stadtfugen-Projekt des Staatstheaters Darmstadt gab es eine Initiative an das Gebäude zu erinnern. Mit einer performativ-installativen Raumintervention auf dem Theatervorplatz, Vorträgen und Aktionen wurde das Gebäude für einige Wochen wieder ins Bewusstsein der Stadt gerückt.
Architektur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der architektonischen Gliederung kann man venezianische und römische Palastfassaden sehen, der Baukörper ist auf barocke und klassizistische Prinzipien zurückführbar. Das Palais war 64 Meter breit und bis zu 18 Meter hoch. Es hatte einen siebenachsigen Mittelrisalit und zwei seitliche, etwas niedrigere, jeweils fünfachsige Flügel.
Der ungeschickt gewählte Grundriss hatte schon zur Planungszeit auf Grund seiner dunklen Räume und der wenig zweckmäßigen Raumabfolge zu scharfer Kritik geführt. Die Anlage sollte von Anfang an einen repräsentativen Anspruch des Großherzogtums Hessen-Darmstadt darstellen, da es nicht nur als Prinzenpalais, sondern auch als Residenzpalais Ludwigs vorgesehen war. 1896/97 ließ Ernst Ludwig von den, der Arts and Crafts Movement zugehörigen, Innenarchitekten M. H. Baillie Scott und Charles Robert Ashbee zwei Privaträume, das Frühstückszimmer und das Empfangszimmer einrichten und modernisieren. 1897 folgte Otto Eckmann mit der Ausgestaltung des Studier- und Arbeitszimmers nach. Weitere Umbauten und Ausgestaltungen erfolgten um 1900 nach Plänen von Ludwig von Hofmann. 1902 wurde nach Entwürfen von Joseph Maria Olbrich ein Musikzimmer eingerichtet. Ein Musiksaal wurde 1914 durch Albin Müller[6] eingebaut, der nach Petra Tücks jedoch nicht an Stelle von Olbrichs Musikzimmer lag.
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Fritz Ebner: Das alte Darmstadt. Eduard Roether Verlag, Darmstadt 1965, S. 87.
- Eva Haberkorn: Fürstliche Wohnkultur in Darmstadt. Das Neue Palais in historischen Fotografien. In: Archivnachrichten aus Hessen 1/2022, S. 43–47.
- Petra Tücks: Das Darmstädter Neue Palais. Ein fürstlicher Wohnsitz zwischen Historismus und Jugendstil (= Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte. Bd. 148). Hessische Historische Kommission, Darmstadt 2005, ISBN 978-3-88443-302-7 (Rezension: Sigrid Hofer, Universität Marburg).
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Wolfgang Schmidt: Verlorene Kostbarkeit hessischer Baugeschichte, Petra Tücks referierte beim Geschichtsverein über das Neue Palais in Darmstadt Wetterauer Zeitung, 27. März 2004
- Moderne Gemächer im Neuen Palais zu Darmstadt , in: Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration, Band 10, Heft 1 (Januar), Leipzig, Darmstadt, Wien 1899; S. 1–8
Ansichten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Vorderansicht des Neuen Palais
- Schaubildzeichnung des Neuen Palais von 1900 im Hessischen Archivinformationssystem
- Foto des zerstörten Palais von 1952
- Ansicht des Prinz-Ludwigs-Palais, 1877. Historische Ortsansichten, Pläne und Grundrisse. In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
Gemälde
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Heinrich Reinhard Kroh: The Neues Palais: the sitting-room of the Grand Duchess of Hesse, datiert 1878. Teil des Englischen Royal Collection Trust
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ (Hrsg.) Landesamt für Denkmalpflege Hessen in Zusammenarbeit mit dem Magistrat der Stadt Darmstadt: Kulturdenkmäler in Hessen. Stadt Darmstadt, Braunschweig und Wiesbaden 1994, ISBN 3-528-06249-5, S. 125.
- ↑ Petra Tucks: Das Neue Palais in Darmstadt, Vortrag am 18. März 2004 im Friedberger Geschichtsverein; abgerufen am 2. Juni 2017
- ↑ Vereinbarung zwischen dem vormaligen Großherzog Ernst Ludwig von Hessen, zugleich in Vertretung des Großherzoglichen Hauses, und dem Hessischen Staat, vertreten durch das Gesamtministerium vom 6. Mai 1919
- ↑ Hardenberg, Kuno Graf von. In: Stadtlexikon Darmstadt, auf darmstadt-stadtlexikon.de
- ↑ lagis-hessen.de
- ↑ Bernd Krimmel: Joseph M. Olbrich 1867–1908, Ausstellungskatalog, Darmstadt 1983, S. 142
Koordinaten: 49° 52′ 7,1″ N, 8° 39′ 3,6″ O